18.10.2024
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Dokument-Nr. 22780

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Oberlandesgericht Karlsruhe Urteil17.06.2016

Fortpflan­zungs­medizin: Kein Anspruch auf Herausgabe befruchteter Eizellen der verstorbenen EhefrauVertragliche Vereinbarung mit der Klinik und fehlende Eigen­tums­ansprüche stehen Heraus­ga­be­an­spruch entgegen

Ein Ehemann hat keinen Anspruch auf Herausgabe befruchteter Eizellen seiner verstorbenen Ehefrau. Dies hat das Oberlan­des­gericht Karlsruhe entschieden und damit das erstin­sta­nzliche Urteil bestätigt.

Im hier zugrunde liegenden Streitfall hat der Kläger von der beklagten Klinik Herausgabe befruchteter eingefrorener Eizellen im sog. 2-PN-Stadium (Vorkernstadium) seiner verstorbenen Ehefrau verlangt. Für den Fall, dass der Befruch­tungs­vorgang abgeschlossen und Embryonen entstanden seien, hat der Kläger deren Herausgabe begehrt.

Erläuterung des 2-PN-Stadiums

Von Eizellen im 2-PN-Stadium wird gesprochen, wenn das männliche Spermium zwar bereits in die weibliche Eizelle eingedrungen ist, dort aber noch zwei Vorkerne (sog. Pronuklei) mit einem einfachen Chromosomensatz von Mann bzw. Frau vorhanden sind. Erst wenn sich die beiden Chromo­so­mensätze zur ersten gemeinsamen Teilung zusammenfinden, liegt ein Embryo im Sinne des Embry­o­nen­schutz­ge­setzes vor.

Vertrag zwischen Ehepaar und Klinik schließt Aufbewahrung von Eizellen aus

Nach dem zwischen dem Ehepaar und der Klinik geschlossenen „Vertrag über die Kryokon­ser­vierung und nachfolgende Behandlung von Eizellen im 2-PN-Stadium sowie deren Verwahrung“ sollte eine Herausgabe der Eizellen nur an das Ehepaar gemeinsam erfolgen. In einer gesonderten Erklärung, die der Kläger und seine verstorbene Ehefrau unterzeichneten, heißt es, dass eine Aufbewahrung eingefrorener Eizellen im Vorkernstadium über den Tod eines Partners hinaus nicht möglich ist. Embryonen, deren geplanter Transfer nicht stattfinden kann, sind nach Anrufen der Ethikkommission einzufrieren. Sollte ein Paar verstorben sein bzw. anderweitige Komplikationen auftreten, kann ein verbindliches Votum der Ärztekammer über weitere Maßnahmen bestimmen. Anlass für die Kryokon­ser­vierung der Eizellen war eine schwere Erkrankung der früheren Ehefrau des Klägers, die etwa eineinhalb Jahre später an ihrer Krankheit verstarb.

Keine Herausgabe aufgrund Verbotsnormen des Embry­o­nen­schutz­ge­setzes

Der Kläger hat sich darauf berufen, Ansprüche auf Herausgabe der befruchteten Eizellen zu haben, damit er gemeinsam mit seiner zwischen­zeit­lichen Ehefrau einen Kinderwunsch erfüllen könne. Dies entspreche auch dem erklärten Willen seiner verstorbenen Ehefrau. Die beklagte Klinik hat eingewandt, der mit dem Kläger und seiner verstorbenen Ehefrau abgeschlossene Vertrag sehe vor, dass nach dem Tod eines Ehepartners eine Herausgabe an den Überlebenden nicht stattfinde. Auch stünden Verbotsnormen des Embry­o­nen­schutz­ge­setzes der Herausgabe entgegen.

Klage des Ehemannes erfolglos

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, da vertragliche Ansprüche nach Versterben der Ehefrau nicht bestünden und auch das Embryonenschutzgesetz eine sog. „gespaltene Mutterschaft“ verhindern wolle. Die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers hat das Oberlan­des­gericht Karlsruhe zurückgewiesen.

Keine Möglichkeit einer einseitig nachträglichen Änderung des Vertrages

Begründung: Dem Kläger stehe nach dem mit der Klinik geschlossenen Vertrag kein Anspruch auf Herausgabe von Eizellen im Vorkernstadium zu. Der Vertrag sehe ausdrücklich nur eine Herausgabe an beide Ehepartner vor, was nach dem Tod eines Ehegatten nicht mehr möglich sei. Auch wenn eine Herausgabe dem erklärten Willen der verstorbenen Ehefrau entsprochen habe, habe der Vertrag hierdurch nicht einseitig nachträglich abgeändert werden können. Einer nachträglichen Abänderung stehe auch das berechtigte Interesse der beklagten Klinik entgegen, dem Risiko zu begegnen, sich nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 Embry­o­nen­schutz­gesetz strafbar zu machen. Auf Eigen­tums­ansprüche könne der Kläger sich nicht berufen, da er nicht Eigentümer der Eizellen im Vorkernstadium sei und die vertragliche Vereinbarung mit der Klinik einer Herausgabe entgegen stehe.

Keine Eigen­tums­ansprüche am menschlichen Embryo

Soweit der Kläger hilfsweise die Herausgabe von Embryonen geltend macht, sei zwar unwahr­scheinlich, dass solche bereits entstanden seien. Letztlich bedürfe diese Frage aber keiner Klärung. Denn selbst wenn Embryonen vorlägen, wäre nach der vom Kläger und seiner früheren Ehefrau unterzeichneten Erklärung ein Votum der Ärztekammer über weitere Maßnahmen einzuholen, dem sich die Vertrags­parteien unterworfen hätten. Eigen­tums­ansprüche des Klägers scheiterten daran, dass der menschliche Embryo - wie auch der Körper eines geborenen Menschen - kein Gegenstand sei, an dem Eigentum begründet werden könne.

Erläuterungen
Embryonenschutzgesetz

§ 1 Missbräuchliche Anwendung von Fortpflan­zungs­techniken

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

...

2. es unternimmt, eine Eizelle zu einem anderen Zweck künstlich zu befruchten, als eine Schwangerschaft der Frau herbeizuführen, von der die Eizelle stammt,

...

(Auszug aus § 1 ESchG in der Fassung vom 13.12.1990)

Quelle: Oberlandesgericht Karlsruhe/ ra-online

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