21.11.2024
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Oberlandesgericht Karlsruhe Urteil13.04.2007

Wenn Ärzte ihre Praxen schließen, um mehr Geld einzufordern, darf Bundes­ge­sund­heits­mi­nisterin Ulla Schmidt von "Patienten in Geiselhaft" sprechenKeine Verletzung des Persön­lich­keits­rechts, wenn ganzes Kollektiv angesprochen wird

Als am 4. Dezember 2006 anlässlich eines bundesweiten Protesttages gegen die Gesund­heits­reform viele Arztpraxen geschlossen blieben, sprachen die Bundes­mi­nisterin Ulla Schmidt und der Bundes­tags­ab­ge­ordnete Prof. Dr. Lauterbach davon, dass die Ärzte die Patienten in "Geiselhaft" nehmen würden, um ihre Forderungen nach mehr Geld durchzusetzen. Ein nieder­ge­lassener Facharzt, der von den Politikern verlangte, künftig nicht mehr von "Geiselhaft" zu sprechen, ist mit seinem Unter­las­sungs­antrag vor dem OLG Karlsruhe gescheitert.

Die Antragsteller sind niedergelassene Fachärzte. Beide haben sich am 4. Dezember 2006 am bundesweiten Protesttag gegen die geplante Gesund­heits­reform beteiligt, an dem viele Arztpraxen und Apotheken geschlossen blieben.

Am 4. Dezember 2006 äußerte sich die Beklagte Ziff. 1, die Bundes­mi­nisterin für Gesundheit, in einem Radiointerview des Deutsch­landfunks angesprochen auf die Ärzteproteste von diesem Tag wie folgt: "...Mich ärgert vielleicht, wenn Patienten oder kranke Menschen in Geiselhaft genommen werden für Forderungen nach mehr Geld...". Anlässlich eines öffentlichen Vortrages am 13. Dezember 2006 gebrauchte sie in Bezug auf die Protestaktion ebenfalls das Wort "Geiselhaft". Der Beklagte Ziff. 2, der Bundes­tags­ab­ge­ordnete Prof. Dr. Lauterbach, soll sich am 4. Dezember 2006 gegenüber dem privaten Fernsehsender NTV geäußert haben wie folgt: "Das ist schon eine Geiselhaft der Patienten. Es gibt keine Berufsgruppe, die so brutal die Menschen ausnutzt, wenn es um das eigene Einkommen geht wie die Ärzteschaft".

Die Antragsteller haben beim Landgericht Freiburg Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gestellt, wonach es die Antragsgegner zu unterlassen haben, wörtlich oder sinngemäß die Behauptung aufzustellen oder zu verbreiten, dass Ärzte durch ihre Proteste gegen die geplante Gesund­heits­reform Patienten in Geiselhaft genommen haben oder nehmen werden. Das Landgericht Freiburg hat den Antrag mit Beschluss vom 22. Dezember 2006 zurückgewiesen.

Die Berufung eines der klagenden Ärzte zum Oberlan­des­gericht Karlsruhe blieb ohne Erfolg.

Der von einer zu erwartenden ehrverletzenden Presseäußerung - dazu gehören auch Äußerungen in den elektronischen Medien - Betroffene hat einen zivil­recht­lichen Unter­las­sungs­an­spruch, wenn der mit der Äußerung verbundene Angriff auf sein Persön­lich­keitsrecht nicht durch die verfas­sungs­rechtlich gewährleistete Meinungs­freiheit gerechtfertigt ist.

Hier scheitert der geltend gemachte Unter­las­sungs­an­spruch schon daran, dass der Kläger durch die inkriminierte Äußerung nicht als Individuum betroffen ist. Nach den gesamten Umständen steht außer Zweifel, dass die Beklagte Ziff. 1 den Teil der Ärzte als "Geiselnehmer" qualifizieren wollte, die am 4. Dezember 2006 ihre Praxen geschlossen hielten und am bundesweiten Protesttag gegen die Gesund­heits­reform teilnahmen. Die Angriffs­richtung der vom Kläger beanstandeten Sentenzen der Beklagten ging gegen die Gesamtheit der am Protesttag "streikenden" Ärzte.

Dass durch die Bezeichnung eines Kollektivs auch das allgemeine Persön­lich­keitsrecht einzelner, diesem Kollektiv angehöriger Personen verletzt werden kann, ist in der Rechtsprechung anerkannt. Herabsetzende Äußerungen schlagen jedoch dann nicht auf die persönliche Ehre jedes einzelnen Mitgliedes des angegriffenen Kollektivs durch, wenn es sich dabei um eine unüberschaubar große Gruppe handelt. Von einer Persön­lich­keits­ver­letzung des einzelnen kann nur dann die Rede sein, wenn er auch tatsächlich das Angriffsziel einer ehrverletzenden Äußerung ist. Je größer der Kreis des herabgesetzten Kollektivs ist, desto mehr "verliert sich die Beleidigung in der Unbestimmtheit" und desto mehr geht die "Indivi­du­ums­be­zo­genheit" verloren.

Das von den beanstandeten Äußerungen angesprochene Kollektiv umfasste mehr als 40.000 Ärzte, die am 4. Dezember 2006 ihre Praxen geschlossen hielten. Damit war der Personenkreis derart groß und unübersehbar, dass der einzelne von dem auf die Gesamtheit gemünzten Angriff nicht in seinen Persön­lich­keits­rechten betroffen war. Nachdem der Kläger Unterlassung schon deshalb nicht verlangen kann, weil er durch die Äußerung nicht betroffen ist, kann dahingestellt bleiben, ob die beanstandeten Äußerungen bei der Abwägung zwischen Persön­lich­keitsrecht des Klägers und Meinungs­freiheit der Beklagten zu unterlassen gewesen wären.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung des OLG Karlsruhe vom 13.04.2007

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