21.11.2024
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Oberlandesgericht Karlsruhe Urteil19.07.2005

Amtspflicht­ver­letzung durch menschen­un­würdige HaftbedingungenLand Baden-Württemberg zur Zahlung einer Entschädigung von 2000 EUR verurteilt

Der Kläger verlangt vom beklagten Land Baden-Württemberg "Schmerzensgeld" für menschen­un­würdige Bedingungen während seiner Unter­su­chungshaft.

Aufgrund eines Haftbefehls befand sich der Kläger vom 18.12.2002 bis 06.06.2003 (171 Tage) in Unter­su­chungshaft in der Justiz­voll­zugs­anstalt Karlsruhe (JVA). Er war bis zum 23.05.2003 (157 Tage) in einer Gemein­schaftszelle mit einem weiteren Gefangenen untergebracht. Die Zelle hatte eine Grundfläche von 8,89 qm und einen Rauminhalt von 25 qm. Sie war mit einem Etagenbett, 2 Stühlen und 2 Arbeitstischen ausgestattet; die nicht gesondert entlüftete Toilette und das Waschbecken waren lediglich durch einen Vorhang abgetrennt.

Der Kläger hatte keinen Antrag auf Unterbringung in einer Gemein­schaftszelle gestellt. Sein Verteidiger beantragte am 14.02.2003 die Unterbringung in einer Einzelzelle, hilfsweise die Zusammenlegung mit seinem damaligen Mitbe­schul­digten. Diesen Antrag lehnte die JVA ab, da die Belegungs­si­tuation eine Einzel­un­ter­bringung nicht zulassen würde und eine Zusammenlegung mit dem Mittäter nicht in Betracht komme. Es war zu einer Überbelegung in der JVA Karlsruhe gekommen, da die benachbarte JVA Bruchsal umgebaut wurde und dort 100 Haftplätze fehlten. Das Landgericht Karlsruhe hatte dem Beklagten anstelle der verlangten 17.100,00 EUR lediglich 650,00 EUR als Entschädigung zugesprochen. Die Berufung des Klägers zum Oberlan­des­gericht Karlsruhe hatte in geringem Umfang Erfolg. Der Senat hielt eine Entschädigung von insgesamt 2.000 EUR für angemessen.

Die Unterbringung des Klägers in einer Gemein­schaftszelle war rechtswidrig, denn er befand sich in Unter­su­chungshaft und hatte die Unterbringung in einer Gemein­schaftszelle nicht ausdrücklich beantragt. Dass er trotzdem in einer Gemein­schaftszelle untergebracht wurde, erfüllt den objektiven Tatbestand der Amtspflicht­ver­letzung. Die damit ohnehin rechtswidrige Unterbringung ist aufgrund der konkreten Gegebenheiten auch dem Gebot der Achtung der Menschenwürde gem. Art. 1 Abs. 1 GG nicht mehr gerecht geworden. Eine rechtfertigende Einwilligung des Klägers lag nicht vor. Die Amtspflicht wurde auch schuldhaft verletzt. Die Durchführung von Bauarbeiten in der JVA Bruchsal war seit langem absehbar. Der durch den Umbau bedingte zusätzliche Bedarf an Haftplätzen und auch die sonstigen Belegungs­ver­hältnisse in den Haftanstalten des Landes waren bekannt und hätten hinreichenden Anlass zu vorsorglicher Abhilfe geboten. Insoweit ist dem Land der Vorwurf eines Organi­sa­ti­o­ns­ver­schuldens zu machen, das dem Land auch dann zuzurechnen ist, wenn die "vor-Ort" tätigen Beamten selbst subjektiv nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt haben.

Der Kläger hat zum Ausgleich der Verletzung seiner Menschenwürde und seines allgemeinen Persön­lich­keits­rechtes auch Anspruch auf eine Geldent­schä­digung. Grundsätzlich fordert eine Menschen­rechts­ver­letzung nicht in jedem Fall eine zusätzliche Wieder­gut­machung durch Geldent­schä­digung. Ein Anspruch hängt von der Bedeutung und Tragweite des Eingriffs, vom Anlass und Beweggrund des Handelnden sowie von dem Grad seines Verschuldens ab. Ob eine das Mindestmaß überschreitende schwerwiegende Verletzung des Persön­lich­keits­rechts vorliegt, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab, wie beispielsweise der Dauer der Behandlung, ihren physischen oder psychischen Folgen oder von Geschlecht, Alter oder Gesund­heits­zustand des Betroffenen. Bei seiner Gesamt­be­trachtung zur Beurteilung der Schwere des Eingriffs berücksichtigte der Senat, dass die objektiven Umstände der Unterbringung - Zellengröße, fehlende Entlüftung, ungenügende Wahrung der Intimsphäre, wechselnde Mitgefangene, nicht unerheblicher Zeitraum- sehr stark belastend waren. Ein weiteres objektives Anzeichen für die Schwere einer Beein­träch­tigung sieht der Senat in Mitteilungen eines Betroffenen gegenüber der Justiz­voll­zugs­anstalt, dass diese Situation für ihn so nicht hinnehmbar ist. Hier hat die Beweisaufnahme jedoch nicht ergeben, dass der Kläger bereits vor dem Schreiben seines Verteidigers seine Unzufriedenheit zum Ausdruck gebracht hat. Eine die Schwelle zur Entschä­di­gungs­pflicht überschreitende Menschen­rechts­ver­letzung kann deshalb erst ab dem Zeitpunkt festgestellt werden, als der Kläger seine Unzufriedenheit und sein Wunsch nach einer Einzelzelle den Mitarbeitern der JVA mitteilte.

Bei der Bemessung der Entschädigung orientierte sich der Senat an den konkreten Verhältnissen der Gemein­schaftszelle und der entschä­di­gungs­pflichtigen Dauer vom 14.02.2003 bis zum 23.05.2003. Da in jedem Fall einer entschä­di­gungs­pflichtigen Verletzung des allgemeinen Persön­lich­keits­rechts eine Gesamtwürdigung aller Umstände zu erfolgen hat, verbietet sich jede schematische Festlegung oder Aufspaltung in zeitliche Abschnitte. Diese Gesamtwürdigung führte zur Bemessung der Entschädigung auf 2.000 EUR.

Die Revision wurde nicht zugelassen.

Quelle: Pressemitteilung des OLG Karlsruhe vom 20.07.2005

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