21.11.2024
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Sie sehen eine Szene aus einem Krankenhaus, speziell mit einem OP-Saal und einem Arzt im Vordergrund.

Dokument-Nr. 25940

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Urteil27.08.2015Oberlandesgericht Jena1 U 558/14
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • NJ 2016, 34Zeitschrift: Neue Justiz (NJ), Jahrgang: 2016, Seite: 34
  • NJW-RR 2016, 273Zeitschrift: NJW-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht (NJW-RR), Jahrgang: 2016, Seite: 273
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Vorinstanz:
  • Landgericht Meiningen, Urteil11.07.2014, 2 O 1179/11
ergänzende Informationen

Oberlandesgericht Jena Urteil27.08.2015

Keine Haftung des Heimbetreibers für Fenstersturz einer behinderten Person bei fehlenden Anhaltspunkten zur Selbst­ge­fährdungBeachtung des Rechts auf weitest­mög­licher Autonomie behinderter Menschen bei Entscheidung über Sicher­heits­maßnahmen

Stürzt ein behinderter Mensch im Heim aus einem Fenster, so haftet der Heimbetreiber dann nicht für den Unfall, wenn für ihn keine Anhaltspunkte einer Selbst­ge­fährdung bestanden. Zudem muss bei der Ergreifung von Sicher­heits­maßnahmen stets das Recht der behinderten Menschen auf weitest­mög­licher Autonomie beachtet werden. Dies geht aus einer Entscheidung des Oberlan­des­ge­richts Jena hervor.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Im Juli 2008 stürzte eine geistig behinderte Person während des Toilettengangs aus einem Fenster im 1. Stock einer Pflegein­richtung. Bei der Einrichtung handelte es sich um ein "offenes" Haus mit Wohngruppen. Zielrichtung der Unterbringung war die Hilfe zur Selbsthilfe, sowohl im privaten Lebensraum als auch bei der Teilnahme am öffentlichen Leben. Durch die Betreuung und heilpäd­ago­gische Förderung sollten vor allem die Eigen­stän­digkeit im leben­s­prak­tischen Bereich und die Sozialkompetenz verbessert werden. So befand sich die verunfallte Person vor allem wegen ihrer mangelnden hygienischen Sorgfalt in der Einrichtung. Sie bedurfte bei der Körperpflege regelmäßig der Anleitung und der Teilbe­auf­sich­tigung. Die Kranken- und Pflege­ver­si­cherung der verunfallten Person machten für den Fenstersturz den Heimbetreiber verantwortlich und klagten auf Zahlung von Schadensersatz.

Landgericht gab Schaden­s­er­satzklage statt

Das Landgericht Meiningen gab der Schaden­s­er­satzklage statt. Zwar habe der beklagte Heimbetreiber keine Nebenpflicht aus dem Heimvertrag verletzt. Jedoch sei ihm eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht anzulasten, weil er das Fenster nicht ausreichend gesichert habe. Gegen diese Entscheidung richtete sich die Berufung des Beklagten.

Oberlan­des­gericht verneint Haftung des Heimbetreibers

Das Oberlan­des­gericht Jena entschied zu Gunsten des Beklagten und hob daher die Entscheidung des Landgerichts auf. Zwar hafte ein Heimbetreiber für die schuldhafte Verletzung seiner Obhutspflicht. Dem Beklagten sei aber weder eine Verletzung einer vertraglichen Nebenpflicht noch eine Verkehrs­si­che­rungs­pflicht­ver­letzung anzulasten.

Keine Verletzung einer vertraglichen Nebenpflicht

Noch zutreffend verneinte das Landgericht die Verletzung einer vertraglichen Nebenpflicht, so das Oberlan­des­gericht. So habe die verunfallte Person allein und ohne Beaufsichtigung den Toilettengang durchführen dürfen. Denn ihr Gesund­heits­zustand habe zu diesem Zeitpunkt keine ständige Betreuung und Beaufsichtigung erfordert.

Keine Verletzung der Verkehrs­si­che­rungs­pflicht

Nach Auffassung des Oberlan­des­ge­richts habe der Beklagte aber nicht seine Verkehrs­si­che­rungs­pflicht verletzt. Eine Sicherung des Fensters sei mit der Zielrichtung der Pflegeeinrichtung nicht vereinbar gewesen. Zwar habe ein Sachver­ständiger im Rahmen des Prozesses eine geschlossene Unterbringung der verunfallten Person für notwendig erachtet. Jedoch könne nicht auf die Sicht eines Facharztes für Psychiatrie abgestellt werden. Es komme vielmehr auf die Erkennt­nis­mög­lich­keiten der fachlich ordnungsgemäß besetzten, gut organisierten Pflegein­richtung an. Für diese habe keinerlei Hinweise einer Selbstgefährdung bestanden. Ohnehin würde es der Zielsetzung der Einrichtung entgegenlaufen, wenn man die betreuten Heimbewohner bei jedem auch nur geringen Verdacht einer Selbst- oder Fremdgefährdung sofort in eine geschlossene Einrichtung unterbringen würde. Dies widerspreche dem grundrechtlich geschützten Recht der behinderten Menschen auf weitest­mög­licher Autonomie.

Quelle: Oberlandesgericht Jena, ra-online (zt/NJW-RR 2016, 273/rb)

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