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Dokument-Nr. 32416

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Oberlandesgericht Hamm Urteil27.09.2022

Arzt kann sich trotz Einver­ständ­nisses der Patientin des sexuellen Missbrauchs strafbar machenKeine Strafbarkeit bei Augenhöhe von Arzt und Patientin

Ein Arzt kann sich auch dann wegen sexuellen Missbrauchs an einer Patientin gemäß § 174 c StGB strafbar machen, wenn die Patientin den sexuellen Handlungen zustimmt. Eine Strafbarkeit besteht nicht, wenn sich Arzt und Patientin auf Augenhöhe befinden. Dies hat das Oberlan­des­gericht Hamm entschieden.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Im August 2020 wurde ein als Orthopäde und Osteopath tätiger Arzt wegen sexuellen Missbrauchs an einer Patientin vom Amtsgericht Essen zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten auf Bewährung verurteilt. Die Patientin war seit dem Jahr 2015 wegen eines Frozen-Shoulder-Syndroms und diffuser Schmerzen beim Arzt in Behandlung. Innerhalb eines Jahres kam es zu über 30 Behand­lungs­terminen. Sowohl der Arzt als auch die Patientin gaben an, dass sie sich in der Zeit näher gekommen seien und schließlich eine sexuelle Anziehung entstanden sei, die zu sexuellen Handlungen führten. Der Arzt war mit dem Urteil nicht einverstanden und legte daher Berufung ein.

Landgericht sprach Arzt frei

Das Landgericht Essen sprach den Arzt vom Vorwurf des sexuellen Missbrauchs frei. Seiner Auffassung nach habe der Arzt nicht seine Autoritäts- und Vertrau­ens­stellung ausgenutzt. Die Annäherung an den Arzt sei von der Patientin ausgegangen. Sie sei nicht von seiner Autorität als behandelnder Orthopäde eingeschüchtert und eingenommen gewesen, sondern habe Selbstbestimmt eine weitergehende Vertiefung der Beziehung gesucht. Gegen diese Entscheidung richtete sich die Revision der Staats­an­walt­schaft und der Patientin.

Oberlan­des­gericht sieht Einverständnis und Annäherung durch Patientin für unerheblich an

Das Oberlan­des­gericht Hamm führte zum Fall aus, dass die Strafbarkeit nach § 174 c StGB nicht voraussetze, dass die Initiative vom Täter ausgeht oder ein Handeln gegen den Willen des Opfer vorliegt. Auch wenn die Patientin oder der Patient mit den sexuellen Handlungen im Rahmen des Behand­lungs­ver­hält­nisses ausdrücklich einverstanden sei, verstehe es sich in den meisten Fällen von selbst, dass ein Arzt dieses besondere Verhältnis missbrauche.

Keine Strafbarkeit bei Augenhöhe von Arzt und Patientin

An einem Missbrauch fehle es ausnahmsweise dann, so das Oberlan­des­gericht, wenn der Täter im konkreten Fall nicht eine aufgrund des Beratungs-, Behandlungs- oder Betreu­ungs­ver­hält­nisses bestehende Autoritäts- oder Vertrau­ens­stellung gegenüber dem Opfer zur Vornahme der sexuellen Handlung ausgenutzt hat. Dies müsse im jeweiligen Einzelfall unter Berück­sich­tigung der Gesamtumstände festgestellt werden. Ein Einverständnis der Patientin oder des Patienten genüge nicht. Vielmehr müssten sich Art und Patientin/Patient auf Augenhöhe begegnen.

Oberlan­des­gericht fordert mehr Aufklärung

Nach Auffassung des Oberlan­des­ge­richts habe das Landgericht keine ausreichenden Feststellungen dazu getroffen, ob sich die Patientin und der Arzt auf Augenhöhe begegnet sind. Es müsse näher dargelegt werden, wie sich die beiderseitige sexuelle Anziehung - auch schon vor der ersten Tat - manifestiert habe, in welchem Umfang und in welchem Rahmen es zu Zusammenkünften zwischen den beiden gekommen ist und in welchem Umfang und mit welchem Inhalt eine Kommunikation zwischen ihnen außerhalb der Behandlungen stattgefunden hat. Auch müsse aufgeklärt werden, warum die Patientin nach der ersten Tat weiterhin den Kontakt mit dem Arzt im Rahmen der Behandlung und auch außerhalb pflegte.

Quelle: Oberlandesgericht Hamm, ra-online (vt/rb)

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