21.11.2024
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Dokument-Nr. 25416

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Oberlandesgericht Hamm Urteil21.11.2017

Folgen einer strafbaren Beschneidung müssen gerichtlich im Rahmen der Strafzumessung aufgeklärt werdenGericht muss Ausmaß der konkreten Verletzung und Auswirkungen der Tat auf geschädigtes Kind ermitteln

Wird ein Angeklagter nach einer rechtswidrigen Beschneidung eines Kindes wegen vorsätzlicher Körper­ver­letzung verurteilt, hat das Tatgericht im Rahmen der Strafzumessung regelmäßig das Ausmaß der konkreten Verletzung und die Auswirkungen der Tat auf das geschädigte Kind aufzuklären. Ausgehend von dieser Rechtslage hat das Oberlan­des­gericht Hamm das von der Staats­an­walt­schaft mit der Revision angefochtene Berufungsurteil des Landgerichts Essen aufgehoben und das Verfahren zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts Essen zurückverwiesen.

Dem Verfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der heute 35 Jahre alte Angeklagte aus Langenberg stammt aus Südosteuropa. Für die beiden Kinder des Angeklagten, einen Jungen und ein Mädchen, hat die vom Angeklagten getrennt lebende Kindesmutter das alleinige Sorgerecht. Die Beteiligten bekennen sich zum islamischen Glauben.

Vater lässt Sohn ohne Zustimmung der Mutter und gegen den Willen des Kindes beschneiden

In Absprache mit der Mutter verbrachten beide Kinder die Sommerferien des Jahres 2015 bei dem Angeklagten. Während der Sommerferien ließ der Angeklagte seinen seinerzeit sechs Jahre alten Sohn ohne Zustimmung der Mutter und gegen den Willen des Kindes in einem Beschnei­dungs­zentrum in Essen beschneiden. Zur Tatzeit bestand keine gesundheitliche Gefahr für den Jungen, die durch den Eingriff hätte abgewendet werden müssen.

Amts- und Landgericht verurteilen Kindsvater zur Freiheitsstrafe auf Bewährung

Wegen dieser Tat verurteilte das Amtsgericht Essen den Angeklagten wegen vorsätzlicher Körper­ver­letzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Auf die Berufung der Staats­an­walt­schaft Essen gegen dieses Urteil verhängte das Landgericht Essen im Berufungs­ver­fahren gegen den Angeklagten eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und setzte deren Vollstreckung wiederum zur Bewährung aus. Die vom Angeklagten gegen das erstin­sta­nzliche Urteil eingelegte Berufung wies das Landgericht Essen als unbegründet zurück. In der Berufungs­ver­handlung beschränkten die Staats­an­walt­schaft und der Angeklagte ihre jeweiligen Berufungen auf den Rechts­fol­ge­n­aus­spruch. Zur Begründung seiner Straf­zu­mes­sungs­ent­scheidung führte das Landgericht in den schriftlich abgesetzten Urteilsgründen - neben Gründen der Strafmilderung - aus, strafschärfend wirke, dass sich der Angeklagte über die Meinung der allein sorge­be­rech­tigten Mutter hinweggesetzt und die Zeit, in der sein Sohn seine Sommerferien bei ihm verbracht habe, zu der Tat ausgenutzt habe. Ferner sei strafschärfend zu berücksichtigen, dass der Junge bereits relativ alt gewesen sei und trotz seines Alters keine Möglichkeit gehabt habe, an der Entscheidung über die Beschneidung mitzuwirken.

Staats­an­walt­schaft hält Strafe für unangemessen milde

Mit der gegen das Berufungsurteil eingelegten Revision rügt die Staats­an­walt­schaft die Verletzung materiellen Rechts. Aus ihrer Sicht sei die Bestrafung des Angeklagten unangemessen milde, die Aussetzung der Vollstreckung der verhängten Freiheitsstrafe zur Bewährung sei, so die Anklagebehörde, rechts­feh­lerhaft und beruhe u.a. auf einer lückenhaften Aufklärung der Tatfolgen.

OLG: Strafzumessung des Berufungs­ge­richts lückenhaft und damit fehlerhaft

Das von der Staats­an­walt­schaft eingelegte Rechtsmittel war erfolgreich. Das Oberlan­des­gericht Hamm hat das angefochtene Berufungsurteil im Rechts­fol­ge­n­aus­spruch mit den zu Grunde liegenden Feststellungen aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Essen zurückverwiesen. Die Staats­an­walt­schaft rüge zu Recht, dass die Strafzumessung des Berufungs­ge­richts lückenhaft und damit fehlerhaft sei, so das Oberlan­des­gericht. So habe das Berufungs­gericht versäumt aufzuklären, wie der eigentliche "Beschnei­dungs­vorgang" abgelaufen und in welchem Ausmaß das geschädigte Kind bei der - regelmäßig mit Schmerzen verbunden - Operation psychischen oder physischen Belastungen ausgesetzt gewesen sei. Ebenso wenig habe das Berufungs­gericht festgestellt, ob und welche Auswirkungen die Tat auf die spätere Entwicklung des Kindes in körperlicher und auch in psychischer Hinsicht im Sinne sogenannter nachhaltiger Tatfolgen haben könne.

Eingriff muss mit Kind in einer alter­s­ent­spre­chenden Art und Weise besprochen werden

Der zu beurteilende Fall gebe Veranlassung zu derartigen Feststellungen. Sorge­be­rechtigte Eltern seien nach dem Gesetz verpflichtet, einen beabsichtigten Eingriff mit ihrem Kind in einer seinem Alter und seinen Entwick­lungsstand entsprechenden Art und Weise zu besprechen. Es sei in kindgerechter Weise zu versuchen, mit dem Kind Einvernehmen herzustellen. Auch wenn der Angeklagte zu keiner Zeit sorgeberechtigt gewesen sei, habe er doch ein solches Gespräch mit dem Kind vor der Durchführung der Beschneidung führen müssen. Ob und gegebenenfalls inwieweit ein solches Gespräch stattgefunden habe, sei im Rahmen der Strafzumessung im Zusammenhang mit der Frage eines kindgerechten Umgangs mit dem geschädigten Kind von Bedeutung.

LG muss erneute Verhandlung vornehmen

Aufgrund der Darstel­lungs­mängel sei das Berufungsurteil im Rechts­fol­ge­n­aus­spruch aufzuheben. Es sei nicht auszuschließen, dass die Mängel die Strafzumessung des Berufungs­ge­richts beeinflusst hätten. Diese habe nunmehr eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Essen in einer erneuten Verhandlung vorzunehmen.

Quelle: Oberlandesgericht Hamm/ra-online

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