15.11.2024
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Sie sehen eine Szene aus einem Krankenhaus, speziell mit einem OP-Saal und einem Arzt im Vordergrund.
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Oberlandesgericht Hamm Urteil07.12.2016

Klinikum haftet für intraoperative Aufklä­rungs­pflicht­verletzung bei Nieren­ent­fernung eines AchtjährigenNieren­ent­fernung aufgrund unwirksamer intraoperativ erteilter Einwilligung der Eltern rechtswidrig

Stellt sich während der Operation an der Niere eines achtjährigen Kindes heraus, dass der ursprünglich geplante Eingriff nicht durchführbar ist, kann eine neue Situation vorliegen, die eine neue Aufklärung der sorge­be­rech­tigten Eltern über die zu verändernde Behandlung und ihre hierzu erteilte Einwilligung erfordert. Besteht in diesem Fall neben der Entfernung einer Niere grundsätzlich auch die Möglichkeit einer späteren niere­n­er­hal­tenden Operation, kann ein Aufklä­rungs­defizit vorliegen, wenn den Kindeseltern gegenüber die Nieren­ent­fernung als einzig mögliche Behandlung dargestellt wird. Dies entschied das Oberlan­des­gericht Hamm und änderte damit das erstin­sta­nzliche Urteil des Landgerichts Essen ab.

Dem Verfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der im Juli 2004 geborene Kläger aus Essen litt u.a. an multiplen Nieren­ge­we­bs­de­fekten und an einem erweiterten Nieren­be­cken­kelch­system, weswegen die linke Niere noch 22 % ihrer Funktion hatte. Nach Vorun­ter­su­chungen im beklagten Klinikum in Essen, einer Bedenkzeit für seine Eltern und einem mit ihnen geführten Aufklä­rungs­ge­spräch wurde der Kläger im Januar 2013 operiert. Bei der Operation sollte eine neue Verbindung zwischen dem Nierenbecken und dem Harnleiter geschaffen werden, um die Abfluss­ver­hältnisse der linken Niere zu verbessern. Intraoperativ stellte sich heraus, dass die geplante Rekonstruktion aufgrund nicht vorhersehbarer anatomischer Gegebenheiten nicht möglich war. Die Operation wurde unterbrochen, eine behandelnde Ärztin schilderte den Kindeseltern die veränderte Situation und empfahl die sofortige Entfernung der linken Niere. Die Kindeseltern stimmten zu, die Operation wurde fortgesetzt und die linke Niere des Klägers entfernt.

Kläger verlangt Schmerzensgeld in Höhe von 25.000 Euro

Nach der Operation beanstandete der Kläger die Entfernung der linken Niere, machte Aufklä­rungs­mängel geltend und verlangte vom Klinikum und der interoperativ aufklärenden Ärztin Schadensersatz, unter anderem ein Schmerzensgeld in Höhe von - zuletzt - 25.000 Euro.

Intraoperative Situation hätte neue Aufklärung und neue Einwilligung der sorge­be­rech­tigten Eltern erfordert

Die Klage hatte in zweiter Instanz mit der Maßgabe Erfolg, dass dem Kläger aufgrund eines Aufklä­rungs­mangels 12.500 Euro Schmerzensgeld zugesprochen wurden. Die Eltern des Klägers seien während der Operation nicht ordnungsgemäß aufgeklärt worden, so das Oberlan­des­gericht Hamm. Als sich intraoperativ herausgestellt habe, dass die ursprünglich geplante Rekonstruktion nicht möglich gewesen sei, habe eine neue Situation vorgelegen, die eine veränderte Behandlung erforderlich gemacht habe. Diese Situation habe eine neue Aufklärung und eine neue Einwilligung der sorge­be­rech­tigten Eltern des Klägers erfordert. Hiervon seien auch die behandelnden Ärzte ausgegangen, sie hätten die Operation unterbrochen, um mit den Eltern das weitere Vorgehen zu besprechen.

Sofortige Entfernung der Niere war nicht zwingend notwendig

Die dann erfolgte Aufklärung sei allerdings defizitär gewesen, weil die das Aufklä­rungs­ge­spräch führende Ärztin die Entfernung der linken Niere als alternativlos dargestellt und die sofortige Nieren­ent­fernung empfohlen habe. Nach den Ausführungen des vom Gericht hinzugezogenen medizinischen Sachver­ständigen sei es intraoperativ nicht zwingend notwendig gewesen, die Niere sofort zu entfernen. Es wäre möglich gewesen, die Operation dergestalt zu beenden, dass das Nierenbecken verschlossen und die Niere über eine Nieren-Haut-Fistel abgeleitet werde, um danach die weitere Vorgehensweise in Ruhe mit den Eltern zu besprechen. Dabei habe neben der Nieren­ent­fernung auch die - wenn auch mit höheren Risiken und zweifelhaften Erfolgs­aus­sichten verbundene - Möglichkeit bestanden, später nierenerhaltend zu operieren. Eventuell hätte so die Restfunktion der linken Niere erhalten werden können.

Kindeseltern hatten sich vor Operation ausdrücklich gegen Nieren­ent­fernung ausgesprochen

Im vorliegenden Fall habe es zur Wahrung des Selbst­be­stim­mungs­rechts des Klägers der intraoperativen Aufklärung seiner Eltern dahingehend bedurft, dass neben der sofortigen Entfernung der linken Niere auch der Abbruch der Operation mit einer äußeren Harnableitung für eine Übergangszeit möglich gewesen sei. In der Übergangszeit hätte dann eine ärztliche Aufklärung, Beratung und eine Entscheidung der Eltern in Bezug auf mögliche andere, aber riskante und schwierigere Wege der Nierenerhaltung erfolgen können. Dieses Aufklä­rungs­er­for­dernis habe angesichts der Tragweite und Bedeutung der Entscheidung zwischen einer Nieren­ent­fernung und einer riskanten und schwierigeren Niere­n­er­hal­tungs­ope­ration bestanden. Dabei sei besonders zu berücksichtigen, dass sich die Kindeseltern in der vor der Operation bestehenden Situation - nach Bedenkzeit und Beratung durch einen nieder­ge­lassenen Urologen - ausdrücklich gegen eine Nieren­ent­fernung beim Kläger entschieden hätten. In dieser Situation könne auch nicht von einer hypothetischen Einwilligung der Eltern in die sofortige Entfernung der Niere ausgegangen werden. Vielmehr sei anzunehmen, dass sich die Kindeseltern in einem echten Entschei­dungs­konflikt zwischen der sofortigen Nieren­ent­fernung und der Möglichkeit der Übergangslösung befunden hätten.

Eingriff aufgrund unwirksamer Einwilligung der Eltern rechtswidrig

Da die gebotene Aufklärung im vorliegenden Fall versäumt worden sei, seien die intraoperativ erteilte Einwilligung der Eltern, die linke Niere des Klägers zu entfernen, unwirksam und dieser Eingriff rechtswidrig gewesen. Angesichts der Vorschädigung der entfernten Niere sei das zuerkannte Schmerzensgeld angemessen.

Quelle: Oberlandesgericht Hamm/ra-online

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