21.11.2024
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Sie sehen eine Szene aus einem Krankenhaus, speziell mit einem OP-Saal und einem Arzt im Vordergrund.
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Oberlandesgericht Hamm Urteil23.01.2018

"Neulandmethode": Operation mit neuer, noch nicht allgemein eingeführter Methode erfordert besondere AufklärungOperation ohne Aufklärung über mögliches Auftreten bisher unbekannter Risiken kann Schadens­ersatz­ansprüche begründen

Die Einwilligung einer Patientin in eine Operation mit einer neuen, noch nicht allgemein eingeführten Methode (Neulandmethode) ist unwirksam, wenn die Patientin nicht besonders darauf hingewiesen wird, dass es sich um ein neues Verfahren handelt, bei dem auch unbekannte Risiken auftreten können. Die mit einer unwirksamen Einwilligung vorgenommene Operation ist rechtswidrig und kann Schadens­ersatz­ansprüche der Patientin begründen. Dies entschied das Oberlan­des­ge­richts Hamm und bestätigte damit das erstin­sta­nzliche Urteil des Landgerichts Siegen.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die heute 62 Jahre alte Klägerin aus dem Lahn-Dill-Kreis begab sich im April 2008 in ein Krankenhaus in Siegen, dessen Träger die Beklagte ist. Sie stellte sich wegen einer Belas­tungs­har­n­in­kon­tinenz in der urodynamischen Sprechstunde vor. Der Klägerin wurde nach Diagno­se­stellung das operative Einbringen eines Netzes vorgeschlagen. Hierbei handelte es sich um eine im Jahre 2008 nicht allgemein eingeführte, sogenannte Neulandmethode. Nach einem weiteren ärztlichen Aufklä­rungs­ge­spräch stimmte die Klägerin dem neuen Opera­ti­o­ns­ver­fahren zu. Der operative Eingriff erfolgte noch im April 2008. In der Folgezeit litt die Klägerin an einer Dyspareunie und einer restlichen Harninkontinenz. Bis zum April 2009 unterzog sie sich fünf weiteren Operationen, bei denen weite Teile des Netzgewebes entfernt wurden. Danach verblieben persistierende Schmerz­emp­fin­dungen.

Klägerin verlangt mit Verweis auf mangelnde Aufklärung Schadensersatz

Die Klägerin verlangte von der Beklagten Schadensersatz, insbesondere ein Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 50.000 Euro und begründete die Forderung damit, dass sie unzureichend über alternative Behand­lungs­me­thoden und Risiken der Neulandmethode aufgeklärt worden sei.

Nach dem Einholen eines gynäkologischen Sachver­stän­di­gen­gut­achtens gab das Landgericht der Klage teilweise statt und sprach der Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 35.000 Euro zu.

OLG: Operativer Eingriff erfolgte rechtswidrig

Die Berufung der Beklagten gegen die erstin­sta­nzliche Verurteilung blieb erfolglos. Das Oberlan­des­ge­richts Hamm bestätigte die erstin­sta­nzliche Verurteilung. Das Gericht hörte den gynäkologischen Sachver­ständigen erneut an und erhob über die mit der Klägerin vor der Operation geführten ärztlichen Aufklä­rungs­ge­spräche Beweis. Das Oberlan­des­gericht entschied letztlich, dass der im Hause der Beklagten im April 2008 durchgeführte operative Eingriff rechtswidrig erfolgt sei. Das Gericht verpflichte die Beklagte daher zum Schadensersatz. Er sei nicht von einer wirksamen Einwilligung der Klägerin gedeckt gewesen, weil diese zuvor fehlerhaft über die unzureichende Erfahrung mit den möglichen Folgen des neuen Opera­ti­o­ns­ver­fahrens aufgeklärt worden sei.

Aufklärung der Patientin über Neulandmethode war unzureichend

Zwar sei die Klägerin neben der Neulandmethode auch über ein standa­r­di­siertes, klassisches Opera­ti­o­ns­ver­fahren aufgeklärt worden. Ihre Aufklärung über die Neulandmethode sei allerdings unzureichend gewesen, weil die Klägerin nicht in hinreichender Weise auf die seinerzeit noch nicht abschließend bekannten Risiken der neuen Methode hingewiesen worden sei. Nach den Ausführungen des Sachver­ständigen habe das neue Verfahren im Jahre 2008 zwar als erfolg­ver­spre­chender als die bisherige, klassische Methode gegolten. Allerdings habe es im Jahre 2008 in Deutschland noch keine belastbaren Informationen über konkrete Risiken der angewandten neuen Methode gegeben. Die klinische Erprobungsphase des seit dem Jahre 2005 zunächst in den USA eingesetzten Verfahrens sei noch nicht abgeschlossen gewesen. So sei auch noch nicht bekannt gewesen, dass das Einsetzen eines Netzes im Becken­bo­den­bereich massive gesundheitliche Probleme nach sich ziehen könne. Bei dieser Sachlage habe die Klägerin explizit darauf hingewiesen werden müssen, dass es sich um ein neues, noch nicht abschließend beurteilbares Verfahren handele. Ihr hätte ausdrücklich verdeutlicht werden müssen, dass auch unbekannte Komplikationen auftreten könnten. Als Patientin habe sie in die Lage versetzt werden müssen, für sich sorgfältig abzuwägen, ob sie sich nach der herkömmlichen Methode mit bekannten Risiken operieren lassen wolle oder nach der neuen Methode unter Berück­sich­tigung der in Aussicht gestellten Vorteile und der noch nicht in jeder Hinsicht bekannten Gefahren. Diesen gesteigerten Anforderungen habe die Aufklärung im Hause der Beklagten nicht genügt.

Quelle: Oberlandesgericht Hamm/ra-online

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