15.11.2024
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Sie sehen eine Szene aus einem Krankenhaus, speziell mit einem OP-Saal und einem Arzt im Vordergrund.
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Oberlandesgericht Hamm Urteil29.09.2015

Oberlan­des­gericht Hamm konkretisiert Anforderungen an Einwilligung der Eltern in ärztliche Behandlung ihrer KinderArzt muss sich bei risikoreichen Eingriffen über Einverständnis des abwesenden Elternteils zur Behandlung vergewissern

Ein ärztlicher Heileingriff bei einem minderjährigen Kind bedarf grundsätzlich der Zustimmung beider sorge­be­rech­tigter Eltern. Erscheint nur ein Elternteil mit dem Kind beim Arzt, darf dieser in von der Rechtsprechung präzisierten Ausnahmefällen - abhängig von der Schwere des Eingriffs - darauf vertrauen, dass der abwesende Elternteil den erschienenen Elternteil zur Einwilligung in den ärztlichen Eingriff ermächtigt hat. Ausgehend hiervon hat das Oberlan­des­gericht Hamm die erstin­sta­nzliche Entscheidung des Landgerichts Bielefeld bestätigt, nach der die gegen eine Bielefelder Klinik und die behandelnden Ärzte dieser Klinik gerichtete Schaden­s­er­satzklage von Eltern aus Bad Oeynhausen erfolglos geblieben ist. Mit der Klage hatten die Eltern 500.000 Euro Schmerzensgeld für ihr im Alter von 2 ½ Jahren verstorbenes Kind verlangt.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die im November 2008 in der 32. Schwan­ger­schaftswoche mit multiplen Krank­heits­sym­ptomen geborene Tochter der Kläger wurde nach der Geburt zunächst im Herzzentrum Bad Oeynhausen betreut. Im Januar 2009 erfolgte ihre Verlegung auf die kinder­chir­ur­gische Klinik des beklagten Krankenhauses zur diagnostischen operativen Biopsie mit dem Zweck des Ausschlusses eines Morbus Hirschsprung. Bei dem ärztlichen Aufklä­rungs­ge­spräch war nur die Klägerin anwesend, die auch den anästhe­sis­tischen Aufklä­rungsboden allein unterzeichnete. Im Rahmen der kurz darauf durchgeführten Operation kam es zu Schwierigkeiten bei der Intubation und Beatmung des Kindes, so dass letztendlich vom operativen Eingriff abgesehen wurde. In der Folgezeit wurde das Kind fast durchgehend in Krankenhäusern behandelt, bevor es im Juli 2011 verstarb.

Behand­lungs­fehler nicht erkennbar

Von den Klägern behauptete Behandlungsfehler der Beklagten, durch die ihre Tochter infolge von Sauer­stof­fun­ter­ver­sorgung schwerste Schäden am Gehirn und weiteren sauer­stof­fun­ter­ver­sorgten Organen erlitten habe, konnten im erstin­sta­nz­lichen Verfahren nicht festgestellt werden.

Kläger beanstanden mangelnde Aufklärung über Behand­lung­s­al­ter­nativen

Im Berufungs­ver­fahren vor dem Oberlan­des­gericht Hamm haben die Kläger weiter geltend gemacht, vor dem Eingriff der Beklagten nicht hinreichend über Risiken und Behand­lung­s­al­ter­nativen aufgeklärt worden zu sein. Zudem habe der Kläger selbst keine Einwilligung erteilt, obwohl dies zwingend erforderlich gewesen sei.

Aufklärung über Behand­lungs­risiken ausreichend erfolgt

Die Schaden­s­er­satzklage blieb auch in der Berufungs­instanz erfolglos. Das Oberlan­des­gericht Hamm konnte keinen die Haftung der Beklagten begründenden Aufklä­rungs­fehler feststellen. Die vom Oberlan­des­gericht durchgeführte Beweisaufnahme habe ergeben, dass die Klägerin vor dem Eingriff hinreichend über die mit der Narkose verbundenen Behand­lungs­risiken aufgeklärt worden sei. Weil es insoweit keine Behand­lung­s­al­ter­nativen gegeben habe, habe über solche nicht aufgeklärt werden müssen.

Die Einwilligung der Kläger in die Behandlung sei auch nicht deshalb unwirksam gewesen, weil nur die Klägerin am Aufklä­rungs­ge­spräch teilgenommen und den Aufklä­rungsbogen unterzeichnet habe.

Einwilligung zur Behandlung des Kindes nur durch einen Elternteil in Ausnahmen möglich

Grundsätzlich müssten beide sorge­be­rech­tigten Eltern einem ärztlichen Heileingriff bei ihrem minderjährigen Kind zustimmen. Erscheine nur ein Elternteil mit dem Kind beim Arzt, dürfe dieser allerdings in von der Rechtsprechung präzisierten Ausnahmefällen darauf vertrauen, dass der abwesende Elternteil den erschienenen Elternteil zur Einwilligung in den ärztlichen Eingriff ermächtigt habe.

In Routinefällen (Ausnahmefall 1) dürfe der Arzt - bis zum Vorliegen entge­gen­ste­hender Umstände - davon ausgehen, dass der mit dem Kind bei ihm erscheinende Elternteil die Einwilligung in die ärztliche Behandlung für den anderen Elternteil miterteilen dürfe.

Gehe es um ärztliche Eingriffe schwerer Art mit nicht unbedeutenden Risiken (Ausnahmefall 2), müsse sich der Arzt vergewissern, ob der erschienene Elternteil die Ermächtigung des anderen Elternteils habe und wie weit diese reiche. Dabei dürfe er aber - bis zum Vorliegen entge­gen­ste­hender Umstände - davon ausgehen, vom erschienenen Elternteil eine wahrheitsgemäße Auskunft zu erhalten.

Gehe es um schwierige und weitreichende Entscheidungen über die Behandlung des Kindes (Ausnahmefall 3), etwa um eine Herzoperation, die mit erheblichen Risiken für das Kind verbunden seien, liege eine Ermächtigung des abwesenden Elternteils zur Einwilligung in den ärztlichen Eingriff durch den anwesenden Elternteil nicht von vornherein nahe. Deshalb müsse sich der behandelnde Arzt in diesen Fällen darüber vergewissern, dass der abwesende Elternteil mit der Behandlung einverstanden sei.

Einwilligung für Biopsie durch nur einen Elternteil ausreichend

Die im vorliegenden Fall vorgesehene Biopsie sei als leichter bis mittelgradiger Eingriff mit normalen Anästhe­sie­risiken zu bewerten und in die Kategorie des Ausnahmefalls 2 einzuordnen. Deswegen sei es ausreichend gewesen, dass sich der das Aufklä­rungs­ge­spräch führende Arzt bei der Klägerin nach der Einwilligung des Klägers erkundigt habe und sich diese durch die Unterschrift der Klägerin auf dem Aufklä­rungsbogen, der einen entsprechenden Hinweis enthalte, habe bestätigen lassen.

Quelle: Oberlandesgericht Hamm/ra-online

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