03.12.2024
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Oberlandesgericht Hamm Urteil08.11.2016

Umfassender Erb- und Pflicht­teils­verzicht gegen Abfindung durch Sportwagen sittenwidrigNotarieller Vertrag weist durch Abfindung erhebliches Ungleichgewicht zulasten des Erben auf

Vereinbart ein Vater mit seinem gerade 18 Jahre alt gewordenen Sohn einen umfassenden Erbverzicht, bei dem der Sohn allein mit einem Sportwagen Nissan GTR X abgefunden werden soll und das Fahrzeug nur dann erhält, wenn er im Alter von 25 Jahren eine Berufs­aus­bildung erfolgreich absolviert hat, können die Vereinbarungen sittenwidrig und deswegen unwirksam sein. Dies entschied das Oberlan­des­gericht Hamm und bestätigte damit das erstin­sta­nzliche Urteil des Landgerichts Detmold.

Der in Detmold lebende Beklagte des zugrunde liegenden Verfahrens ist praktizierender Zahnarzt und geschäftlich aktiv. Der im Jahre 1995 geborene Kläger ist sein Sohn. Er wuchs bei seiner Mutter im Rheinland auf, nachdem die Ehe seiner Eltern 1997 geschieden worden war. Im Sommer 2013 verließ der Kläger vorzeitig die Schule, zog zum Beklagten nach Detmold und begann dort eine Ausbildung zum Zahntechniker. Etwa zu dieser Zeit erwarb der Beklagte für ca. 100.000 Euro einen Sportwagen Nissan GTR X, für den sich auch sein Sohn begeisterte. So erlaubte der Beklagte dem Kläger, das Fahrzeug einige Male selbst zu lenken, was den Kläger faszinierte. Wenige Tage nach dem 18. Geburtstag des Klägers fuhr der Beklagte mit ihm zu einem Notar nach Paderborn. Dort vereinbarten die Beteiligten einen notariell beurkundeten, umfassenden Erb- und Pflicht­teils­verzicht des Klägers beim Tode des Beklagten. Zur Abfindung sollte der Kläger nach Vollendung des 25. Lebensjahres den Sportwagen erhalten, sofern er bis dahin eine Ausbildung zum Zahntech­ni­ker­ge­sellen und Zahntech­ni­ker­meister mit sehr gutem Ergebnis abgeschlossen haben sollte. Eine weitere Gegenleistung des Beklagten sah der notarielle Vertrag nicht vor. Kurz nach der Beurkundung reute den Kläger der Vertragsschluss. Er brach seine Ausbildung in Detmold ab und kehrte zu seiner Mutter zurück. Im vorliegenden Rechtsstreit begehrt der Kläger die Feststellung, dass der notarielle Vertrag sittenwidrig und damit nichtig sei.

OLG erklärt Vertrag für sittenwidrig und nichtig

Die Klage hatte Erfolg. Das Oberlan­des­gericht Hamm entschied, dass das Landgericht rechts­feh­lerfrei festgestellt habe, dass der notarielle Vertrag mit dem umfassenden Erb- und Pflicht­teils­verzicht sittenwidrig und damit nichtig sei. Den Erbverzicht und die Abfindung hätten die Parteien in dem notariellen Vertrag als Geschäfte so verbunden, dass sie miteinander "stehen und fallen" sollten.

Erbverzicht ist als sittenwidrige Vereinbarung anzusehen

Die Sittenwidrigkeit der Geschäfte folge aus einer Gesamtwürdigung der dem Erbverzicht zugrun­de­lie­genden Vereinbarungen der Parteien. Bereits nach ihrem Inhalt weise die Abfindung ein erhebliches Ungleichgewicht zulasten des Klägers auf. So werde der umfassende Erbverzicht mit sofortiger Wirkung und unbedingt vereinbart. Er solle insbesondere unabhängig vom Eintritt der Bedingungen für die Gegenleistung gelten. Demgegenüber stehe die Gegenleistung unter mehreren gemeinsam zu erfüllenden Bedingungen mit der Folge, dass der Beklagte den Erbverzicht unentgeltlich erlange, wenn auch nur eine der Bedingungen für die Gegenleistung nicht eintrete. Bei der Bewertung der Gegenleistung sei zudem zu berücksichtigen, dass der Kläger das Fahrzeug erst im Alter von 25 Jahren erhalten solle und das Fahrzeug bis dahin aufgrund seines Alters erheblich an Wert verloren haben werde.

Vertrag schränkt Erbe in Wahl des beruflichen Werdegangs ein

Die Vorgabe der erfolgreich zu absolvierenden Ausbildung schränke den Kläger außerdem in zu missbilligender Weise in der Wahl seines beruflichen Werdegangs ein. Eine berufliche Umorientierung lasse die Vereinbarung nicht zu. Das habe eine knebelnde Wirkung, die unzulässig in die Persön­lich­keits­rechte des noch jugendlichen Klägers eingreife, der seine Ausbildung gerade erst begonnen habe. Verschärft werde der Druck noch dadurch, dass die Vertrags­be­din­gungen zur Ausbildung nur bei Erreichen der Bestnote bei den Abschluss­prü­fungen erfüllt sein sollten. Mit der Vertrags­ge­staltung, die auf einseitigen Vorgaben des Beklagten beruhe, habe dieser seine Testierfreiheit mit einer verhältnismäßig geringen, gegebenenfalls sogar ohne Abfindung erweitern wollen. Seine Argumentation, er habe seinen Sohn zu einer zügigen und erfolgs­ori­en­tierten Ausbildung motivieren wollen, sei vorgeschoben. Bei einer solchen Motivation hätte es genügt, dem Kläger das Fahrzeug beim Erreichen der Ausbil­dungsziele als Belohnung zu versprechen und den Erbverzicht ebenfalls an den Eintritt dieser Bedingung zu knüpfen.

Gericht beanstandet Ausnutzung der jugendlichen Unerfahrenheit des Sohnes

Die Umstände des Vertrags­ab­schlusses zeigten zudem, dass der geschäfts­ge­wandte Beklagte die jugendliche Unerfahrenheit seines Sohnes zu seinem Vorteil ausgenutzt habe. So habe er sich die Begeisterung des Klägers für den Sportwagen zu Nutze gemacht und durch die Anschaffung des Fahrzeugs im Vorfeld des Vertrages noch gefördert. Der Beklagte habe zudem bewusst den Eintritt der Volljährigkeit seines Sohne abgewartet, wohlwissend, dass die Mutter dem Geschäft zuvor nicht zugestimmt hätte und es auch vom Familiengericht nicht genehmigt worden wäre. Mit der Wahl des Beurkun­dungs­termins habe er dann den Eindruck erweckt, es handele sich um ein Geburts­tags­ge­schenk für den Kläger. Das sei geeignet gewesen, dem Kläger eine Ablehnung des Angebotes emotional zu erschweren. In die Vorbereitung des Beurkun­dungs­termins sei der Kläger auch nicht einbezogen worden, einen Vertragsentwurf habe er zuvor nicht erhalten.

Quelle: Oberlandesgericht Hamm/ra-online

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