23.11.2024
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Sie sehen eine Szene aus einem Krankenhaus, speziell mit einem OP-Saal und einem Arzt im Vordergrund.

Dokument-Nr. 32868

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Oberlandesgericht Frankfurt am Main Urteil25.04.2023

Klinikpersonal muss nicht für Hirnschäden nach Antibiotikagabe haftenKein Schadensersatz für Kleinkind nach Aspiration bei intravenöser Antibi­o­ti­kumgabe

Aspirationen können bei Kleinkindern praktisch in jeder Lebenslage auftreten. Aufwändige und zeitraubende Sicherheits­maßnahmen vor typischen Behandlungs- und Pflegemaßnahmen sind deshalb im Klinikalltag undurchführbar. Die intravenöse Verabreichung eines Antibiotikums, in dessen Folge es zur Aspiration und einem bleibenden Hirnschaden kam, stellte sich auch unter Berück­sich­tigung eines auf dem Tisch liegenden Apfelstückchens und einem in der Hand des 14 Monate alten Klägers befindlichen Kartoffelchip nicht als behandlungs­fehlerhaft dar, entschied das Oberlan­des­gericht Frankfurt am Main (OLG).

Der Kläger nimmt die Beklagten wegen behaupteter fehlerhafter ärztlicher und pflegerischer Behandlung auf Schmerzensgeld und Schadensersatz in Anspruch. Er befand sich im Alter von 14 Monaten u.a. wegen einer obstruktiven Bronchitis und drohenden respi­ra­to­rischen Insuffizienz stationär in der Klinik des Beklagten zu 1. Als die als Kinder­kran­ken­schwester dort tätige Beklagte zu 2 ein Antibiotikum verabreichen wollte, war die Mutter des Klägers bei ihm. Diese hatte ihrem Sohn Kartoffelchips und Apfelstücke zu essen gegeben. Die Beklagte zu 2) nahm wahr, dass der Kläger einen Kartoffelchip in der Hand hielt und auf seinem Nachttisch Apfelstücke lagen. Sie verabreichte dem Kläger intravenös das Antibiotikum, ohne zuvor zu fragen, ob er gegessen hatte. Während dieser Maßnahme begann der Kläger zu schreien und wurde bewusstlos. Ursache dafür war, dass ein Apfelstück in die Luftröhre des Kindes gelangt war und diese verschloss. Der Kläger hat wegen dieser Geschehnisse einen hypoxischen Hirnschaden erlitten und wird lebenslang ein Pflegefall bleiben. Mit seiner Klage begehrte er von der Klinik, zwei Ärzten sowie der ihn behandelnden Kinder­kran­ken­schwester Schadensersatz und Schmerzensgeld. Das Landgericht hatte der Klage gegen drei der vier Beklagten stattgegeben und dem Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 1 Mio. € zugesprochen.

OLG: Medika­men­tengabe nicht behand­lungs­feh­lerhaft

Auf die Berufungen hat das OLG nunmehr die Klage insgesamt abgewiesen. Nach der weiteren Beweisaufnahme bestehe keine Grundlage für eine Schaden­s­er­satz­pflicht auch nur einer der Beklagten, führte das OLG aus. Das Verhalten der - hinreichend qualifizierten - beklagten Kinder­kran­ken­schwester im Rahmen der Medikamentengabe sei nicht behand­lungs­feh­lerhaft gewesen. Sie habe hier lediglich die allgemein der Verminderung des Aspira­ti­o­ns­risikos im Behand­lung­s­alltag zu beachtenden Vorsichts­maß­nahmen ergreifen müssen. Aspirationen könnten bei Kleinkindern in praktisch jeder Lebenslage auftreten; „aufgrund dessen kann es in jeder Klinik täglich in unzähligen Alltags­si­tuation zu Aspirationen kommen“, führte das OLG sachverständig beraten aus. Aufwändige und zeitraubende Sicher­heits­maß­nahmen vor typischen Behandlungs- und Pflegemaßnahmen seien deshalb im Klinikalltag undurchführbar. Eine absolute Sicherheit sei weder erreichbar noch als Behand­lungs­standard gefordert, ergänzte das OLG unter Verweis auf die Angaben der Sachver­ständigen.

Geltende Sorgfalts­s­tandards wurden eingehalten

Das von der Kinder­kran­ken­schwester dargestellte Verhalten entspreche den von den Sachver­ständigen heraus­ge­ar­beiteten Sorgfalts­s­tandards. Sie habe angegeben, dass sie vor der Medika­men­tengabe eine Zeit mit der Mutter des Klägers gesprochen und das Kind derweil beobachtet habe. Kau- oder Schluck­be­we­gungen habe sie nicht festgestellt. Der Junge habe während ihrer Anwesenheit auch keine Nahrung zu sich genommen. Der Kläger habe keinen abweichenden Gesche­hens­ablauf beweisen können. Das Gericht wies in diesem Zusammenhang u.a. darauf hin, dass „gegen einen solchen Ablauf (...) aus objektiver Sicht ergänzend auch (spricht), dass ein Bewusstsein der Mutter für die mit den Apfelstücken im Mund des Kindes verbundenen Gefahren bereits deshalb wenig plausibel erscheint, weil sie ihr Kind in einem solchen Fall vermutlich keine derart ungeeigneten Nahrungsmittel hätte zu sich nehmen lassen“. Mit der Nicht­zu­las­sungs­be­schwerde, über die der BGH zu entscheiden hätte, kann die Zulassung der Revision begehrt werden.

Quelle: Oberlandesgericht Frankfurt am Main, ra-online (pm/ab)

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