Oberlandesgericht Frankfurt am Main Beschluss22.10.2025
Keine Haftentlassung wegen Verstoß gegen Beschleunigungsgebot bei erst in Hauptverhandlung von Verteidigung offenbarter Beweismittel
Die Ausübung von Verfahrensrechten seitens der Verteidigung kann kein tragendes Argument sein, um einer Strafkammer Verzögerungen bei der Durchführung der Hauptverhandlung vorzuwerfen. Offenbart die Verteidigung erst in der Hauptverhandlung ein Beweismittel, liegt in der mit den weiteren Hauptverhandlungsterminen verbundenen Verlängerung der Untersuchungshaft kein Verstoß gegen den Beschleunigungsgrundsatz, entschied das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG).
Die Angeklagten befinden sich seit Anfang September 2024 in Untersuchungshaft. Ihnen wird vorgeworfen, dass sie kurz vor ihrer Festnahme u.a. einer Vertrauensperson der Polizei insgesamt 30 kg Kokain im Wert von ca. 800.000 € verkaufen wollten. Zur Absicherung des Kokokainhandels hätten sie ein Sturmgewehr AK-47 nebst Munition mit sich geführt. Am Übergabeort seien sie mit 25 kg Kokain, dem Sturmgewehr und Munition festgenommen worden. Bei der Durchsuchung eines naheliegenden Hotelzimmers seien neben weiteren 5 kg Kokain u.a. eine Geldzählmaschine aufgefunden worden.
Das Landgericht hatte im März 2025 die Anklage zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet. Aufgrund fehlender Verfügbarkeit mehrerer Verteidiger konnte die Hauptverhandlung erst Ende Juli 2025 beginnen. Unmittelbar vor dem geplanten Schluss der Hauptverhandlung nach sechs Hauptverhandlungstagen im August legte der Verteidiger eines Angeklagten erstmals Indizien, individualisierbare Merkmale und persönliche und berufliche Hintergründe einer namentlich benannten Person in Nordmazedonien vor. Er stellte einen Zusammenhang zwischen dieser Person und einer bisher unbekannten Person her, die im Zusammenhang mit dem streitigen Kokainhandel als Hintermann in Betracht kommen könnte. Das Landgericht hat darauf beschlossen, diesen Zeugen - mittels eines Rechtshilfeersuchens nach Nordmazedonien - zu vernehmen. Neue Hauptverhandlungstermine wurden für Dezember 2025 bestimmt.
Die Verteidigung hat daraufhin die Aufhebung der Haftbefehle beantragt und eine Verletzung des Beschleunigungsgrundsatzes gerügt. Dieser Antrag hatte keinen Erfolg. Der zuständige 2. Strafsenat hat die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet. Die Angeklagten seien des bewaffneten Handeltreibens mit rund 30 kg Kokain und des Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz dringend verdächtig, führte er aus. Es liege Fluchtgefahr vor. Es seien zudem die Voraussetzungen für eine Andauer der Untersuchungshaft über neun Monate hinaus gegeben. Das Verfahren sei den verfassungsrechtlichen Vorgaben gemäß mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung betrieben worden. Der Beginn der Hauptverhandlung Ende Juli 2025 sei Folge der davor bestehenden Verhinderung der Verteidiger gewesen.
Auch die Fortsetzung der Hauptverhandlung im Dezember 2025 verletze nicht den Beschleunigungsgrundsatz. Das Beschleunigungsgebot führe nicht zu einer Einschränkung der Aufklärungspflicht. Die vorliegende Verzögerung sei sachlich gerechtfertigt und nicht vermeidbar. Die mögliche Identifizierung eines denkbaren Hintermanns sei zudem erst durch die Angaben eines der Angeklagten, der nach bisherigen Bewertungen als "Bandenchef" in Betracht komme, eröffnet worden. Dass diese Offenbarung erst in der Hauptverhandlung erfolgte, sei eine Entscheidung der Verteidigung gewesen. "Das damit objektive eine Verzögerung des Verfahrens entsteht, ist Folge dieses Verteidigungshandelns", erläuterte der Senat. Hierdurch komme es zu einer Verlängerung der Untersuchungshaft als Folge der Ausübung der Verfahrensrechte durch die Verteidiger. Dies könne der Strafkammer nicht vorgeworfen werden.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 12.11.2025
Quelle: Oberlandesgericht Frankfurt am Main, ra-online (pm/pt)