18.10.2024
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Oberlandesgericht Celle Urteil15.11.2013

Land­tags­abgeordneter macht sich mit öffentlichem Aufruf zum "Schottern" strafbarAbgeordneter kann sich nicht auf landes­verfassungs­rechtliche Indemnitäts­vorschrift der Thüringischen Verfassung berufen

Ein Land­tags­abgeordneter, der auf einer Internetseite öffentlich zum "Schottern" - zum Entfernen von Schottersteinen aus dem Gleisbett einer Schienenstrecke - aufruft, macht sich strafbar. Dies entschied das Oberlan­des­gericht Celle und verwies darauf, dass sich der Landtags­ab­ge­ordnete bei Äußerungen außerhalb des Landtages nicht auf seine landes­verfassungs­rechtliche Indemnität, also seine strafrechtliche Verantwortungs­freiheit, berufen kann.

Dem Fall liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Etwa 1.780 Unterzeichner, darunter auch der Angeklagte - ein Abgeordneter der Partei "Die LINKE" im Thüringischen Landtag -, hatten sich im Jahr 2010 auf einer frei zugänglichen Internetseite mit ihren Namen in eine dort veröffentlichte Liste eingetragen, um die angekündigte "Schotter-Aktion" anlässlich des Castor­trans­portes zu unterstützen. Ziel der Aktion war es den damaligen Castor-Transport aufzuhalten. Durch Entfernung der Schottersteine aus dem Gleisbett der Schienenstrecke, sollte die Standfestigkeit des Gleisbettes derart beeinträchtigt werden, dass die Strecke unbefahrbar würde (so genanntes Schottern).

OLG: Aufruf zum "Schottern" stellt Straftat dar

Das Oberlan­des­gericht Celle hatte mit Beschluss vom 14. März 2013 entschieden, dass ein solcher Aufruf zum "Schottern" für sich schon eine Straftat darstellt.

Amtsgericht spricht Abgeordnetem vom Vorwurf der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten frei

Nachdem der Ausschuss für Justiz, Bundes- und Europaan­ge­le­gen­heiten des Thüringer Landtages auf Antrag der Staats­an­walt­schaft Lüneburg die Immunität des Angeklagten, also den Schutz eines Abgeordneten davor, ohne Genehmigung des Parlaments wegen einer Straftat verfolgt zu werden, aufgehoben hatte, sprach das Amtsgericht Lüneburg den Angeklagten mit Urteil vom 2. Mai 2013 vom Vorwurf der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten frei. Ihm komme der persönliche Straf­aus­schlie­ßungsgrund der Indemnität zugute, also die Straffreiheit bei Abstim­mungs­hand­lungen und Äußerungen im Parlament.

Gegen dieses Urteil hat die Staats­an­walt­schaft Sprungrevision eingelegt.

Abgeordnete dürfen grundsätzlich zu keiner Zeit wegen Äußerungen außerhalb des Landtags zur Verantwortung gezogen werden

Der 2. Strafsenat des Oberlan­des­ge­richts Celle hat nunmehr festgestellt, dass sich der Angeklagte nicht auf die landes­ver­fas­sungs­recht­lichen Indem­ni­täts­vor­schrift des Art. 55 Abs. 1 Thüringische Verfassung berufen kann. Nach Art. 55 Abs. 1 Thüringer Verfassung dürfen Abgeordnete zu keiner Zeit wegen ihrer Abstimmung oder wegen einer Äußerung, die sie im Landtag, in einem seiner Ausschüsse oder sonst in Ausübung ihres Mandats getan haben, gerichtlich oder dienstlich verfolgt oder sonst außerhalb des Landtags zur Verantwortung gezogen werden.

Regelung der Norm gilt nicht für Äußerungen außerhalb des Landtages

Der Regelungs­bereich dieser Norm sei nicht eröffnet, denn er sei auf das Abstim­mungs­ver­halten und Äußerungen aller Art im Landtag zu beschränken, also auf die öffentliche Debatte im Plenum, in den Ausschüssen und in den anderen Vorbe­rei­tungs­gremien, nicht aber auf Äußerungen außerhalb des Landtages, etwa in Wahlver­samm­lungen und anderen politischen Veranstaltungen in der Öffentlichkeit oder in der Partei oder anderen nicht­pa­r­la­men­ta­rischen Gremien. Hieraus folge, dass Äußerungen, die ein Abgeordneter außerhalb des Landtages und seiner Ausschüsse im öffentlichen Raum - zu dem auch das Internet zählt - tätigt, nicht geschützt seien.

Hinweis auf Abgeord­ne­ten­status nicht entscheidend

Hieran könne auch der Umstand nichts ändern, dass der Angeklagte nach den getroffenen Feststellungen seinen Eintrag in die Unter­stüt­zungsliste mit dem Zusatz "MdL Die LINKE.Thüringen" versehen hat, denn dieser Zusatz weise allein auf seinen Status als Landtagsabgeordneter hin, nicht aber auf einen vermeintlich geschützten Handlungs­bereich.

Landes­ver­fas­sungs­rechtliche Indem­ni­täts­normen hier nicht anwendbar

Der Strafsenat hat gleichzeitig zu erkennen gegeben, dass die Normen des Landes­ver­fas­sungs­rechts die Regelung des § 36 StGB weder einengen noch ausdehnen können, soweit es um die straf­recht­lichen Folgen der Indemnität geht. Der Bundes­ge­setzgeber habe von seiner Strafrechts-Kompetenz abschließend Gebrauch gemacht, sodass nach Artikel 31 des Grundgesetzes - Bundesrecht bricht Landesrecht - die landes­ver­fas­sungs­recht­lichen Indem­ni­täts­normen nicht anzuwenden seien.

Erläuterungen
Die so genannte Indemnität ist in § 36 des Straf­ge­setzbuchs geregelt. Dort heißt es: Mitglieder des Bundestages, der Bundes­ver­sammlung oder eines Gesetz­ge­bungs­organs eines Landes dürfen zu keiner Zeit wegen ihrer Abstimmung oder wegen einer Äußerung, die sie in der Körperschaft oder in einem ihrer Ausschüsse getan haben, außerhalb der Körperschaft zur Verantwortung gezogen werden. Dies gilt nicht für verleumderische Beleidigungen.

Quelle: Oberlandesgericht Celle/ra-online

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