21.11.2024
21.11.2024  
Sie sehen ein altes Ehepaar auf einer Parkbank.
ergänzende Informationen

Hessisches Landessozialgericht Urteil19.06.2018

Blasen­krebs­erkrankung eines Beschäftigten in der Gummiindustrie ist als Berufskrankheit anzuerkennenKontakt mit Gefahrenstoff 2-Naphthylamin in der Gummiindustrie kann auch bei Raucher wesentliche (Mit-)Ursache für Blasenkrebs sein

Berufs­krank­heiten sind - ebenso wie Arbeitsunfälle - Versi­che­rungsfälle der gesetzlichen Unfall­ver­si­cherung. Hierzu zählt auch ein Blasentumor durch aromatische Amine wie z.B. dem 2-Naphthylamin. Diesem Gefahrstoff waren Beschäftigte in der Gummiindustrie in den 1980er Jahren ausgesetzt. Nach aktuellem wissen­schaft­lichem Erkenntnisstand ist das Krebsrisiko bei Aufnahme dieses Gefahrstoffes mit dem größten kanzerogenen Potenzial deutlich erheblicher als bisher angenommen. Bereits eine mehrmonatige berufliche Einwirkung kann Blasenkrebs verursachen - auch bei einem Raucher. Dies geht aus einer Entscheidung des Hessischen Landes­sozial­gerichts hervor.

Dem Verfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde: Ein 59-jähriger Mann aus dem Main-Kinzig-Kreis arbeitete in den Jahren 1984 und 1986 während 14 Monaten in der Gummifertigung. Hierbei war er unter anderem dem Alterungs­schutz­mittel Phenyl-2-Napthylamin (P2NA) und dem darin enthaltenen 2-Naphthylamin - einem aromatischen Amin - ausgesetzt. Als 41-Jähriger erhielt er die Diagnose Blasentumor.

Die Berufsgenossenschaft lehnte eine Anerkennung als Berufskrankheit ab. Ein Sachver­stän­di­gen­gut­achten habe ergeben, dass die Exposition gegenüber 2-Naphthylamin zu gering gewesen sei. Wahrscheinlich sei die Erkrankung auf den Zigaret­ten­konsum zurückzuführen. Im sozial­ge­richt­lichen Verfahren, in dem weitere Gutachten eingeholt wurden, hatte der Mann zunächst keinen Erfolg.

Im Jahr 2011 stellte er einen Überprü­fungs­antrag, der von der Berufs­ge­nos­sen­schaft wiederum abgelehnt wurde.

Gefahrstoff 2-Naphthylamin ist im Hinblick auf kanzerogenes Potenzial größte Bedeutung zuzumessen

Das Hessische Landes­so­zi­al­gericht verurteilte nunmehr die Berufs­ge­nos­sen­schaft zur Anerkennung einer Berufskrankheit. Es sei hinreichend wahrscheinlich, dass der Gefahrstoff 2-Naphthylamin - zusammen mit dem Tabakkonsum - den Blasenkrebs bei dem erkrankten Mann verursacht habe. Der Gefahrstoff 2-Naphthylamin gehöre zu den Stoffen, denen im Hinblick auf ihr kanzerogenes Potenzial die größte Bedeutung zugemessen werde. In der MAK-Werte-Liste sei dieses Amin in die Kategorie 1 eingestuft. Nach dem BK-Report 1/2014 sei das Krebsrisiko beim Menschen nach Aufnahme von 2-Naphthylamin als deutlich erheblicher zu bewerten als bisher angenommen. Da der Gefahrstoff sehr gut durch die Hautpenetriere, käme zu der inhalativen Aufnahme die Belastung über den Hautkontakt hinzu. Zudem würde P2NA im Körper teilweise zu 2-Naphthylamin verstoff­wechselt. Nach neusten Studien sei ferner die Verbindung P2NA selbst hautgängig, bilde dort ein Depot und erhöhe darüber die Dosis von 2-Naphthylamin.

Zigaret­ten­konsum stellt kein überragendes Erkran­kungs­risiko dar

Auch wenn der Umfang der Gefahrstoff-Exposition im konkreten Fall nicht mehr genau festzustellen sei, sei nicht von einer nur geringen Menge auszugehen. Ferner gebe es über die Forderung nach einer Mindestdosis oder Schwellendosis in der Wissenschaft keinen Konsens. Der Tabakkonsum des Versicherten habe zwar ebenfalls zu einer Belastung mit 2-Naphthylamin geführt. Dieses außerberufliche Risiko sei jedoch nicht überragend gewesen, zumal er nur mäßig geraucht habe. Daher handele es sich bei der beruflichen Gefahr­stof­f­ex­po­sition um eine (Teil-)Ursache, die für die Krebserkrankung rechtlich wesentlich sei.

Hinweise zur Rechtslage

§ 7 Sozial­ge­setzbuch Siebtes Buch (SGB VII)

(1) Versi­che­rungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufs­krank­heiten.

§ 9 SGB VII

(1) Berufs­krank­heiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechts­ver­ordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufs­krank­heiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versi­che­rungs­schutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung wird ermächtigt, in der Rechts­ver­ordnung solche Krankheiten als Berufs­krank­heiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; [...]

§ 1 Berufs­krank­heiten Verordnung (BKV)

Berufs­krank­heiten sind die in der Anlage 1 bezeichneten Krankheiten [...].

Anlage 1 zur BKV

Nr. 1301: Schleim­haut­ver­än­de­rungen, Krebs oder andere Neubildungen der Harnwege durch aromatische Amine.

MAK-Werte

Die MAK-Werte der Deutschen Forschungs­ge­sell­schaft sind die maximalen Arbeitsplatz-Konzentrationen, die angeben, welche maximal zulässige Menge eines Stoffes in der Luft am Arbeitsplatz langfristig keinen Gesund­heits­schaden verursacht. Arbeitsstoffe, die sich beim Menschen als krebserzeugend erwiesen haben, werden in die Kategorie 1 eingestuft und erhalten keinen MAK-Wert.

Kategorie 1

Stoffe, die beim Menschen Krebs erzeugen und bei denen davon auszugehen ist, dass sie einen nennenswerten Beitrag zum Krebsrisiko leisten. Epide­mi­o­lo­gische Untersuchungen geben hinreichende Anhaltspunkte für einen Zusammenhang zwischen einer Exposition bei Menschen und dem Auftreten von Krebs. Andernfalls können epide­mi­o­lo­gische Daten durch Informationen zum Wirkungs­me­cha­nismus beim Menschen gestützt werden.

§ 44 Sozial­ge­setzbuch Zehntes Buch (SGB X)

(1) Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwal­tungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozia­l­leis­tungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. [...]

Quelle: Hessisches Landessozialgericht/ra-online

Nicht gefunden, was Sie gesucht haben?

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Urteil26128

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI