18.10.2024
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Sie sehen ein Justizia-Figur und im Hintergrund einen Mann am Telefon.

Dokument-Nr. 32096

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Landesarbeitsgericht Thüringen Urteil29.06.2022

Beleidigungen gegen Chef und Kollegen im Zuge menschen­un­würdiger Arbeits­be­din­gungen rechtfertigen keine fristlose KündigungErfor­der­lichkeit einer vorherigen Abmahnung

Beleidigungen eines Arbeitsnehmers gegen den Chef und Arbeitskollegen sind in einem milderen Licht zu sehen, wenn der Arbeitnehmer unter menschen­un­würdigen Arbeits­be­din­gungen leidet. In diesem Fall kann der Blick auf die Bedeutung der Äußerung verstellt sein. Der Arbeitnehmer kann aber abgemahnt werden. Dies hat das Thüringer Landes­arbeits­gericht entschieden.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Nachdem eine Arbeitnehmerin ein Kündi­gungs­schutz­ver­fahren vor dem Thüringer Landes­a­r­beits­gericht im November 2016 gewonnen hatte, wollte sie zu ihrem Arbeitsplatz zurückkehren. Sie musste jedoch feststellen, das sie nunmehr in einem verschimmelten Kellerraum, der einen Mäusebefall und nur eine Temperatur von 11 °C aufwies, Archivarbeiten vornehmen sollte. Später erhielt sie zwar ein Büro, musste aber über einen Hof schwere Akten transportieren, um die Archi­vie­rungs­a­r­beiten fortzuführen. Die Arbeitnehmerin wurde schließlich im November 2019 fristlos gekündigt, weil sie ihren Chef und Arbeitskollegen während eines Telefonats mit einer ehemaligen Arbeitskollegin beleidigt hatte. So äußerte sie, dass der Flur stinke, nachdem der Chef ihn betreten habe. Die Kollegen betitelte sie als "Fett" und "Blöd". Die Arbeitnehmerin erhob Kündi­gungs­schutzklage.

Arbeitsgericht gab Klage statt

Das Arbeitsgericht Nordhausen gab der Klage statt. Seiner Auffassung nach habe die Kündigung einer vorherigen Abmahnung bedurft. Gegen diese Entscheidung richtete sich die Berufung der Beklagten.

Landes­a­r­beits­gericht verneint ebenfalls Wirksamkeit der fristlosen Kündigung

Das Thüringer Landes­a­r­beits­gericht bestätigte die Entscheidung des Arbeitsgerichts. Die fristlose Kündigung sei mangels vorheriger Abmahnung unver­hält­nismäßig und daher unwirksam. Es sei zu beachten, dass die Klägerin menschen­un­würdig in einem kalten, verdreckten und gesund­heits­ge­fähr­denden Keller beschäftigt war. Obwohl dies keine Rechtfertigung für Beleidigungen sei, stelle es eine Zumutung dar. Entsprechend erhöht ist das Maß an Zumutbaren, welches die Beklagte hinzunehmen habe. Zudem könne in einem solchen Fall der Blick auf die Bedeutung der Äußerung verstellt sein.

Kein Kündigungsrecht wegen Beleidigung der Arbeitskollegen

Die Kündigung sei nach Ansicht des Landes­a­r­beits­ge­richts auch nicht deshalb gerechtfertigt, weil die Klägerin auch ihre Arbeitskollegen beleidigt hat. Zu Ihrem Gunsten sei zu berücksichtigen, dass durch die geschilderten Arbeitsbedingungen verständ­li­cherweise die Unzufriedenheit im Arbeits­ver­hältnis extrem groß war und dass dies zu einer emotionalen außer­ge­wöhn­lichen Situation führte.

Quelle: Landesarbeitsgericht Thüringen, ra-online (vt/rb)

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