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18.01.2025  
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Landessozialgericht Baden-Württemberg Urteil19.06.2018

Versicherter mit Multipler Sklerose hat Anspruch auf Versorgung mit technisch aufwändigem Fußheber-SystemVersor­gungs­an­spruch stehen weder Wirtschaft­lichkeits­gesichts­punkte noch fehlende positive Empfehlung des Gemeinsamen Bundes­aus­schusses entgegen

Das Landes­so­zi­al­gericht Baden-Württemberg hat entschieden, dass Versicherte, die an fortge­schrittener Multipler Sklerose leiden Anspruch darauf haben, von der Krankenkasse mit einem modernen, technisch aufwändigen Fußheber-System Ness L 300 versorgt zu werden. Dem Anspruch stehen weder Wirtschaft­lichkeits­gesichts­punkte entgegen, noch, dass der Gemeinsame Bundesausschuss keine positive Empfehlung abgegeben hat.

Den Verfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die beiden 1972 und 1978 geborenen Frauen sind vor ca. 15 Jahren an Multipler Sklerose erkrankt, die stetig fortschreitet. Die Gehfähigkeit ist jeweils stark beeinträchtigt. Sie beantragten 2014 bzw. 2015 bei ihren jeweiligen Krankenkassen, gestützt auf ärztliche Verordnungen, die Versorgung mit dem Fußheber-System Ness L 300 als Hilfsmittel (Kostenpunkt ca. 5.500 Euro, zuzüglich verschiedener Zusatzkosten, wie Einweisung, Anpassung, Software-Update). Das System sendet drahtlos kleine elektrische Impulse an den Wadenbeinnerv und stimuliert dadurch die Fußheber. Es erfasst in Echtzeit die Gehposition, die verschiedenen Gehge­schwin­dig­keiten sowie Änderungen in der Unter­grund­be­schaf­fenheit.

Krankenkassen lehnen Versorgung mit gewünschtem Fußheber-System ab

Die Krankenkassen lehnten die Anträge ab und begründeten dies damit, dass herkömmliche kosten­güns­tigere und für die Versorgung ausreichende Fußhebeorthesen oder Peronäus­schienen zur Verfügung stünden. Außerdem habe der Gemeinsame Bundesausschuss keine positive Empfehlung für diese Art der Kranken­be­handlung abgegeben.

Vorinstanzen geben Klägerinnen Recht

Bereits die Sozialgerichte in Freiburg und Stuttgart gaben den Klägerinnen in erster Instanz Recht und verurteilten die Krankenkassen, das neue Fußheber-System ihren Versicherten zur Verfügung zu stellen. Die Krankenkassen haben in der Berufung auf die aus ihrer Sicht grundsätzliche Bedeutung der Rechtssachen hingewiesen.

Fußheber-System dient als Hilfsmittel zum unmittelbaren Behin­de­rungs­aus­gleich und nicht der eigentlichen Kranken­be­handlung

Die Berufungen blieben jeweils erfolglos. Auch das Landes­so­zi­al­gericht Baden-Württemberg gab den Versicherten Recht. Eine positive Empfehlung des Gemeinsamen Bundes­aus­schusses sei nicht erforderlich, da vorliegend nicht eine (neue) Methode der Kranken­be­handlung in Frage stehe. Das Fußheber-System könne keine positive Auswirkung auf den Verlauf der MS-Erkrankung selbst haben. Es diene nicht der eigentlichen Kranken­be­handlung, sondern habe als Hilfsmittel zum unmittelbaren Behin­de­rungs­aus­gleich das Ziel, die Gehfähigkeit und Mobilität der Versicherten zu verbessern. Im Bereich des unmittelbaren Behin­de­rungs­aus­gleichs dürften Versicherte laut Gericht nicht auf kosten­güns­tigere, aber weniger wirksame Hilfsmittel verwiesen werden, sondern haben Anspruch auf einen möglichst weitgehenden Ausgleich des Funkti­o­ns­de­fizits unter Berück­sich­tigung des aktuellen Stands des medizinischen und technischen Fortschritts. Das Landes­so­zi­al­gericht zeigte sich überzeugt davon, dass das neue Fußheber-System entscheidende Verbesserungen für die Gehfähigkeit und Mobilität der Versicherten mit sich bringt und die Versorgung daher erforderlich und gerechtfertigt ist.

Gutachten und Video­do­ku­men­ta­tionen spielten wichtige Rolle bei Beurteilung des Sachverhalts

In beiden Fällen haben medizinische Gutachten und auch Video­do­ku­men­ta­tionen eine wichtige Rolle bei der Beurteilung des Sachverhalts gespielt. In der Rechtssache L 4 KR 531/17 war bereits 2014 im Verwal­tungs­ver­fahren eine Video­do­ku­men­tation angefertigt worden; in der Rechtssache L 11 KR 1996/17 hat das Gericht im Berufungs­ver­fahren die Erstellung einer Video­do­ku­men­tation veranlasst und diese in der der mündlichen Verhandlung im Sitzungssaal an einem großen Monitor abgespielt und mit den Beteiligten erörtert.

Sozial­ge­setzbuch Fünftes Buch (SGB V)

Gesetzliche Kranken­ver­si­cherung

§ 33 Absatz 1 Satz 1 und 5:

Versicherte haben Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körpe­rer­satz­stücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Kranken­be­handlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchs­ge­gen­stände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 ausgeschlossen sind. […] Der Anspruch umfasst auch zusätzlich zur Bereitstellung des Hilfsmittels zu erbringende, notwendige Leistungen wie die notwendige Änderung, Instandsetzung und Ersatz­be­schaffung von Hilfsmitteln, die Ausbildung in ihrem Gebrauch und, soweit zum Schutz der Versicherten vor unvertretbaren gesund­heit­lichen Risiken erforderlich, die nach dem Stand der Technik zur Erhaltung der Funkti­o­ns­fä­higkeit und der technischen Sicherheit notwendigen Wartungen und technischen Kontrollen.

Quelle: Landessozialgericht Baden-Württemberg/ra-online

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