23.11.2024
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Landgericht München I Urteil21.07.2005

5000,- EUR Schmerzensgeld für Zwangs-Outing

Das Landgericht München I hat einem Münchner, der durch eine Presse­ver­öf­fent­lichung in seinen Persön­lich­keits­rechten verletzt wurde, 5.000,- € Schmerzensgeld sowie 200 € entgangenes Honorar zugesprochen.

Eine große Münchner Boule­va­rd­zeitung hatte am 22.06.2004 unter der Überschrift "So leben Schwule und Lesben in München" über die Ergebnisse einer von der Landes­hauptstadt München in Auftrag gegebenen Studie berichtet. Dabei druckte sie ohne Einwilligung des Klägers ein Bild, das am 31.08.2002 am Rande der Parade zum Christopher Street Day (CSD) in Würzburg aufgenommen worden war. Es zeigt den Kläger in inniger Umarmung mit einem anderen Mann. Beide sind gut erkennbar, während die Personen im Hintergrund verschwommen retouchiert wurden. Die von dem beklagten Verlag vertriebene Zeitung versah das Foto, das fast die Hälfte der Zeitungsseite einnimmt, mit dem Text: "Trotz aller Offenheit, mit der große Teile der Gesellschaft inzwischen schwulen Pärchen begegnen: 60 Prozent der Schwulen erleben immer noch Situationen, in denen sie große Angst haben, als Homosexueller erkannt zu werden."

Dies sollte sich als - wenn auch unbeab­sich­tigter - Zynismus erweisen. Die Eltern des Klägers, deren Glaubens­ge­mein­schaft Homosexualität streng ablehnt, und sein weiterer Bekanntenkreis erfuhren erst aus der Zeitung von den durch das Bild nahe gelegten Neigungen des Klägers. Dieser hatte sich diesbezüglich nur seinen engeren Freunden gegenüber offenbart. Als Selbständiger, dessen Kundenstamm zum großen Teil aus älteren und ausländischen Mitbürgern besteht, hatte der Kläger es nach seinem Vortrag bewusst vermieden, an öffentlichen Veranstaltungen von Homosexuellen in München und Umgebung teilzunehmen. Tatsächlich seien seine Umsätze nach dem durch die Bildver­öf­fent­lichung erzwungenen Coming Out im zweiten Halbjahr 2004 um 12.000 € eingebrochen.

Die für Verletzungen des Rechts am eigenen Bild zuständige 7. Zivilkammer des Landgerichts München I sah in der Bildbe­rich­t­er­stattung einen schwerwiegenden Eingriff in das allgemeine Persön­lich­keitsrecht des Klägers, der die Verhängung eines Schmer­zens­geldes rechtfertigt; denn eine bloße Verurteilung zur Unterlassung oder zum Widerruf würde die erforderliche Genugtuungs- und Abschre­ckungs­wirkung nicht entfalten. Zur Begründung führte die Kammer aus:

"Durch die streit­ge­gen­ständliche Berich­t­er­stattung wurde der Kläger der allgemeinen Öffentlichkeit und insbesondere seinen Eltern als Münchner "Vorzeige"-Homosexueller vorgestellt. Unstreitig haben die Eltern des Klägers dadurch erstmals von dessen Homosexualität erfahren. Die Frage, ob, wann und wie man sich gegenüber seinem sozialen bzw. beruflichen Umfeld, insbesondere aber den eigenen Eltern gegenüber als homosexuell outet, zählt auch im Zeitalter einer immer weiter forts­chrei­tenden Liberalisierung der Gesellschaft in diesen Fragen zum Intimbereich. Der Intimbereich einer Person ist jedoch als Ausfluss der Unantastbarkeit der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) grundsätzlich jeglichem Eingriff durch den Staat oder Dritte, insbesondere der Presse, entzogen. Eingriffe in den Intimbereich sind nur im extremen Ausnahmefall zu rechtfertigen."

Solche Recht­fer­ti­gungs­gründe sahen die Richter im vorliegenden Fall nicht. Die bloße Teilnahme an der Veranstaltung im Jahr 2002 in Würzburg hätte allenfalls eine Bildver­öf­fent­lichung rechtfertigen können, wenn diese seinerzeit im Zusammenhang mit einer Berich­t­er­stattung über dieses konkrete Ereignis erfolgt wäre. Selbst dann wäre es aber nicht zulässig gewesen, von gewöhnlichen Teilnehmern oder Zuschauern der Veranstaltung, die sich in keiner Weise auffällig verhielten, ohne deren Einwilligung Portrait­auf­nahmen herzustellen und zu veröffentlichen, bei denen die Personen durch die Wahl des Bildaus­schnittes und die Bearbeitung des Hintergrundes gezielt aus der anonymen Menge herausgeholt wurden. Eine klare Absage erteilten die Richter Versuchen, aus der bloßen Teilnahme am CSD eine zeitlich, örtlich und inhaltlich losgelöste allgemeine Einwilligung zu jedweder Berich­t­er­stattung über das Thema Homosexualität herzuleiten:

"Die Argumentation der Beklagten, alle Teilnehmer eines derartigen Umzugs gäben durch ihre Teilnahme eine konkludente generelle Einwilligung dahingehend ab, dass die Medien über die Personen, die an diesen Umzug teilgenommen haben, in der hier streit­ge­gen­ständ­lichen Art und Weise durch großformatige Abbildungen ihrer selbst berichten, ist abwegig. Der gewöhnliche Teilnehmer, der auch nicht notwen­di­gerweise homosexuell veranlagt zu sein braucht - so nehmen an CSD-Umzügen z.B. regelmäßig Politiker der unter­schied­lichsten Parteien teil - rechnet jedoch mit keiner weitergehenden Bildnis­ver­breitung, als sie § 23 Abs. 1 Nr. 3 KUG gestattet. Er wünscht diese auch in der Regel nicht. Denn mit seiner Teilnahme am CSD-Umzug, der den Status einer grundgesetzlich geschützten Demonstration hat, bekundet der durch­schnittliche Teilnehmer zunächst einmal nur, dass er sich dem Anliegen der Schwulen- und Lesbenbewegung auf Anerkennung und Einräumung gleicher Rechte und Pflichten verbunden fühlt und dieses Anliegen unterstützt. Eine konkludente Einwilligung in eine bildliche Herausstellung als Homosexueller in einer auflagenstarken Tageszeitung ist darin nicht zu erblicken."

Die Höhe des Schmer­zens­geldes setzte die Kammer beim Doppelten des vom BGH als Mindestbetrag Vorgegebenen an. Sie folgte insoweit dem Kläger, der ein Schmerzensgeld von mindestens 5.000,- € beantragt hatte. Verdien­st­ausfall sprachen die Richter ihm allerdings nicht zu, da aus den nur ausschnittsweise für wenige Monate vorgelegten Umsatzzahlen nicht mit ausreichender Wahrschein­lichkeit auf einen durch die verletzende Berich­t­er­stattung bewirkten Schaden geschlossen werden konnte. Auch die klägerische Vorstellung, der Wert des entgangenen Honorars sei mit 2.000,- € zu veranschlagen, rückten die Richter zurecht:

"Es ist demnach, da Sachvortrag hierzu fehlt, gem. § 287 Abs. 1 ZPO zu schätzen, welchen Betrag vernünftige Vertrags­parteien für die Erlaubnis zur streit­ge­gen­ständ­lichen Bildnis­ver­öf­fent­lichung vereinbart hätten. Die Kammer schätzt diesen Betrag auf 200,- EUR. Es ist davon auszugehen, dass der Fotograf der Aufnahme gem. Anlage B 1 im Jahre 2002 in Würzburg ohne weiteres Teilnehmer des Umzugs hätte finden können, die sich - z.B. aus Gründen der Selbst­dar­stellung - für die streit­ge­gen­ständliche Bildnis­ver­öf­fent­lichung unentgeltlich zur Verfügung gestellt hätten; jedenfalls wäre ihm dies bei Zahlung eines Honorars in Höhe von EUR 200,- pro Person sicherlich gelungen."

Quelle: Pressemitteilung des Landgerichts München I vom 09.08.2005

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