21.11.2024
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Sie sehen die Silhouette einer Person, welche an einer Wand mit vielen kleinen Bildern vorbeigeht.
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Landgericht Frankfurt am Main Urteil07.01.2004

Ton- und Bildübertragung aus Haupt­ver­sammlung zulässig

Die Nichtig­keitsklage gegen die in der Haupt­ver­sammlung einer Aktien­ge­sell­schaft beschlossene Gestattung der Ton- und Bildübertragung wurde vom Landgericht Frankfurt am Main abgewiesen.

Der Kläger ist Aktionär der beklagten Aktien­ge­sell­schaft. In der Haupt­ver­sammlung 2003 wurde eine Änderung der Satzung der Beklagten beschlossen:

Die Haupt­ver­sammlung kann auszugsweise oder vollständig in Ton und Bild übertragen werden. Die Entscheidung darüber trifft der Vorsitzende des Aufsichtsrats. Die Übertragung kann auch in einer Form erfolgen, zu der die Öffentlichkeit uneingeschränkt Zugang hat. Die Form der Übertragung ist mit der Einladung bekannt zu machen.

Der Kläger trug vor, diese Satzungs­be­stimmung verletzte ihn in seinem allgemeinen Persön­lich­keitsrecht und auch in seinem Recht auf informationelle Selbst­be­stimmung. Die neu in die Satzung aufgenommene Vorschrift sei jedenfalls insoweit rechtswidrig, als sie ihm zumute, sich bei etwaigen Redebeiträgen den Medien stellen zu müssen und damit eine öffentliche Verbreitung seines Redebeitrags unter Zur-Schau- Stellung seiner Person in uneingeschränkt öffentlicher Form hinnehmen zu müssen, sollte sich der Aufsichtsrat bei der Vorbereitung der zukünftigen Haupt­ver­samm­lungen der Beklagten hierzu entschließen. Er befürchte, sich nicht mehr frei und unbefangen äußern zu können, weil er sich, ohne daß dies im übrigen auch mit dem Sinn und Zweck der Haupt­ver­sammlung als privater Veranstaltung der Aktionäre in Einklang zu bringen wäre, öffentlicher Kontrolle durch die Medien ausgesetzt sähe. Es liege auf der Hand, daß dann, wenn derartige Veranstaltungen nicht mehr partei­öf­fentlich sondern generell öffentlich unter massenmedialer Verbreitung durchgeführt werden, gerade der Einzelne, der sich als Wahrer seiner partikularen Interessen verstehe und auch nach dem Gesetz verstehen solle, plötzlich übermächtiger öffentlicher und auch sozialer Kontrolle ausgesetzt sähe. Dies sei ein Eingriff in die im Rahmen der Eigen­tums­ga­rantie verbriefte Position der Mitei­gen­tü­me­rei­gen­schaft eines Aktionärs, für den auf diese Weise de facto die Beteiligung an der Erörterung der Angelegenheiten der Gesellschaft erschwert werde. So habe er in der Haupt­ver­sammlung einer anderen Aktien­ge­sell­schaft dem Vorstand vorgehalten, die Kosten seien zu hoch und eine Perso­na­l­re­du­zierung verlangt. Einen solchen Redebeitrag würde er sich vielleicht nicht mehr trauen, wenn das öffentlich würde und er dann als Person „am Pranger“ der öffentlichen oder veröf­fent­lichten Meinung stünde.

Dem konnte das Gericht nicht folgen. Im Urteil wird ausgeführt:

Eine – isolierte – Verfas­sungs­wid­rigkeit der Ermäch­ti­gungsnorm im Aktiengesetz besteht nicht. Die Regelung selbst greift in keinerlei Rechte ein; sie gestattet es vielmehr den Aktionären, die Satzung ihrer Aktien­ge­sell­schaft so zu fassen, daß eine unbeschränkte Übertragung der Haupt­ver­sammlung in Wort und Bild erfolgen darf. Die darauf gestützte Änderung der Satzung verletzt weder das Eigentumsrecht des Klägers in Form der mitglied­s­chaft­lichen Stellung des Klägers als Aktionär der Beklagten noch sein allgemeines Persön­lich­keitsrecht oder sein Recht auf informationelle Selbst­be­stimmung.

Das Recht des Aktionärs, Informationen über die Angelegenheiten der Gesellschaft, an der er beteiligt ist, zu erhalten, ist ein wesentlicher Bestandteil des Mitglied­s­chafts­rechts. Informationen sind für den Gesellschafter eine unerläßliche Voraussetzung für die Wahrnehmung seiner mitglied­s­chaft­lichen Rechte. Nur ein über die Angelegenheiten der Gesellschaft unterrichteter Gesellschafter kann die ihm obliegenden Aufgaben im Rahmen des gemeinsamen Gesell­schafts­zwecks erfüllen. Zugleich korrespondiert das Infor­ma­ti­o­nsrecht aber auch mit den vermö­gens­recht­lichen Ansprüchen, die die Gesell­schafts­be­tei­ligung vermittelt. Die Dispo­si­ti­o­ns­freiheit über den Eigen­tums­ge­genstand, die das Grundrecht schützt, liefe praktisch leer, wenn sich ein Aktionär kein Bild über das Unternehmen, an dem er beteiligt ist, machen könnte. Der Schutz des Eigentums umfaßt mithin auch das Recht eines Aktionärs, Informationen über seine Gesellschaft zu erhalten.

Zum Recht auf den Erhalt von Informationen gehört spiegelbildlich das Recht des Aktionärs, diese Informationen zu erfragen. Damit ist auch das vom Kläger reklamierte Recht, durch Fragen und Anregungen Informationen über seine Gesellschaft zu erhalten grundrechtlich durch die Eigen­tums­ga­rantie geschützt. Auch bei der – vom Kläger geschilderten – mittelbaren Beein­träch­tigung der Ausübung des Fragerechts durch die denkbare „Prangerwirkung“, die mit der unbeschränkten öffentlichen Bild- und Tonübertragung verbunden sein könnte, ginge vom Aktiengesetz kein direkter Eingriff aus, sondern erst im Zusammenspiel mit der Satzung in der angegriffenen Fassung. Da die Mehrheit der Aktionäre der Beklagten die Satzung­s­än­derung gutgeheißen hat und sich dabei ebenso wie der Kläger auf ihre grundrechtlich geschützte Infor­ma­ti­o­ns­freiheit, die sie vielleicht gerade durch die unbeschränkte Bild- und Tonübertragung gesichert sehen, berufen können, müßte der Konflikt nach den Regeln der praktischen Konkordanz sowie den Grundsätzen der Verhält­nis­mä­ßigkeit aufgelöst werden.

Danach könnte der Kläger den von ihm geschilderten und sicher ernst zu nehmenden Konflikt leichter lösen als die Mehrheit der Aktionäre der Beklagten, die zumindest keine Einwände gegen eine auch unbeschränkte Bild- und Tonübertragung haben. Er könnte sich in jeder Haupt­ver­sammlung durch einen anderen vertreten lassen, der bereit und willens ist, die gewünschten Beiträge des Gesellschafters vorzutragen, ohne daß mit derselben Öffentlichkeit der Kläger selbst persönlich bekannt würde. Das ginge sogar so weit, daß der Kläger durch diesen Vertreter Anfech­tungsklage erheben könnte, er also auch in Folge des Redebeitrags in der Haupt­ver­sammlung keine Offenbarung seiner Person zu befürchten hätte.

Das Recht auf informationelle Selbst­be­stimmung ist ebenfalls nicht verletzt. Das Grundgesetz schützt neben dem Recht am eigenen Bild auch das Recht am gesprochenen Wort. Gewährleistet wird die Selbst­be­stimmung über die eigene Darstellung der Person in der Kommunikation mit anderen. Der Schutz umfaßt die Möglichkeit, sich in der Kommunikation nach eigener Einschätzung situa­ti­o­ns­an­ge­messen zu verhalten und sich auf den jeweiligen Kommu­ni­ka­ti­o­ns­partner einzustellen. Zum Grundrecht gehört die Befugnis, selbst zu bestimmen, ob der Kommu­ni­ka­ti­o­ns­inhalt einzig dem Gespräch­s­partner, einem bestimmten Personenkreis oder der Öffentlichkeit zugänglich sein soll. Das Selbst­be­stim­mungsrecht erstreckt sich also auf die Auswahl der Personen, die Kenntnis vom Gesprächinhalt erhalten sollen. Der Schutz richtet sich gegen das heimliche Aufnehmen und das Verwerten des aufgenommenen Wortes ohne oder gar gegen den Willen des Sprechenden, aber auch dagegen, daß eine dritte Person derart in das Gespräch einbezogen oder es deinem Dritten zugänglich gemacht wird. Verhält sich ein Sprecher aber so, daß seine Worte von unbestimmt vielen Menschen ohne besondere Bemühungen gehört werden können, hat er sich das Zuhören selbst zuzuschreiben. So aber liegt es bei Redebeiträgen auf Haupt­ver­samm­lungen von Aktien­ge­sell­schaften. Die Zahl der anwesenden Aktionäre speziell bei Publi­kums­ge­sell­schaften wie der Beklagten ist grundsätzlich unbestimmt. Öffentlichkeit war auch bisher schon immer durch die regelmäßig zugelassenen Presse- und Medienvertreter hergestellt. Haupt­ver­samm­lungen waren noch nie private Veranstaltungen, wie der Kläger meint. Die Neufassung der Satzung der Beklagten bringt insoweit nur einen quantitativen Unterschied; der vom Kläger gefürchtete „Prangereffekt“ hätte auch bisher schon durch Presse­ver­öf­fent­li­chungen eintreten können.

Quelle: Pressemitteilung des LG Frankfurt/Main vom 29.10.2004

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