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Landgericht Frankfurt am Main Urteil27.01.2006
Diffamierende Kritik ist unzulässigZur Abgrenzung der freien Meinungsäußerung zur Schmähkritik
Ein Publizist darf einen Autor und dessen Verleger nicht mit Äußerungen kritisieren, die den Tatbestand der Schmähkritik erfüllen und diesen eine Nähe zu einer nationalsozialistischen, judenfeindlichen Gesinnung unterstellt.
Dies hat das Landgericht Frankfurt am Main im Rahmen zweier einstweiligen Verfügungsverfahren entschieden.
Die Verfügungskläger machen Unterlassungsansprüche wegen Persönlichkeits- und Ehrverletzung geltend. Den Verleger und den Beklagten verbindet eine langjährige Bekanntschaft und Auseinandersetzung. Der Beklagte ist Publizist und Mitherausgeber einer Internetseite. Dort veröffentlichte er am 13.07.2005 in der Rubrik „Online-Tagebuch“ einen Bericht mit der Überschrift „Holo mit H. – Wie zwei Juden für die Leipziger den Hitler machen“. In dem Artikel heißt es: „Mein alter Freund A. M. hat da eine Lücke [im Antisemitismus] entdeckt, die er fleißig mit braunem Dreck füllt“. Der Verleger sowie der Autor Dr. H. M. werden als „Kapazitäten für angewandte Judeophobie“ bezeichnet. Anlass für die Äußerungen war eine Vortragsveranstaltung an der Leipziger Universität, bei der die Kläger zusammen aufgetreten waren. In einem Vortrag, der von dem Verleger eingeleitet wurde, kritisierte der Autor die gegenwärtige israelische Politik. Im Mittelpunkt seines Vortrags stand die Unterscheidung zwischen einem „guten“ und einem grausamen, ethnozentrischen, blut- und bodenanbetendem Judentum, das angeblich die gegenwärtige israelische Politik präge. Der Verleger schloss sich in seiner Einleitung des Vortrages der Kritik an Israel an, indem er die heutige Situation in Israel mit der kurz nach der Machtergreifung 1933 in Deutschland verglich.
Die Kammer hat ihre einstweilige Verfügungen vom 05.09.2005 teilweise aufrechterhalten und es dem Beklagten untersagt, wörtlich oder sinngemäß die Behauptung aufzustellen und/oder zu verbreiten, dass der Verleger Lücken im Antisemitismus mit braunem Dreck fülle und die Kläger Kapazitäten für angewandte Judeophobie seien. Hinsichtlich der weiteren Äußerung, dass die Kläger mit Hitler zu vergleichen seien, hat die Kammer die erlassene einstweilige Verfügung aufgehoben.
Die Kammer führt in ihrer Entscheidung aus:
Erläuterungen
Bei den verfahrensgegenständlichen Äußerungen des Beklagten, der Kläger fülle Lücken im Antisemitismus mit braunem Dreck, er sei eine Kapazität für angewandte Judeophobie und mache für die Leipziger den Hitler, handelt es sich durchwegs um die subjektive Bewertung des Verhaltens des Klägers. Solche Meinungsäußerungen genießen den Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG. Erst dort, wo die Grenze zur Schmähkritik überschritten wird, ist eine Meinungsäußerung dem Verbot zugänglich. (…) Eine Schmähkritik liegt nur vor, wenn es bei einer Äußerung nicht mehr um die Auseinandersetzung in der Sache geht, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht.
Diese Grenze zur Schmähkritik ist hinsichtlich der Äußerung, der Kläger fülle "Lücken im Antisemitismus mit braunem Dreck", überschritten. (...) Mit der Äußerung, (…), wird dem Kläger, nicht wie vom Beklagten behauptet, „lediglich“ eine „koschere Form des Antisemitismus“, zugeschrieben bzw. ein Verhalten, das dem Antisemitismus Vorschub leistet. Vielmehr ist die Äußerung als der Vorwurf zu verstehen, der Kläger äußere antisemitische Meinungen, die mit denen der Nationalsozialisten zu vergleichen seien. Durch die Wahl des Ausdrucks „brauner Dreck“ wird auf nationalsozialistisches Gedankengut Bezug genommen. (…) Wer einer Person eine nationalsozialistische Gesinnung in Form von Antisemitismus zuschreibt, impliziert damit, dass diese Person die im Namen des Nationalsozialismus an den Juden begangenen Verbrechen gutheißt. Eine solche Äußerung kann aufgrund des historischen Bedeutungsgehaltes in Deutschland nur negativ und diskreditierend verstanden werden.
(...) Auch ist die Grenze zur Schmähkritik hinsichtlich der Äußerung (…), der Kläger sei eine „Kapazität für angewandte Judeophobie“, überschritten. Damit wird diesem vorgeworfen, er habe eine besonders intensive judenfeindliche Einstellung. Das Wort „Judeophobie“ bedeutet zwar wörtlich „krankhafte Angst“ vor den Juden, es wird jedoch auch synonym mit „Antisemitismus“ gebraucht. Seit dem Erscheinen des Buches von Pierre-André Taguieff mit dem Titel „La Nouvelle Judéophobie“ wird es insbesondere auch als Bezeichnung für eine neue Form der antijüdischen Einstellung benutzt, bei der sich Antisemitismus mit Antizionismus verbindet.
(…) Bei der hier zu beurteilenden Bezeichnung als "Kapazität für angewandte Judeophobie" steht durch die Betonung des Wortes "Kapazität" und des Attributes „angewandte“ Judeophobie zur Überzeugung der Kammer die herabsetzende Äußerung und die Diffamierung der Person des Klägers - jenseits polemischer und überspitzter Kritik - im Vordergrund, zumal der Beklagte in seinem Artikel ausführt, dass er vorgehabt habe, sich diese beiden Kapazitäten für angewandte Judeophobie aus der Nähe anzusehen, aber leider wegen eines Malheurs kurzfristig habe umdisponieren müssen. Mit dieser - sarkastischen - Bezeichnung als "Kapazität" soll offenbar der Kläger als vermeintlich besonders großer Antisemit gekennzeichnet und erheblich diskreditiert werden.
(…) Soweit der Kläger die Unterlassung der Äußerung in der Überschrift „Wie zwei Juden für die Leipziger den Hitler machen“ begehrt, (…) besteht kein Unterlassungsanspruch, weil insoweit der Beklagte die Grenze zur Schmähkritik nicht überschritten hat. Bei der Auslegung der Überschrift des Artikels ist maßgeblich auf das Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums und nicht auf die subjektive Absicht des sich Äußernden und auch nicht auf das subjektive Verständnis der von der Äußerung Betroffenen abzustellen. (…) Unter Beachtung dieser Grundsätze ist der Überschrift in der Veröffentlichung des Beklagten ein Vergleich des Klägers mit Adolf Hitler nicht zu entnehmen. Mit der plakativen, drastisch überzogenen Formulierung in der Überschrift seines Artikels versucht der Beklagte in erster Linie in provokanter Weise Aufmerksamkeit für seine Kritik an dem Kläger und dem Autor Dr. M. und deren Auftritt auf einem Podium in der Leipziger Universität zu erzielen. Ein tatsächlicher Vergleich des Klägers mit dem Handeln und Wirken des Massenmörders im Dritten Reich, wie „der Kläger ist ein Antisemit wie Hitler“ oder „ein Volksverhetzer wie Hitler“, ergibt sich zur Überzeugung der Kammer - auch bei sinngemäßer Auslegung- nicht aus der metaphorischen Formulierung "für die Leipziger den Hitler machen".“
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 06.03.2006
Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 02/06 des LG Frankfurt am Main vom 27.01.2006
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