23.11.2024
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Landgericht Berlin Urteil08.05.2008

Privates Kreditinstitut zur Einrichtung eines Girokontos auf Guthabenbasis verpflichtetJeder hat Anrecht auf ein Konto - auch bei Privatbanken

Auch ein privates Kreditinstitut muss einem "unerwünschten" Kunden ggf. ein Girokonto auf Guthabenbasis einrichten. Dazu ist es unter dem Gesichtspunkt des Kontra­hie­rungs­zwangs verpflichtet. Dies hat das Landgericht Berlin entschieden.

Der arbeitslose Kläger hatte ein Girokonto bei einem privaten Bankinstitut eröffnet. Auf dem Konto gingen u.a. die monatlichen Zahlungen des Job-Centers ein. Nachdem Gläubiger das Konto gepfändet hatten, sah die später verklagte Bank keine Perspektive, dass in absehbarer Zeit die Pfändung aufgehoben werden könne. Daraufhin kündigte sie das Konto. Der Kläger bemühte sich sodann, ein Girokonto zu eröffnen, was die Bank ablehnte. Im Wege der einstweiligen Verfügung beantragte der Kläger daraufhin, bis zur Entscheidung in der Hauptsache das bestehende Konto auf Guthabenbasis fortzuführen, hilfsweise bis dahin entsprechend ein neues Girokonto einzurichten. Diesen Antrag wies das Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg in erster Instanz zurück. Das Landgericht Berlin hob das Urteil auf und verpflichtete die Bank zur Einrichtung eines Girokontos für den Kläger. Die Bank sei, so das Landgericht Berlin, ausnahmsweise verpflichtet, dem Kläger die Führung eines Kontos auf Guthabenbasis (d.h. ohne das Recht zur Überziehung) zu ermöglichen.

Empfehlung des ZKA ist nicht rechts­ver­bindlich

Dies ergebe sich allerdings nicht unmittelbar aus der Empfehlung des ZKA (Zentraler Kreditausschuss) zum sogenannten "Girokonto für Jedermann". Der ZKA ist ein Zusammenschluss der Spitzenverbände der deutschen Banken. Es sei weder ersichtlich, dass die beklagte Bank Mitglied eines der Bundesverbände sei, noch sei ersichtlich, dass und auf welcher Grundlage der Bundesverband bzw. der ZKA rechts­ver­bindliche Erklärungen für eine einzelne Bank abgeben könne.

Keine Verpflichtung zum Abschluss eines Kontos aus Gesetz

Auch bestehe für Banken grundsätzlich keine gesetzliche Verpflichtung zum Abschluss eines Girovertrags. Eine solche Verpflichtung sei bislang lediglich in einigen Bundesländern - nicht aber in Berlin - für öffentlich-rechtliche Sparkassen in die dort geltenden Sparkas­sen­ver­ord­nungen aufgenommen worden. Für Privatbanken gebe es eine vergleichbare gesetzliche Regelung nicht.

Negative Vertrags­freiheit versus Kontra­hie­rungszwang

Jedoch sei die beklagte Bank unter dem Gesichtspunkt des Kontra­hie­rungs­zwangs ausnahmsweise verpflichtet, dem Kläger die Führung eines Kontos auf Guthabenbasis zu ermöglichen. Im bürgerlichen Recht gelte im Grundsatz zwar die negative Vertrags­freiheit, d.h. der Empfänger eines Angebots könne wählen, ob er es annehme oder nicht. Ausnahmsweise könne aber auch ohne eine gesetzliche Regelung aus allgemeinen Rechts­prin­zipien ein Kontrahierungszwang abzuleiten sein. Im Wettbe­wer­bsrecht werde aus dem Diskri­mi­nie­rungs­verbot für markt­be­herr­schende Unternehmen (§ 20 GWB) in bestimmten Fällen eine Verpflichtung zum Abschluss bzw. zur Fortsetzung eines Vertrags hergeleitet, deren Verletzung einen Schaden­s­er­satz­an­spruch aus § 826 BGB begründe, aufgrund dessen der Schädiger im Wege der Natura­l­re­sti­tution zum (Neu-)Abschluss des Vertrages verpflichtet sei.

Kontra­hie­rungszwang ist zu bejahen ...

Im dem Urteil zugrunde liegenden Fall sei ein solcher Kontra­hie­rungszwang zu bejahen. Dabei komme es nicht darauf an, dass der Kläger als Endverbraucher nicht durch § 20 GWB geschützt sei. Denn es komme nicht auf die Stellung des Interessenten einer am Markt angebotenen Leistung an, sondern auf die Bedeutung der Leistung für die Lebensführung (z.B. Kontra­hie­rungszwang bei Energie­ver­sorgung und in der Perso­nal­be­för­derung) sowie auf die Stellung des Anbieters am Markt. Ein Kontra­hie­rungszwang könne darüber hinaus nur bestehen, wenn es sich um eine für die Lebensführung des Kunden unabdingbare Leistung handele, d.h. er auf diese angewiesen sei bzw. ein Interesse der Allgemeinheit bestehe, dass der Einzelne an den angebotenen Gütern teilhabe.

… obwohl beklagte Bank kein Monopol auf Girokonten hat

Der zu beurteilende Fall unterscheide sich von den bisher anerkannten Fällen des Kontra­hie­rungs­zwangs allerdings dadurch, dass die beklagte Privatbank kein Monopol oder eine markt­be­herr­schende Stellung innehabe, sondern eine von vielen Anbietern privater Girokonten sei. Dies stehe einem Kontra­hie­rungszwang jedoch vorliegend nicht entgegen. Ein Anhaltspunkt dafür, dass es sich nicht in jedem Fall um eine markt­be­herr­schende Stellung handeln müsse, biete die Entscheidung BGH NJW 1990, 761, 763, in der der Bundes­ge­richtshof einen Kontra­hie­rungszwang eines Krankenhauses bei der medizinisch zweckmäßigen und ausreichenden Versorgung eines Patienten ("Normalbedarf" eines durch­schnitt­lichen Kranken­haus­nutzers) für möglich gehalten habe, obwohl es, soweit es nicht um Akutfälle, sondern z.B. um länger geplante Behandlungen ging, regelmäßig mehrere Krankenhäuser privater und öffentlicher Träger geben werde, die derartige Leistungen anbieten.

Voraussetzungen für Kontra­hie­rungszwang

Vorliegend bestünden andere, ebenso schwer wie eine markt­be­herr­schende Stellung wiegende Gründe, die einen Zwang zum Vertragsschluss begründeten. Dabei sei zunächst zu berücksichtigen, dass auch im Rechtsverkehr unter Privaten eine Bindung an die tragenden verfas­sungs­recht­lichen Grundsätze bestehe. Hierdurch könne die aus der allgemeinen Handlungs­freiheit folgende Vertrags­freiheit eingeschränkt oder überlagert werden, wenn folgende drei Voraussetzungen vorliegen:

1. Angewiesenheit auf die Leistung

Diese sei für die Führung eines Girokontos ohne weiteres zu bejahen. Eine praktische Möglichkeit der Teilnahme am Wirtschaftsleben bestehe ohne ein Girokonto heute nicht mehr. Weder der Dienstherr eines Beamten noch ein privater Arbeitgeber werde schon wegen des damit verbundenen Aufwands zur Barauszahlung von Gehalt bereit sein. Gleiches gelte für existentielle Verbind­lich­keiten wie Miete, Energiekosten etc. Die überragende Bedeutung eines Girokontos werde nicht zuletzt auch von der Bankwirtschaft anerkannt.

2. Zumutbare Alternativen

Eine zumutbare andere Möglichkeit, ein Girokonto zu eröffnen, bestehe nicht. Der Kläger habe glaubhaft gemacht, dass er sich bei mehreren verschiedenen Kredi­t­in­stituten vergeblich um die Eröffnung eines Girokontos bemüht habe. Mehr könne von ihm nicht verlangt werden. Wegen der vorhandenen Kontenpfändung sei der Kläger ein kaum vermittelbarer Neukunde. Insbesondere könne der Kläger auch nicht an eine öffentlich-rechtliche Sparkasse verwiesen werden. Im Gegenteil könne ein solcher Vorrang, wenn keine gesetzliche Verpflichtung öffentlich-rechtlicher Geldinstitute bestehe, gerade nicht bestehen. Privatbanken könnten nicht einseitig zu Lasten öffentlich-rechtlicher Geldinstitute kostenträchtige, wenig lukrative Kunden abwälzen und sich so einen durch nichts zu recht­fer­ti­genden Wettbe­wer­bs­vorteil verschaffen. Es könne nicht im Sinn der ZKA-Empfehlung sein, einen aufgrund seiner Finanzlage nicht "attraktiven" Kunde zwischen verschiedenen Banken so lange "herumzureichen", bis das letzte angegangene Unternehmen den Abschluss eines Vertrages nicht mehr verweigern könne.

3. Kein sachlicher Grund zur Ablehnung des Klägers

Es bestehe auch kein sachlicher Grund zur Ablehnung des Klägers. Einen solchen Grund könnten allein diejenigen Zumut­ba­r­keits­gründe darstellen, die nach der ZKA-Empfehlung der Pflicht zum Vertragsschluss ausnahmsweise entgegenstehen. Diese lägen nicht vor. Die Kosten, die die Kontoführung gerade für den Kläger hervorrufe, seien kein sachlicher Grund. Angesichts der vielfältigen Möglichkeiten der beklagten Bank, solcherlei Aufwänden in ihrer Gebüh­ren­ge­staltung rechtlich und wirtschaftlich entgegen zu wirken, seien solche Kosten grundsätzlich irrelevant. Abschließend wies das Landgericht ausdrücklich darauf hin, dass der Kläger Anspruch auf die Eröffnung eines Girokontos, nicht aber eines kostenlosen Girokontos habe.

Auszug aus dem Gesetz:

§ 826 BGB - Sittenwidrige vorsätzliche Schädigung

Wer in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt, ist dem anderen zum Ersatz des Schadens verpflichtet.

Quelle: ra-online (we)

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