Im zugrunde liegenden Fall befand sich eine Arbeitnehmerin (Klägerin) noch in der Probezeit. Der Arbeitgeber (Beklagter) bot der Frau einen Aufhebungsvertrag an, weil er das Arbeitsverhältnis beenden wollte. Die Arbeitnehmerin bat sich Bedenkzeit aus. Als sie dann erkrankte und den Aufhebungsvertrag noch nicht unterzeichnet hatte, kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis am letzten Tag der Probezeit. Er ließ die Kündigung durch einen Boten überbringen. Dieser warf den Brief gegen 16.00 Uhr am 31.03.2003 in den Briefkasten der Arbeitnehmerin ein.
Gegen diese Kündigung ging die Arbeitnehmerin gerichtlich vor. Sie trug vor, die Kündigung erst am 1.4.2003 erhalten zu haben. Das Landesarbeitsgericht entschied, dass die Kündigung wirksam und der Klägerin am 31.03.2003 zugegangen sei.
Eine schriftliche Kündigung gehe dem Empfänger nach § 130 BGB zu, sobald er sie entweder tatsächlich in Händen halte oder sobald sie so in seinen Machtbereich gelangt sei, dass unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit besteht, von ihrem Inhalt Kenntnis zu nehmen. Das war hier am 31.03.2003 nach 16.00 Uhr der Fall.
Erreiche das Kündigungsschreiben den Briefkasten des Empfängers zu einer Tageszeit, zu der nach den Gepflogenheiten des Verkehrs eine Entnahme nicht mehr erwartet werden kann, so ist die Willenserklärung an diesem Tag nicht mehr zugegangen. Das Bundesarbeitsgericht habe dies auch in dem Fall angenommen, in dem das Schreiben deutliche Zeit "nach den allgemeinen Postzustellzeiten" in den Briefkasten gelangt (vgl. BAG 2 AZR 337/82 vom 08.12.1983, NJW 1984, 1651 ). Ob dies unter heutigen Verhältnissen, insbesondere nach der Privatisierung der Post und dem Auftreten anderer Anbieten einschließlich zahlreicher Kurierdienste noch in dieser Allgemeinheit aufrechtzuerhalten sei, könne vorliegend dahingestellt bleiben. Denn nach den unstreitigen Umständen des vorliegenden Falles musste die Klägerin ganz konkret am Nachmittag des 31.03.2003 mit einer Überbringung des Kündigungsschreibens durch Boten rechnen, und nach Überzeugung der Kammer habe sie damit auch tatsächlich gerechnet. Der Beklagte hatte die Klägerin - nach deren Behauptung überraschend - am 26.03.2003 mit seiner Kündigungsabsicht konfrontiert für den Fall, dass die Klägerin einer juristisch nicht anfechtbaren "Verlängerung der Probezeit" nicht zustimmt. Da die Sechsmonatsfrist des § 1 Abs. 1 KSchG nicht verlängerbar ist, war diese "Verlängerung der Probezeit", wenn nicht sogleich eine Kündigung (zum 30.04.) ausgesprochen wurde, nur in der vom Personalleiter des Beklagten vorgeschlagenen Weise möglich, nämlich durch einen Aufhebungsvertrag oder eine Kündigung mit geräumiger Auslauffrist und dem - rechtlich unverbindlichen - Inaussichtstellen einer späteren Vertragsverlängerung.
Dies hätte der Klägerin zwar die - normalerweise ab Beginn des siebten Beschäftigungsmonats eintretende - relative Arbeitsplatzsicherheit zunächst vorenthalten, ihr andererseits aber die sofortige Kündigung mit kurzer Frist erspart und eine Chance auf dauerhaften Erhalt des Arbeitsplatzes gegeben, war also eindeutig ein Entgegenkommen des Beklagten. Die Klägerin sollte sich zu diesem Angebot bis zum 31.03.2003 erklären, und zwar selbstverständlich nicht bis 24.00 Uhr, sondern, da die Klägerin auch an diesem Tage zur Arbeit erwartet wurde, bis zum Vormittag dieses Tages. Wenn die Klägerin sich nun krankmeldete, konnte sie nicht erwarten, dass der Beklagte tatenlos hinnahm, dass man nun die Frist für eine "kündigungsschutzfreie" Kündigung bereits versäumt habe.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 20.01.2005
Quelle: ra-online, Landesarbeitsgericht Berlin (vt/pt)