18.10.2024
18.10.2024  
Sie sehen eine Geldbörse mit einer Gesundheitskarte von einer deutschen Krankenversicherung.

Dokument-Nr. 7572

Drucken
ergänzende Informationen

Hessisches Landessozialgericht Urteil15.01.2009

Anspruch eines HIV-Erkrankten auf Versorgung mit SerostimBei notstand­s­ähn­licher Situation muss gesetzliche Kranken­ver­si­cherung auch die Versorgung mit einem nicht zugelassenen Arzneimittel gewähren

Leidet ein gesetzlich Kranken­ver­si­cherter an einer lebens­be­droh­lichen Erkrankung, für die eine anerkannte medizinische Behandlung nicht zur Verfügung steht, kann er die Versorgung mit einem nicht zugelassenen Medikament beanspruchen. Voraussetzung ist allerdings, dass sich der Versicherte in einer notstand­s­ähn­lichen Situation befindet und dass eine Abwägung von Nutzen und Risiken für die Versorgung spricht. Dies entschied das Hessische Landes­so­zi­al­gericht.

Der 44-jährige Kläger leidet an einer HIV-Infektion im fortge­schrittenen Stadium. Der Mann aus Nordhessen entwickelte gegen mehrere Kombi­na­ti­o­ns­the­rapien Resistenzen. Auch kam es zu Verträg­lich­keits­pro­blemen. Im Rahmen der letztmöglichen Kombi­na­ti­o­ns­therapie verbesserte sich sein immunologischer Zustand. Als Nebenwirkung trat jedoch eine massive Fettver­tei­lungs­störung mit einer Gewichtszunahme von 13 kg auf. Diese wiederum verursachte erhebliche organische Gesund­heits­s­tö­rungen. Der Versicherte beantragte im Juli 2002 bei seiner Krankenkasse die Versorgung mit Serostim. Dieses weder bundes- noch europaweit zugelassene Medikament verringere nach einer auf der Internationalen Aids-Konferenz im Jahre 2002 vorgestellten Studie deutlich das Fett im Bauchraum.

Aids-Kranker erst aufgrund gerichtlicher Eilentscheidung mit Serostim versorgt

Nach Auffassung der Krankenkasse ist die Wirksamkeit von Serostim allerdings nicht ausreichend belegt. Im einstweiligen Rechts­schutz­ver­fahren wurde die Krankenkasse zur vorläufigen Versorgung des Aidskranken verpflichtet. In der Folgezeit bildete sich beim Kläger der Fettgehalt fast vollständig auf den Ausgangszustand zurück.

Versor­gungs­an­spruch wegen notstand­s­ähn­licher Situation

Auch im Haupt­sa­che­ver­fahren verurteilte das Hessische Landes­so­zi­al­gericht die Krankenkasse zur Versorgung des HIV-Erkrankten mit Serostim. Nach der Rechtsprechung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts verstoße die Verweigerung einer neuen medizinischen Behand­lungs­methode gegen das Grundgesetz, wenn eine lebens­be­drohliche Erkrankung vorliege, für welche eine anerkannte Behandlung nicht zur Verfügung stehe. Bei einer notstand­s­ähn­lichen Situation sei dies auf Arzneimittel übertragbar.

Eine Weiter­be­handlung des Klägers mit der für ihn lebens­not­wendigen antire­tro­viralen Therapie sei nur mittels Serostim möglich gewesen. Eine Behand­lung­s­al­ter­native habe nicht bestanden. Auch sei es im Hinblick auf das Risiko kardio­vas­kulärer Erkrankungen aus medizinischer Sicht nicht vertretbar gewesen, die Fettver­tei­lungs­störung nicht zu behandeln. Deshalb sei - obgleich das Medikament nicht unmittelbar auf die lebens­be­drohliche HIV-Erkrankung einwirke - von einer notstand­s­ähn­lichen Situation auszugehen. Ein Anspruch des Versicherten auf Versorgung mit dem nicht zugelassenen Medikament liege ausnahmsweise vor.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 9/09 des Hessischen Landessozialgerichts vom 12.03.2009

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Urteil7572

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI