15.11.2024
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Dokument-Nr. 6027

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Urteil24.10.2007Hessisches Landesarbeitsgericht9 TaBV 84/07
Vorinstanz:
  • Arbeitsgericht Hanau, Urteil22.03.2007, 2 BV 2/07
ergänzende Informationen

Hessisches Landesarbeitsgericht Urteil24.10.2007

Kosten einer Betrie­bs­rats­schulungSchulung des Betriebrates auch ohne konkreten Bedarf zulässig

Nach einer Entscheidung des Hessischen Landes­a­r­beits­ge­richts ist die Teilnahme an einem knapp viertägigen Betrie­bs­rats­seminar zum Thema: "Das neue Allgemeine Gleich­be­hand­lungs­gesetz", das sich u.a. mit Handlungs­mög­lich­keiten des Betriebsrats im Rahmen des Allgemeinen Gleich­be­hand­lungs­ge­setzes (AGG) und der Ausarbeitung einer Muster­be­trie­bs­ver­ein­barung dazu befasst, unabhängig davon erforderlich, dass konkrete Diskri­mi­nie­rungen oder Ungleich­be­hand­lungen bisher im Betrieb nicht festgestellt werden konnten.

In dem Verfahren haben die Beteiligten um die Erfor­der­lichkeit einer Betrie­bs­rats­schulung zum Thema "Allgemeines Gleich­be­hand­lungs­gesetz". gestritten. Der Betriebsrat hatte bei der Arbeitgeberin um die Jahreswende 2006/2007 beantragt, die Kosten für ein Seminar zum AGG zu übernehmen, an dem der Betrie­bs­rats­vor­sitzende teilnehmen sollte. Die Arbeitgeberin verwies den Betriebsrat auf ein Inhouse-Seminar, das Mitte März 2007 zu diesem Thema speziell für Betriebsräte und andere Beschäftigte des Unternehmens durchgeführt werden sollte. Der Betriebsrat meinte, dieses Inhouse-Seminar sei zu kurz, um alle wesentlichen Aspekte behandeln zu können. Auch sei eine Schulung zum AGG bereits von der Themenstellung her erforderlich, ohne dass es einer Darlegung konkreter betrieblicher Konfliktfälle bedürfe. Der Betriebsrat und sein Vorsitzender beantragten daher, die Arbeitgeberin zu verpflichten, den Betrie­bs­rats­vor­sit­zenden von den Kosten für den Besuch der Schulungs­maßnahme, freizustellen. Die Seminargebühren betrugen ca. € 770,00. Weiterhin fielen Kosten für Unterbringung und Verpflegung von etwa € 340,00 an. Die Arbeitgeberin vertrat die Ansicht, die viertägige Schulung stehe in keinem Verhältnis zum Umfang des vermittelten Wissens. Wie sich aus Anzeigen ergebe, würden in diesem Bereich überwiegend Einta­ges­se­minare angeboten.

Das Arbeitsgericht hat dem Hauptantrag des Betrie­bs­rats­vor­sit­zenden stattgegeben.

Die gegen diesen Beschluss gerichtete Beschwerde der Arbeitgeberin hatte keinen Erfolg. Auch das Hessische Landes­a­r­beit­gericht kam zu der Auffassung, der Betrie­bs­rats­vor­sitzende habe einen Anspruch auf Freistellung von den durch seine Teilnahme an der Schulungs­ver­an­staltung: "Das neue allgemeine Gleich­be­hand­lungs­gesetz" entstandenen Kosten und Gebühren. Da die Arbeitgeberin die Kostenübernahme bisher verweigert habe, sei er berechtigt, die Erfor­der­lichkeit und Verhält­nis­mä­ßigkeit der Schulung zunächst arbeits­ge­richtlich klären zu lassen. Die Freistellung richtet sich dann - so das Landes­a­r­beits­gericht - auf die Teilnahme am nächstmöglichen Seminar nach rechtskräftiger Entscheidung in diesem Verfahren.

Die Semin­ar­teilnahme ist nach Ansicht des Beschwer­de­ge­richts erforderlich im Sinne des § 37 Abs. 6 BetrVG. Die dort vermittelten Kenntnisse und Fähigkeiten seien für die Betrie­bs­rats­arbeit erforderlich, weil der Betriebsrat sie unter Berück­sich­tigung der konkreten betrieblichen Situation benötige, um seine derzeitigen oder demnächst anfallenden Arbeiten sachgerecht wahrnehmen zu können. Es habe keiner konkreten Darlegung der Erfor­der­lichkeit des aktuellen Schulungs­bedarfs bedurft, weil es sich um die Vermittlung von Grund­kennt­nissen im Betrie­bs­ver­fas­sungsrecht oder im allgemeinen Arbeitsrecht, insbesondere für ein erstmals gewähltes Betrie­bs­rats­mitglied handele. Die Kenntnis des Betrie­bs­ver­fas­sungs­ge­setzes als der gesetzlichen Grundlage für die Tätigkeit des Betriebsrates sei eine unabdingbare Voraussetzung für eine ordnungsgemäße Betrie­bs­rats­arbeit. Diese Grundsätze gälten auch, wenn eine Kodifizierung erfolge, die mannigfache indivi­du­a­l­rechtliche und kollek­ti­v­rechtliche Auswirkungen auf die Betrie­bs­rat­stä­tigkeit habe, wie es bei dem AGG der Fall sei. Das AGG betreffe alle Bereiche des Arbeitslebens.

Die fragliche AGG-Schulung sei auch nicht erst dann erforderlich, wenn Diskri­mi­nie­rungen im Betrieb festgestellt worden seinen. Das AGG setzte früher an und sei auch darauf gerichtet, Diskri­mi­nie­rungen gar nicht erst entstehen zu lassen.

Entgegen der Rechts­auf­fassung der Arbeitgeberin sei der Grundsatz der Verhält­nis­mä­ßigkeit unter Kosten­ge­sichts­punkten vom Betriebsrat nicht missachtet worden. Zwar dürfe er den Arbeitgeber nur mit den Kosten belasten, die er der Sache nach für verhältnismäßig und deshalb zumutbar halten könne. Der Betriebsrat habe nach pflichtgemäßem Ermessen zu prüfen, ob die zu erwartenden Schulungskosten mit der Größe und Leistungs­fä­higkeit des Betriebes zu vereinbaren seien und ob der Schulungszweck in einem angemessenen Verhältnis zu den dafür aufzuwendenden Mitteln stehe. Er sei jedoch nicht gehalten, die mit den geringsten Kosten verbundene Schulungs­ver­an­staltung auszuwählen. Ihm stehe im Rahmen eines Beurtei­lungs­spielraums die Befugnis zu, die Teilnahme an einer qualitativ höherwertigen, wenn auch teureren Schulung zu beschließen. Die knapp viertägige Schulung bewege sich mit einer Semina­r­pau­schale in Höhe von EUR 770,00 (incl. MWSt) noch im üblichen und vertretbaren Rahmen, ebenso die Kosten für Unterbringung und Verpflegung.

Der Betrie­bs­rats­vor­sitzende müsse sich schließlich nicht auf die eintägige Inhouse-Schulung verweisen lassen. Die knapp viertägige Schulung sei von der Dauer her erforderlich und verhältnismäßig. Der Teilnahme an einer bestimmten Schulungs­ver­an­staltung bedürfe es zwar grundsätzlich nicht, wenn sich der Betriebsrat vergleichbare Kenntnisse zumutbar und kostengünstiger auf andere Weise verschaffen könne. Eine eintägige Schulung könne dem Betrie­bs­rats­mitglied jedoch allenfalls einen kursorischen Überblick über das AGG verschaffen. Eine Vertiefung und die Einübung von Handlungs­mög­lich­keiten sowie die Ausarbeitung einer Muster­be­trie­bs­ver­ein­barung, wie sie das Seminar vorsehe, seien in einem Tag nicht möglich.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 3/08 des Hess. LAG vom 08.05.2008

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