14.11.2024
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Dokument-Nr. 7200

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Hessisches Landesarbeitsgericht Urteil28.08.2008

Trotz sexueller Belästigung keine Kündigung eines Betrie­bs­rats­mit­gliedsFirma hat strenge formale Anforderungen nicht eingehalten

Das Hessische Landes­a­r­beits­gericht hat einen Antrag auf Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zu einer außer­or­dentliche Kündigung eines Betrie­bs­rats­mit­gliedes zurückgewiesen, weil der Arbeitgeber den Betriebsrat im Rahmen des Zustim­mungs­er­set­zungs­ver­fahrens nicht ausreichend unterrichtet hat. Zur ausreichenden Unterrichtung gehöre – ebenso wie zur ordnungsgemäßen Anhörung zu einer beabsichtigten außer­or­dent­lichen Kündigung im Rahmen des § 102 BetrVG – die Mitteilung derjenigen Tatsachen, aus denen sich die Einhaltung der Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB ergibt. Die Unzulässigkeit des Antrags auf Zustim­mungs­er­setzung werde durch eine im Rahmen des gerichtlichen Zustim­mungs­er­set­zungs­ver­fahrens nachgeholte Information jedenfalls dann nicht geheilt, wenn diese in das gerichtliche Verfahren eingeführt wurde, ohne dass bei dem Betriebsrat zuvor erneut die Zustimmung beantragt oder diesem zumindest zuvor Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt wurde.

Hintergrund der gerichtlichen Ausein­an­der­setzung in einem Gebäu­de­r­ei­ni­gungs­un­ter­nehmen war die Absicht des Arbeitgebers, einem Betrie­bs­rats­mitglied kündigen zu wollen, weil ihm sexuelle Belästigung und Nötigung einer ehemaligen Kollegin vorgeworfen wurde. Die Mitarbeiterin hatte sich in einem Schreiben an den Arbeitgeber gewandt und ihn informiert, dass das Betrie­bs­rats­mitglied, welches sie eingestellt habe, sie seit dem Beginn ihrer Beschäftigung sexuell belästige. Er fordere eine Gegenleistung für ihre Einstellung, habe auf der Arbeitsstelle wiederholt versucht, sie anzufassen und habe ihr mehrfach erklärt, nur wenn sie sich auf sexuelle Kontakte mit ihm einlasse, schließe er mit ihr einen Festvertrag. Nachdem der Arbeitgeber mit der Mitarbeiterin persönliche Gespräche geführt hatte, in deren Verlauf diese die Vorwürfe aufrecht erhielt und eine eidesstattliche Versicherung abgegeben hatte, beantragte der Arbeitgeber bei dem Betriebsrat die Zustimmung zur beabsichtigten fristlosen Kündigung des Betrie­bs­rats­mit­gliedes, die der Betriebsrat verweigerte.

Das Arbeitsgericht Frankfurt am Main hat den Antrag auf Zustim­mungs­er­setzung zurückgewiesen.

Die gegen diese Entscheidung eingelegte Beschwerde des Arbeitgebers blieb ohne Erfolg. Nach Auffassung des Hessischen Landes­a­r­beits­ge­richts war der Antrag auf Zustim­mungs­er­setzung nach § 103 BetrVG bereits unzulässig. Der Arbeitgeber habe seine Unter­rich­tungs­pflichten gemäß § 103 BetrVG nicht vollständig erfüllt, denn er habe den Betriebsrat nicht in einer Weise unterrichtet habe, die diesem ermöglicht hätte, ohne eigene Nachforschungen die Einhaltung der Frist des § 626 Abs. 2 BGB zu überprüfen.

Bei nicht ausreichender Unterrichtung sei das Zustim­mungs­ver­fahren nicht wirksam eingeleitet. Da es sich bei dem Zustim­mungs­ver­fahren nach § 103 BetrVG um eine gegenüber dem Anhörungs­ver­fahren nach § 102 BetrVG weitergehende Form des Betei­li­gungs­rechts handele, habe der Arbeitgeber dem Betriebsrat im Rahmen des Zustim­mungs­ver­fahrens die Kündi­gungs­absicht und die maßgeblichen Tatsachen mitzuteilen, welche den wichtigen Grund für die außer­or­dentliche Kündigung darstellen. Insofern sei dem Betriebsrat der für die Kündigung maßgebliche Sachverhalt so genau und umfassend mitzuteilen, dass dieser ohne zusätzliche eigene Nachforschungen in die Lage versetzt werde, die Stichhaltigkeit der Kündi­gungs­gründe zu prüfen und sich über eine Stellungnahme schlüssig zu werden. Die ordnungsgemäße Anhörung setze deshalb voraus, dass dem Betriebsrat mitgeteilt wird, wann der Arbeitgeber Kenntnis von den Kündi­gung­s­tat­sachen erhalten hat, um dem Betriebsrat eine Stellungnahme zur Einhaltung der Kündi­gungs­er­klä­rungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB zu ermöglichen. Der Betriebsrat müsse beurteilen können, ob der Arbeitgeber die Kündi­gungs­er­klä­rungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB noch einhalten hat. Sei dies nicht der Fall, sei er berechtigt, die Zustimmung zur Kündigung zu verweigern.

In dem zu entscheidenden Fall habe der Arbeitgeber weder in dem Schreiben mit der Bitte um Zustim­mungs­er­teilung noch im Rahmen einer mündlichen Unterrichtung mitgeteilt, wann er in einer den Lauf der Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB bewirkenden Weise Kenntnis von den Vorwürfen der Mitarbeiterin gegenüber dem Betrie­bs­rats­mitglied erlangt habe.

Der Versuch, den Betriebsrat durch eine erneute Unterrichtung zu einem späteren Zeitpunkt umfassend zu informieren, führe nicht zu einer Heilung des Zustim­mungs­ver­fahrens. Auch wenn das Nachschieben der zur Berechnung der Frist des § 626 Abs. 2 BGB erforderlichen Informationen im Rahmen des gerichtlichen Zustim­mungs­er¬­set­zungs­ver­fahrens unter den gleichen Voraussetzungen zuzulassen sei wie das Nachschieben von Kündi­gungs­gründen, müsse der Arbeitgeber - jedenfalls noch bevor er die für den Betriebsrat neue Information in das gerichtliche Zustim­mungs­er­set­zungs­ver­fahren einführe - bei diesem einen erneuten Antrag auf Zustim­mungs­er­teilung gestellt oder ihm jedenfalls Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt haben. Dies sei in dem zu entscheidenden Verfahren nicht erfolgt.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 17/08 des LAG Hessen vom 23.12.2008

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