22.11.2024
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Dokument-Nr. 4929

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Hessisches Landesarbeitsgericht Urteil27.06.2007

Zum Entschä­di­gungs­an­spruch eines schwer­be­hin­derten Stellen­be­werbers bei Nicht­ein­stellung

Das Hessische Landes­a­r­beits­gericht hat entschieden, ein schwer­be­hin­derter Bewerber hat keinen Anspruch auf Entschädigung wegen Benachteiligung in einem Stellen­be­set­zungs­ver­fahren im öffentlichen Dienst, weil er nicht zu einem Vorstel­lungs­ge­spräch eingeladen worden ist, wenn ein relevanter Grad der Behinderung nicht zum Zeitpunkt der Einreichung der Bewerbung bzw. dem Ablauf der Bewerbungsfrist vorgelegen hat, sondern erst nachträglich rückwirkend festgestellt worden ist.

Der klagende Stellenbewerber hatte bereits bevor er sich auf mehrere ausgeschriebene Stellen einer Hochschule beworben hatte, einen Antrag auf Anerkennung einer Schwer­be­hin­derung gestellt, jedoch nur einen Grad der Behinderung von 30 zugesprochen erhalten. Er erhob deshalb gegen den Bescheid Widerspruch und beantragte auch seine Gleichstellung mit einem schwer behinderten Menschen. Er bewarb sich sodann auf verschiedene ausgeschriebene Stellen, ohne zunächst auf seine Schwer­be­hin­derung hinzuweisen. Er teilte der Hochschule allerdings noch während der laufenden Beset­zungs­ver­fahren nach Ablauf der Bewer­bungs­fristen mit, dass ihm zugesichert worden sei, die Gleichstellung mit einem Schwer­be­hin­derten zu erhalten, wenn die Einstellung hiervon abhängig gemacht werde. Der Bewerber wurde zu keinem Vorstel­lungs­ge­spräch eingeladen, sondern erhielt lediglich Absageschreiben der Hochschule. Er klagte daraufhin auf Entschädigung in Höhe von ca. € 15.000,00 wegen Diskriminierung als schwer­be­hin­derter Stellenbewerber im öffentlichen Dienst. Er meinte, insbesondere der Umstand, dass er nicht zu Vorstel­lungs­ge­sprächen eingeladen worden sei, lasse seine Benachteiligung als schwer­be­hin­derter Mensch vermuten. In der Folgezeit erhielt er einen Grad der Behinderung von 60 anerkannt.

Das Arbeitsgericht hat der Klage nur in Höhe von ca. € 1.000,00 stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Gegen dieses Urteil haben beide Parteien Berufung eingelegt. Die Berufung des Arbeitgebers hatte vor dem Hessischen Landes­a­r­beit­gericht Erfolg und die Klage wurde in der zweiten Instanz insgesamt abgewiesen.

Auch nach Auffassung des Berufungs­ge­richts kann ein schwer­be­hin­derter Stellenbewerber wegen Diskriminierung bei der Einstellung eine Entschädigung in angemessener Höhe verlangen. Das Gesetz beschränke den Entschä­di­gungs­an­spruch auf drei Monats­ver­dienste, wenn der schwer­be­hinderte Bewerber auch bei benach­tei­li­gungs­freier Auswahl nicht eingestellt worden wäre. Allerdings kann der Kläger keine Entschädigung verlangen, denn er erfüllte bei seinen Bewerbungen nicht die Voraussetzungen des besonderen Einstel­lungs­schutzes für schwer­be­hinderte Menschen bzw. ihnen Gleichgestellte. Voraussetzung für die Geltendmachung des Entschä­di­gungs­an­spruchs sei, dass der Bewerber in den Schutzbereich des SGB IX falle.

Dies verneinte das Berufungs­gericht, weil der Kläger weder bei Abgabe seiner Bewerbung noch beim Ablauf der Bewerbungsfrist den Status eines schwer­be­hin­derten Menschen bzw. diesem Gleich­ge­stellten hatte. Zwar hatte er einen Antrag auf Feststellung der Behinderung bereits vor Abgabe seiner Stellen­be­wer­bungen gestellt. Allerdings lag zum Zeitpunkt der Abgabe seiner Bewerbungen und anlässlich des zeitgleichen Ablaufs der Bewer­bungs­fristen für die Stellen noch kein festgestellter Grad der Behinderung von mindestens 50 oder die Feststellung einer Gleichstellung vor. Die Gleichstellung selbst sei auch nicht im laufenden Bewer­bungs­ver­fahren erfolgt, wie dem Schreiben der Agentur für Arbeit zu entnehmen sei.

Zwar sei der Bewerber aufgrund der rückwirkenden Feststellung eines Grades der Behinderung von mehr als 50 im Zeitraum der streit­ge­gen­ständ­lichen Stellen­be­set­zungs­ver­fahren als schwer­be­hin­derter Mensch anzusehen. Im Hinblick auf die besonderen Anforderungen der Stellen­be­set­zungs­ver­fahren sowohl bei öffentlichen als auch bei privaten Arbeitgebern könnten die rechtlichen Wirkungen der Eigenschaft als schwer­be­hin­derter Mensch allerdings im Rahmen der Pflichten des Arbeitgebers bei Einstellungen nicht ohne weiteres, dh. nicht im Falle der objektiven Eigenschaft eines schwer­be­hin­derten Menschen eintreten. Der schwer­be­hinderte oder einem schwer­be­hin­derten Menschen gleichgestellte Bewerber genieße im Interesse der besonderen Förderungs- und Schutz­wür­digkeit dieser Personen bei der Stellen­be­setzung gegenüber dem nicht behinderten Bewerber besondere Rechte als deren Ausfluss dem Arbeitgeber bestimmte Pflichten auferlegt worden seien. Deshalb sei es erforderlich, auch für den Arbeitgeber insoweit eine Rechtsklarheit herbeizuführen, dass er bei der Durchführung der Stellen­be­set­zungs­ver­fahren weiß oder zumindest erkennen kann, welche Pflichten ihn in Bezug auf in den Schutzbereich des SGB IX fallender Bewerber und Bewerberinnen treffen. Dies setze voraus, dass zumindest im Zeitpunkt des Ablaufs der Bewer­bungs­fristen für einen Stellenbewerber bzw. für eine Stellen­be­werberin, die für sich die Rechte des SGB IX in Anspruch nehmen möchten, die notwendigen Feststellungen getroffen worden sind. Stelle ein Bewerber erst im noch laufenden Beset­zungs­ver­fahren nach Einreichung seiner Bewerbung und nach Ablauf der Bewerbungsfrist einen Antrag Feststellung einer Schwer­be­hin­derung oder einen Antrag auf Gleichstellung bzw. werden zuvor gestellte Anträge erst nach Ablauf der Beset­zungs­ver­fahren für den Antragsteller positiv beschieden, sei der Arbeitgeber nicht mehr gehalten, dass Beset­zungs­ver­fahren im Hinblick auf die sich aus §§ 81 f. SGB IX ergebenden Pflichten neu auszurichten.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 15/07 des LAG Hessen vom 01.10.2007

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