18.10.2024
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Dokument-Nr. 5563

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Hessischer Verwaltungsgerichtshof Urteil07.02.2008

Junger Afghane darf in sein Heimatland abgeschoben werdenKeine individuellen Risiken, die existenz­be­drohend sind

Junge, arbeitsfähige afghanische Männer ohne familiäre Bindungen können nach gegenwärtiger Sach- und Rechtslage in ihr Heimatland abgeschoben werden, sofern nicht in ihrer Person begründete besondere individuelle Risiken bestehen, die sie bei einer Rückkehr nach Afghanistan einem deutlich erhöhten Existenzrisiko aussetzen würden. Mit dieser Begründung änderte der Hessische Verwal­tungs­ge­richtshof eine anderslautende Entscheidung des Verwal­tungs­ge­richts Gießen ab, das in erster Instanz das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zur Feststellung eines Abschie­bungs­verbots verpflichtet hatte. Die Berufung der Behörde gegen diese Entscheidung hatte Erfolg.

Der inzwischen fast zwanzigjährige Kläger hat im Mai 2005 als Minderjähriger Afghanistan verlassen, nachdem seinen Angaben zufolge sein Vater dort von Unbekannten getötet und sein älterer Bruder verschleppt worden waren. Seine verwitwete Mutter war mit den jüngeren Kindern schon vor dem Kläger ausgereist und hatte sich in Deutschland niedergelassen, wo der Kläger nach seiner Einreise im Juni 2005 einen Asylantrag stellte, den das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ablehnte. Die daraufhin erhobene Klage nahm er in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwal­tungs­gericht Gießen zurück, soweit sie sich auf eine Anerkennung als Asylbe­rech­tigter oder Flüchtling nach der Genfer Flücht­lings­kon­vention gerichtet hatte, und beschränkte sein Klagebegehren auf die Verpflichtung zur Feststellung eines Abschie­bungs­verbots nach § 60 Abs. 7 Aufent­halts­gesetz. Nach dieser Bestimmung soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn „dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht“.

Dieses Abschie­bungs­verbot war und ist jedoch mit der Einschränkung verbunden, dass es bei Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevöl­ke­rungs­gruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, nicht durch eine individuelle Entscheidung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, sondern durch eine generelle Abschie­bes­toppre­gelung der zuständigen obersten Landesbehörden, der Innen­mi­nis­terien und -senatoren der Bundesländer, umgesetzt werden soll. Ein solcher genereller Abschiebestopp war von der Innen­mi­nis­ter­kon­ferenz der Länder während des Bürgerkriegs in Afghanistan zunächst verhängt, dann aber im Jahre 2005 für volljährige, allein stehende männliche afghanische Staats­an­ge­hörige ohne mindestens sechsjährigen Aufenthalt im Bundesgebiet aufgehoben worden.

Der davon betroffene Kläger kann nach hiesiger Entscheidung auch nicht deshalb ein individuelles Abschie­bungs­verbot erreichen, weil die Innen­mi­nis­ter­kon­ferenz bei ihrer Entscheidung die Gefahrenlage in Afghanistan falsch eingeschätzt habe, wie der Kläger meinte. Nach einer vom Bundes­ver­wal­tungs­gericht im Jahr 2001 zu den damals noch geltenden Regelungen des Auslän­der­ge­setzes getroffenen Entscheidung setze eine dafür notwendige entsprechende Anwendung der Vorschriften über das individuelle Abschie­bungs­verbot voraus, dass die zuständigen obersten Landesbehörden mit der Versagung kollektiven Abschie­bungs­schutzes wegen einer extremen Gefahrenlage im Zielstaat Verfas­sungsrecht verletze. Davon könne nur ausgegangen werden, wenn der Ausländer „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde". Dies sei, so die heutige Urteils­be­gründung des 8. Senats, nach derzeitigem Sachstand nicht der Fall. Zwar müsse der Kläger bei einer zwangsweisen Rückkehr nach Afghanistan wegen der dort gegebenen desolaten Versorgungslage damit rechnen, ein kümmerliches Leben am Rande des Existenz­mi­nimums führen zu müssen, weil es für ihn ohne verfügbares familiäres Netzwerk und ohne Berufs­aus­bildung schwer fallen dürfte, sich unter den dort gegebenen wirtschaft­lichen und sozialen Verhältnissen zu reintegrieren. Es sei aber angesichts seines Lebensalters und seiner Arbeits­fä­higkeit nicht überwiegend wahrscheinlich oder gar sicher, dass er deshalb dort sein Leben verlieren oder schwerste Beein­träch­ti­gungen sonstiger wichtiger Rechtsgüter erleiden könnte.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 02/08 des VGH Hessen vom 07.02.2008

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