Der inzwischen fast zwanzigjährige Kläger hat im Mai 2005 als Minderjähriger Afghanistan verlassen, nachdem seinen Angaben zufolge sein Vater dort von Unbekannten getötet und sein älterer Bruder verschleppt worden waren. Seine verwitwete Mutter war mit den jüngeren Kindern schon vor dem Kläger ausgereist und hatte sich in Deutschland niedergelassen, wo der Kläger nach seiner Einreise im Juni 2005 einen Asylantrag stellte, den das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ablehnte. Die daraufhin erhobene Klage nahm er in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Gießen zurück, soweit sie sich auf eine Anerkennung als Asylberechtigter oder Flüchtling nach der Genfer Flüchtlingskonvention gerichtet hatte, und beschränkte sein Klagebegehren auf die Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Aufenthaltsgesetz. Nach dieser Bestimmung soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn „dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht“.
Dieses Abschiebungsverbot war und ist jedoch mit der Einschränkung verbunden, dass es bei Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, nicht durch eine individuelle Entscheidung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, sondern durch eine generelle Abschiebestoppregelung der zuständigen obersten Landesbehörden, der Innenministerien und -senatoren der Bundesländer, umgesetzt werden soll. Ein solcher genereller Abschiebestopp war von der Innenministerkonferenz der Länder während des Bürgerkriegs in Afghanistan zunächst verhängt, dann aber im Jahre 2005 für volljährige, allein stehende männliche afghanische Staatsangehörige ohne mindestens sechsjährigen Aufenthalt im Bundesgebiet aufgehoben worden.
Der davon betroffene Kläger kann nach hiesiger Entscheidung auch nicht deshalb ein individuelles Abschiebungsverbot erreichen, weil die Innenministerkonferenz bei ihrer Entscheidung die Gefahrenlage in Afghanistan falsch eingeschätzt habe, wie der Kläger meinte. Nach einer vom Bundesverwaltungsgericht im Jahr 2001 zu den damals noch geltenden Regelungen des Ausländergesetzes getroffenen Entscheidung setze eine dafür notwendige entsprechende Anwendung der Vorschriften über das individuelle Abschiebungsverbot voraus, dass die zuständigen obersten Landesbehörden mit der Versagung kollektiven Abschiebungsschutzes wegen einer extremen Gefahrenlage im Zielstaat Verfassungsrecht verletze. Davon könne nur ausgegangen werden, wenn der Ausländer „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde". Dies sei, so die heutige Urteilsbegründung des 8. Senats, nach derzeitigem Sachstand nicht der Fall. Zwar müsse der Kläger bei einer zwangsweisen Rückkehr nach Afghanistan wegen der dort gegebenen desolaten Versorgungslage damit rechnen, ein kümmerliches Leben am Rande des Existenzminimums führen zu müssen, weil es für ihn ohne verfügbares familiäres Netzwerk und ohne Berufsausbildung schwer fallen dürfte, sich unter den dort gegebenen wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen zu reintegrieren. Es sei aber angesichts seines Lebensalters und seiner Arbeitsfähigkeit nicht überwiegend wahrscheinlich oder gar sicher, dass er deshalb dort sein Leben verlieren oder schwerste Beeinträchtigungen sonstiger wichtiger Rechtsgüter erleiden könnte.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 07.02.2008
Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 02/08 des VGH Hessen vom 07.02.2008