In dem zu Grunde liegenden Fall verteilten vier Personen im Dezember 2004 an einem schwedischen Gymnasium etwa 100 Exemplare eines Flugblatts gegen Homosexuelle. Darin wurden beispielsweise folgende Aussagen getätigt: Homosexualität sei "eine abartige sexuelle Neigung, die sich auf die Moral der Gesellschaft zerstörerisch auswirkt", die "Lobby der Homosexuellen" versuche die "Pädophilie herunterzuspielen" sowie Homosexualität sei ein Hauptgrund dafür, dass HIV und AIDS wieder Fuß fassen konnte. Die Personen wurden deshalb vom tinsgrättem (Amtsgericht) Bollnäss wegen Hetze gegen eine nationale oder ethnische Gruppe nach Kapitel 16 § 8 schwedisches StGB zu Freiheits- und Geldstrafen verurteilt. Das Berufungsgericht (hovrätten von Süd Norrland) hob das Urteil jedoch auf, da es gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung verstoßen habe. Nachdem die Staatsanwaltschaft gegen das Berufungsurteil Revision eingelegt hatte, verurteilte das schwedische OGH (Högsta domstolen)die Angeklagten zu Geldstrafen von etwa 200 bis 2000 €, deren Vollstreckung ausgesetzt wurde. Die Angeklagten wandten sich nunmehr mit der Begründung, dass ihre Verurteilung gegen Art. 7 EMRK (Keine Strafe ohne Gesetz) und Art. 10 EMRK (Freiheit der Meinungsäußerung) verstoßen würde, an den EGMR.
Der EGMR entschied gegen die Angeklagten. Die Verurteilung habe nicht gegen Art. 10 EMRK verstoßen. Zwar habe die Verurteilung in das Recht auf freie Meinungsäußerung eingegriffen. Ein Verstoß liege aber gemäß Art. 10 Abs. 2 EMRK dann nicht vor, wenn der Eingriff gesetzlich vorgesehen sei, er ein berechtigtes Ziel verfolge und die Erreichung dieses Ziels in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sei.
Der Eingriff sei aus Sicht der Richter gesetzlich vorgesehen gewesen. Denn die Verurteilung habe auf Kapitel 16 § 8 des schwedischen StGB beruht. Zudem habe er ein berechtigtes Ziel im Sinne des Art. 10 Abs. 2 EMRK verfolgt, nämlich "den Schutz des guten Rufs und der Rechte anderer".
Weiterhin sei der Eingriff in das Recht der freien Meinungsäußerung nach Auffassung des EGMR in einer demokratischen Gesellschaft notwendig gewesen, um den guten Ruf und die Rechte anderer zu schützen. Weder die Verurteilung noch die Bestrafung seien unverhältnismäßig zu dem verfolgten berechtigten Interesse gewesen. Zwar gelte die Meinungsäußerungsfreiheit nicht nur für günstig aufgenommen oder als unschädliche sowie unwesentliche angesehen Informationen oder Ideen, sondern auch für verletzende, schockierende oder beunruhigende Ansichten. Dies bedeute aber nicht, dass Personen durch Beleidigungen, Verächtlichmachen oder falsche Verdächtigung einzelner Gruppen aus der Bevölkerung angegriffen werden dürfen. Es sei zu beachten, dass Diskriminierungen wegen der sexuellen Orientierung genauso schwer wiegen können, wie Diskriminierungen aus Gründen der Rasse, Herkunft oder Hautfarbe. Die Äußerungen in dem Flugblatt seien unnötigerweise beleidigend gewesen und haben die Rechte der Homosexuellen angegriffen. Zudem sei zu berücksichtigen gewesen, dass die Flugblätter an Jugendliche verteilt wurden, die von ihrem Alter her noch beeinflussbar und ungefestigt sind.
Der EGMR führte zudem aus, dass ein Verstoß gegen Art. 7 EMRK (Keine Strafe ohne Gesetz) nicht vorgelegen habe, da durch Kapitel 16 § 8 schwedisches StGB ein Gesetz der Bestrafung zugrunde lag.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 12.03.2013
Quelle: Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, ra-online (zt/NJW 2013, 285/rb)