Nach der Verordnung über die Gemeinschaftsmarke kann der Inhaber einer nicht eingetragenen nationalen Marke die Nichtigerklärung einer jüngeren Gemeinschaftsmarke erwirken, wenn ihm nach dem nationalen Recht seine nicht eingetragene Marke die Befugnis verleiht, die Benutzung einer solchen jüngeren Marke zu untersagen. Die im Vereinigten Königreich geltenden rechtlichen Regeln für die Klage wegen Kennzeichenverletzung (law of passing off) schützen eine nicht eingetragene Marke gegen eine jüngere Marke, wenn die Dienstleistungen des Inhabers der nicht eingetragenen Marke bei den maßgeblichen Verkehrskreisen ein auf ihrer Präsentationsweise beruhendes Ansehen genießen, ferner das Angebot von Waren und Dienstleistungen durch das andere Unternehmen unter der jüngeren Marke eine irreführende Präsentationsweise darstellt und schließlich diese Sachlage geeignet ist, dem Inhaber der nicht eingetragenen Marke einen geschäftlichen Schaden zuzufügen.
Im Jahr 2000 hatte die Last Minute Network Ltd (LMN), die die Internetseite www.lastminute.com betreibt, das Wortzeichen LASTMINUTE.COM als Gemeinschaftsmarke angemeldet. Das HABM, die für die Registrierung der Gemeinschaftsmarke zuständige Behörde, hatte diese Anmeldung mit der Begründung zurückgewiesen, dass dieses Zeichen keine Unterscheidungskraft habe.
Im Jahr 2003 erlangte die Last Minute Tour Spa (LMT) die Eintragung des entsprechenden Bildzeichens als Gemeinschaftsmarke für Dienstleistungen der Reisebranche und ergänzende Produkte
Der von LMN gegen diese Anmeldung erhobene Widerspruch wurde mit der Begründung zurückgewiesen, dass sie nicht fristgemäß die erforderlichen Nachweise für die Benutzung ihres für ihren Widerspruch angeführten älteren Kennzeichenrechts vorgelegt habe.
Nach der Eintragung der Gemeinschaftsbildmarke „LAST MINUTE TOUR“ beantragte LMN deren Nichtigerklärung. Zur Begründung machte sie geltend, dass die im Vereinigten Königreich geltenden Rechtsregeln für die Kennzeichenverletzung ihr das Recht verliehen, die Benutzung dieser Marke im Vereinigten Königreich zu untersagen. Damit könne sie die Nichtigerklärung dieses Bildzeichens als Gemeinschaftsmarke beanspruchen.
Das HABM wies diesen Antrag zurück. Es meinte, dass die maßgeblichen Verkehrskreise, im vorliegenden Fall die Durchschnittsverbraucher im Vereinigten Königreich, wenn ihnen die Marke „LAST MINUTE TOUR“ begegne, vermuteten, dass es sich um ein „Last-Minute-Reisen“ anbietendes Unternehmen handele, ohne zu glauben, dass diese Angebote von der Inhaberin der Marke LASTMINUTE.COM stammten. Das Ansehen, das sich LMN erworben habe, sei mit ihrem Zeichen LASTMINUTE.COM in seiner Gesamtheit und nicht mit der Gattungsbezeichnung „last minute“ verknüpft. Da die Unterscheidungskraft der beiden Marken sehr gering sei, werde das Publikum seine Aufmerksamkeit auf die unterscheidungskräftigen und dominierenden Bestandteile richten, also vor allem auf die Endung „.com“ der nicht eingetragenen Marke und auf das Bildelement der Gemeinschaftsmarke.
Gegen diese Zurückweisung ihres Antrags auf Nichtigerklärung der Gemeinschaftsmarke „LAST MINUTE TOUR“ erhob LMN eine Klage beim Gericht erster Instanz.
In seinem heute verkündeten Urteil stellt das Gericht fest, dass das HABM die geltenden Regeln des britischen Rechts verkannt hat. Das Gericht hat daher die Entscheidung des HABM aufgehoben.
Nach Auffassung des Gerichts hat die Beschwerdekammer des HABM die maßgeblichen Verkehrskreise fehlerhaft abgegrenzt. Nach der Rechtsprechung im Vereinigten Königreich ist die Frage, ob die Präsentationsweise von Waren und Dienstleistungen durch ein wegen Kennzeichenverletzung beklagtes Unternehmen irreführend ist, im Hinblick auf die Kundschaft des Klägers zu beurteilen. Das HABM hätte deshalb nicht davon ausgehen dürfen, dass die maßgeblichen Verkehrskreise aus den normal informierten und angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchern der fraglichen Waren und Dienstleistungen im Vereinigten Königreich bestehen, da auf die Kundschaft der Inhaberin der nicht eingetragenen nationalen Marke abzustellen war.
Das Gericht weist weiter darauf hin, dass nach der Rechtsprechung, die im Vereinigten Königreich zur Klage wegen Kennzeichenverletzung ergangen ist, eine Marke und ebenso ihre einzelnen Bestandteile ein eigenständiges Ansehen durch Benutzung auch dann erwerben können, wenn sie beschreibend sind und keine Unterscheidungskraft haben. Deshalb hätte das HABM die Möglichkeit, dass die Wörter „last minute“ ein eigenständiges Ansehen erworben haben, nicht allein mit dem Hinweis auf ihren Charakter als Gattungsbegriff ausschließen dürfen.
Schließlich stellt das Gericht fest, dass der vom HABM vorgenommene bloß formale Vergleich der beiden Zeichen, bei dem es nicht die Möglichkeit eines eigenständigen Ansehens des Ausdrucks „last minute“ bei den Kunden von LMN berücksichtigte und lediglich auf die abweichenden Elemente der beiden Marken abstellte, ungenügend war.
Nach der Aufhebung seiner Entscheidung wird es Sache des HABM sein, den Antrag, die Gemeinschaftsmarke „LAST MINUTE TOUR“ für nichtig zu erklären, im Hinblick auf alle im britischen Recht geltenden Voraussetzungen für die Klage wegen Kennzeichenverletzung erneut zu prüfen.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 12.06.2009
Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 51/09 des EuGH vom 11.06.2009