Den Mitgliedstaaten steht es frei, ihre Altersversorgungssysteme zu organisieren und über die Rolle zu entscheiden, die die einzelnen drei "klassischen Säulen" der Altersversorgung in ihrem Gebiet spielen. Die erste Säule umfasst die vom Staat gewährten gesetzlichen Renten, die mit den bei den Arbeitgebern und den Arbeitnehmern erhobenen Beiträgen finanziert werden, die zweite organisiert die Leistungen der betrieblichen Altersversorgung, die durch Arbeitgeberbeiträge finanziert werden, und die dritte besteht aus den individuellen Zusatzrenten.
Obwohl die Mitgliedstaaten über Freiheit bei der Regelung dieses Bereichs verfügen, hat die Union eine Richtlinie* über die Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung erlassen, insbesondere dazu, um ihnen eine grenzüberschreitende Tätigkeit zu ermöglichen.
Die Tschechische Republik – deren Altersversorgungssystem keine zweite Säule umfasst und die die Niederlassung von Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung in ihrem Gebiet untersagt – hatte ursprünglich einige Bestimmungen der Richtlinie nicht umgesetzt, da diese Verpflichtungen für die Mitgliedstaaten vorsahen, in deren Gebiet solche Einrichtungen ansässig sind. Der Gerichtshof, der von der Kommission mit einer Vertragsverletzungsklage gegen die Tschechische Republik befasst wurde, entschied in seinem Urteil vom 14. Januar 2010 (Az. C-343/08), dass die Tschechische Republik gegen ihre Verpflichtungen aus der Richtlinie verstoßen hat. Nach Ansicht des Gerichtshofs war die Tschechische Republik, selbst wenn ihr Altersversorgungssystem keine zweite Säule umfasst, verpflichtet, sämtliche Bestimmungen dieser Richtlinie in einen genauen und transparenten gesetzlichen Rahmen aufzunehmen, damit die Rechtssubjekte in diesem Mitgliedstaat und in der Europäischen Union insbesondere erfahren können, welche Rechte und Pflichten sie für den Fall haben, dass sich die Tschechische Republik dafür entscheidet, ihr Altersversorgungssystem durch eine zweite Säule zu ergänzen.
Im Folgenden stellte die Kommission fest, dass die Tschechische Republik dieses Urteil nicht durchgeführt hatte, und forderte sie auf, ihm bis spätestens 28. Januar 2011 nachzukommen. Da die Tschechische Republik die erforderlichen Bestimmungen zu diesem Zeitpunkt nicht erlassen hatte, hat die Kommission den Gerichtshof erneut angerufen. Im Lauf des Verfahrens vor dem Gerichtshof hat die Tschechische Republik das in Rede stehende Urteil nach der Bekanntmachung und dem Inkrafttreten eines Gesetzes, das die Richtlinie vollständig in das nationale Recht umsetzte, am 31. August 2011 schließlich durchgeführt. Die Kommission hat jedoch ihren Klageantrag auf Verurteilung der Tschechischen Republik zur Zahlung eines Pauschalbetrags von etwas mehr als 3,3 Millionen Euro für die Zeit der Nichtdurchführung von der Verkündung des Urteils von 2010 bis zum Inkrafttreten dieses Gesetzes aufrechterhalten.
Der Gerichtshof weist darauf hin, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, mit der Durchführung eines im Vertragsverletzungsverfahren ergangenen Urteils unverzüglich zu beginnen, und dass diese Durchführung möglichst rasch abzuschließen ist. Dies gilt erst recht seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon, mit dem einer der Schritte des Verfahrens, das die Kommission im Fall der Nichtdurchführung eines Urteils einleiten kann, abgeschafft wurde. Im vorliegenden Fall sind zwischen dem Zeitpunkt der Verkündung des ersten Urteils (am 14. Januar 2010) und dem Zeitpunkt der Bekanntmachung und des Inkrafttretens des tschechischen Gesetzes (am 31. August 2011), das das nationale Recht mit dem Unionsrecht in Einklang gebracht hat, 19 Monate verstrichen.
Daher hält es der Gerichtshof für gerechtfertigt, die Tschechische Republik zur Zahlung eines Pauschalbetrags zu verurteilen. In Bezug auf die Höhe dieses Betrags führt der Gerichtshof aus, dass die Zuwiderhandlung in Ermangelung einer zweiten Säule im tschechischen Altersversorgungssystem eine beschränkte Auswirkung auf den Binnenmarkt für die betriebliche Altersversorgung hatte. Unter diesen Umständen – und da die Tschechische Republik loyal mit der Kommission zusammengearbeitet und die Richtlinie umgesetzt hat –, setzt der Gerichtshof den Betrag, zu dessen Zahlung dieser Mitgliedstaat verurteilt wird, auf 250.000 Euro fest.
Erläuterungen
Richtlinie 2003/41/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. Juni 2003 über die Tätigkeiten und die Beaufsichtigung von Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung (ABl. L 235, S. 10).
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 26.06.2013
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online