24.11.2024
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Dokument-Nr. 9481

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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil13.04.2010

EuGH zur Zulässigkeit von Beschränkungen von Hochschul­zu­gängen für Studenten im EU-AuslandBeschränkung mit Ziel des Schutzes der öffentlichen Gesundheit zulässig

Das Unionsrecht steht einer Beschränkung der Einschreibung von nichtansässigen Studenten für Studiengänge an Universitäten im Bereich des Gesund­heits­wesens grundsätzlich entgegen. Eine solche Beschränkung ist jedoch mit dem Unionsrecht vereinbar, wenn sie im Hinblick auf das Ziel des Schutzes der öffentlichen Gesundheit gerechtfertigt ist. Dies entschied der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften.

Seit mehreren Jahren verzeichnet die Französische Gemeinschaft Belgiens eine deutliche Zunahme der Zahl der Studierenden aus anderen Mitgliedstaaten, besonders aus Frankreich, die sich an Einrichtungen ihres Hochschul­bil­dungs­systems einschreiben, und zwar insbesondere für neun medizinische und parame­di­zi­nische Studiengänge.

Französische Gemeinschaft beschränkt Anzahl der Studienplätze für nicht in Belgien ansässige Studenten

Die Französische Gemeinschaft war der Ansicht, dass die Zahl solcher Studierender in den genannten Studiengängen zu hoch geworden sei, und erließ daher das Dekret vom 16. Juni 2006. Danach sind die Universitäten und Hochschulen verpflichtet, die Zahl der als nicht in Belgien ansässig angesehenen Studierenden, die sich zum ersten Mal für einen dieser neun Studiengänge einschreiben können, zu beschränken.

Zugelassene nichtansässige Studierende werden durch Auslosung ermittelt

Die Gesamtzahl nichtansässiger Studierender ist je Hochschu­l­ein­richtung und Studiengang grundsätzlich auf 30 % aller Einschreibungen des vorangegangenen akademischen Jahrs begrenzt. Im Rahmen dieses für sie vorgesehenen prozentualen Anteils werden die nichtansässigen Studierenden, die eingeschrieben werden, durch Auslosung ermittelt.

Vor diesem Hintergrund legt der Verfas­sungs­ge­richtshof (Belgien), bei dem Klagen auf Nichti­g­er­klärung dieses Dekrets anhängig sind, dem Gerichtshof Fragen vor.

Regelung hat Ungleich­be­handlung der Studierenden zur Folge

Der Gerichtshof stellt zunächst fest, dass die streitige Regelung eine Ungleich­be­handlung zwischen ansässigen und nichtansässigen Studierenden bewirkt. Eine solche Ungleich­be­handlung ist eine mittelbare Diskriminierung aus Gründen der Staats­an­ge­hö­rigkeit, die verboten ist, sofern sie nicht objektiv gerechtfertigt ist.

Sorge um Finanzierung des Hochschul­un­ter­richts rechtfertigt nicht Ungleich­be­handlung

Angesichts der Modalitäten der Finanzierung des Hochschul­bil­dungs­systems der Französischen Gemeinschaft Belgiens kann die Sorge vor einer übermäßigen Belastung zur Finanzierung des Hochschul­un­ter­richts diese Ungleich­be­handlung zwischen ansässigen und nichtansässigen Studierenden nicht rechtfertigen.

Ungleich­be­handlung zulässig, wenn diese zur Erreichung eines hohen Niveaus des Gesund­heits­schutzes beiträgt

Nach der Rechtsprechung kann eine mittelbar auf der Staats­an­ge­hö­rigkeit beruhende Ungleich­be­handlung durch das Ziel der Aufrecht­er­haltung einer qualitativ hochwertigen, ausgewogenen und allgemein zugänglichen medizinischen Versorgung gerechtfertigt sein, wenn es zur Erreichung eines hohen Niveaus des Gesund­heits­schutzes beiträgt.

Erfüllung der Anforderungen ist von nationalem Gericht zu beurteilen

Somit ist zu prüfen, ob die streitige Regelung geeignet ist, die Erreichung dieses Ziels zu gewährleisten, und ob sie nicht über das hinausgeht, was zu dessen Erreichung erforderlich ist. Es ist letztlich Sache des nationalen Gerichts, das allein für die Beurteilung des Sachverhalts des Rechtsstreits sowie für die Auslegung des nationalen Rechts zuständig ist, zu bestimmen, ob und inwieweit eine solche Regelung diesen Anforderungen entspricht.

Als Erstes wird das vorlegende Gericht zu prüfen haben, ob der Schutz der öffentlichen Gesundheit wirklich gefährdet ist.

Dabei kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass eine etwaige Verringerung der Qualität der Ausbildung des künftigen medizinischen Personals letztlich die Qualität der Versorgung in dem betroffenen Gebiet beeinträchtigt.

Begrenzung der Studienplätze kann Auswirkung auf Niveau des Schutzes der öffentlichen Gesundheit bekommen

Auch ist nicht auszuschließen, dass eine etwaige Begrenzung der Gesamtzahl der Studierenden in den betreffenden Studiengängen einen entsprechenden Rückgang der Zahl der Absolventen zur Folge hat, die für die Gewährleistung der Gesund­heits­ver­sorgung in dem betroffenen Gebiet letztlich zur Verfügung stehen, was sich dann auf das Niveau des Schutzes der öffentlichen Gesundheit auswirken könnte.

Bei der Prüfung dieser Gefahren hat das vorlegende Gericht zunächst zu berücksichtigen, dass zwischen der Ausbildung des künftigen medizinischen Personals und dem Ziel der Aufrecht­er­haltung einer qualitativ hochwertigen, ausgewogenen und allgemein zugänglichen medizinischen Versorgung nur ein mittelbarer Zusammenhang besteht, der weniger kausal ist als der Zusammenhang zwischen dem Ziel der öffentlichen Gesundheit und der Tätigkeit des bereits auf dem Markt verfügbaren medizinischen Personals.

Tatsächliche Gefährdung der öffentlichen Gesundheit muss nachgewiesen werden

In diesem Zusammenhang obliegt der Nachweis, dass solche Gefahren tatsächlich bestehen, den zuständigen nationalen Stellen. Anhand einer solchen objektiven, eingehenden und auf Zahlenangaben gestützten Untersuchung muss sich mittels zuverlässiger, überein­stim­mender und beweiskräftiger Daten nachweisen lassen, dass die öffentliche Gesundheit tatsächlich gefährdet ist.

Nationales Gericht muss nachweisen, dass Regelung zum Schutz der öffentlichen Gesundheit wirksam ist

Als Zweites hat das vorlegende Gericht, sofern es den Schutz der öffentlichen Gesundheit für tatsächlich gefährdet hält, zu prüfen, ob in Anbetracht der Angaben der zuständigen Stellen die streitige Regelung als geeignet angesehen werden kann, die Erreichung des Ziels des Schutzes der öffentlichen Gesundheit zu gewährleisten.

In diesem Zusammenhang hat es u. a. zu bewerten, ob eine Begrenzung der Zahl der nichtansässigen Studierenden tatsächlich geeignet ist, die Zahl der Absolventen zu erhöhen, die für die Gewährleistung der Gesund­heits­ver­sorgung in der Französischen Gemeinschaft letztlich zur Verfügung stehen.

Zulassung nichtansässiger Studenten könnte Anreiz geben, sich nach der Ausbildung in EU-Staat niederzulassen

Als Drittes hat das vorlegende Gericht zu beurteilen, ob das angeführte im Allge­mein­in­teresse liegende Ziel nicht durch weniger einschränkende Maßnahmen erreicht werden könnte, mit denen für Studierende, die ihr Studium in der Französischen Gemeinschaft absolvieren, ein Anreiz geschaffen würde, nach Abschluss des Studiums dort zu bleiben, oder für außerhalb der Französischen Gemeinschaft ausgebildete Berufs­an­ge­hörige ein Anreiz, sich dort niederzulassen.

Grundsatzes der Freizügigkeit der Studierenden muss mit nationaler Regelung in Einklang stehen

Ebenso ist es Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob die zuständigen Stellen die Erreichung dieses Ziels angemessen mit den sich aus dem Unionsrecht ergebenden Erfordernissen in Einklang gebracht haben, insbesondere mit dem den Studierenden aus anderen Mitgliedstaaten zustehenden Recht auf Zugang zum Hochschul­un­terricht, das zum Kernbereich des Grundsatzes der Freizügigkeit der Studierenden gehört. Von einem Mitgliedstaat eingeführte Einschränkungen des Zugangs zu diesem Unterricht müssen daher auf das beschränkt sein, was zur Erreichung der verfolgten Ziele erforderlich ist, und müssen den genannten Studierenden einen ausreichend weiten Zugang zum Hochschul­un­terricht lassen.

Insoweit ist es Sache des vorlegenden Gerichts, nachzuprüfen, ob das Verfahren zur Auswahl der nichtansässigen Studierenden allein in der Auslosung besteht und, falls dem so sein sollte, ob diese Auswahlmethode, bei der nicht die Kapazitäten der betroffenen Kandidaten zugrunde gelegt werden, sondern der Zufall den Ausschlag gibt, zur Erreichung der verfolgten Ziele erforderlich ist.

Quelle: ra-online, EuGH

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