21.11.2024
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil21.04.2016

Mitglieds­s­taaten dürfen bei nicht ausreichend gesichertem Einkommen Familien­zusammen­führung versagenEinkom­men­s­prognose darf auf Einkünfte des Zusam­men­füh­renden in den letzten sechs Monaten gestützt werden

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat entschieden, dass die Mitgliedstaaten einen Antrag auf Familien­zusammen­führung ablehnen können, wenn sich aus einer Prognose ergibt, dass der Zusam­men­führende während des Jahres nach der Antragstellung nicht über feste, regelmäßige und ausreichende Einkünfte verfügen wird. Diese Prognose darf auf die Entwicklung der Einkünfte des Zusam­men­füh­renden in den letzten sechs Monaten vor dem Tag der Antragstellung gestützt werden.

Die Famili­en­zu­sam­men­füh­rungs­richt­linie* soll die Zusammenführung von Familien­an­ge­hörigen fördern, die keine EU-Bürger sind. Nach der Richtlinie müssen die Mitgliedstaaten u. a. dem Ehegatten des Zusam­men­füh­renden die Einreise und den Aufenthalt gestatten, sofern bestimmte Bedingungen erfüllt sind (So muss der Zusam­men­führende nachweisen, dass er über Wohnraum, über eine Kranken­ver­si­cherung und über feste und regelmäßige Einkünfte verfügt, die ohne Inanspruchnahme der Sozia­l­hil­fe­leis­tungen des betreffenden Mitgliedstaats für seinen eigenen Lebensunterhalt und den seiner Familien­an­ge­hörigen ausreichen). Die Mitgliedstaaten dürfen einen Antrag auf Famili­en­zu­sam­men­führung ablehnen oder gegebenenfalls den Aufent­halt­stitel eines Familien­an­ge­hörigen entziehen oder seine Verlängerung verweigern, wenn die in der Richtlinie festgelegten Bedingungen nicht oder nicht mehr erfüllt sind.

Für Famili­en­zu­sam­men­führung muss Beibehaltung finanzieller Mittel sichergestellt sein

Nach spanischem Recht darf eine Aufenthaltserlaubnis zur Famili­en­zu­sam­men­führung nicht erteilt werden, wenn zweifelsfrei festgestellt wird, dass keine Aussicht auf eine Beibehaltung der finanziellen Mittel des Zusam­men­füh­renden im Laufe des ersten Jahres nach dem Tag der Antragstellung besteht. Bei der Beurteilung, ob eine solche Aussicht besteht oder nicht, sind die finanziellen Mittel des Zusam­men­füh­renden in den letzten sechs Monaten vor dem Tag der Antragstellung zu berücksichtigen.

Sachverhalt

Einem Angehörigen eines Nicht-EU-Staates, der in Spanien wohnt und dort eine Erlaubnis zum langfristigen Aufenthalt besitzt, wurde im März 2012 der Nachzug seiner Ehegattin zwecks Famili­en­zu­sam­men­führung mit der Begründung verweigert, dass er nicht nachgewiesen habe, über ausreichende Einkünfte zu verfügen, um nach erfolgter Famili­en­zu­sam­men­führung den Lebensunterhalt seiner Familie zu decken. Der Widerspruch und die Klage gegen die Ableh­nungs­ent­scheidung wurden u. a. mit der Begründung abgewiesen, es deute nichts darauf hin, dass der Antragsteller während des Jahres nach Stellung des Antrags auf Famili­en­zu­sam­men­führung über ausreichende Einkünfte verfügen werde.

Nationales Gericht hat Zweifel an Vereinbarkeit der nationalen Regelung mit EU-Richtlinie

Das Tribunal Superior de Justicia del País Vasco (Obergericht für das Baskenland), bei dem der Zusam­men­führende Berufung eingelegt hat, hat Zweifel, ob die spanische Regelung mit der Richtlinie vereinbar ist. Es fragt sich, ob es für einen Anspruch auf Famili­en­zu­sam­men­führung ausreichen muss, dass der Zusam­men­führende zum Zeitpunkt der Antragstellung über feste, regelmäßige und ausreichende Einkünfte verfügt, oder ob auch die Frage berücksichtigt werden darf, ob er über diese Einkünfte noch während des Jahres nach diesem Zeitpunkt verfügen wird.

Richtlinie erlaubt Pflicht zum Nachweis regelmäßiger Einkünfte

In seinem Urteil erklärte der Gerichtshof die spanischen Rechts­vor­schriften für mit der Richtlinie vereinbar. Der Gerichtshof wies zunächst darauf hin, dass die Richtlinie den Mitgliedstaaten erlaubt, den Nachweis zu verlangen, dass der Zusam­men­führende über feste und regelmäßige Einkünfte verfügt, die ohne Inanspruchnahme der Sozia­l­hil­fe­leis­tungen des betreffenden Mitgliedstaats für seinen eigenen Lebensunterhalt und den seiner Familien­an­ge­hörigen ausreichen.

Prognostische Prüfung ausreichender Einkünfte zulässig

Auch wenn die Richtlinie den Mitgliedstaaten nicht ausdrücklich die Befugnis einräumt, zu prüfen, ob die Voraussetzung fester, regelmäßiger und ausreichender Einkünfte des Zusam­men­füh­renden über den Zeitpunkt der Einreichung des Antrags auf Famili­en­zu­sam­men­führung hinaus fortbestehen wird, kann sie nicht dahin ausgelegt werden, dass sie einer solchen Befugnis entgegensteht. Die Richtlinie sieht nämlich ausdrücklich vor, dass die Mitgliedstaaten die Regelmäßigkeit der Einkünfte prüfen müssen, was eine periodische Prüfung ihrer Entwicklung einschließt. Der Zusam­men­führende muss nicht nur nachweisen, dass er zum Zeitpunkt der Prüfung seines Antrags auf Famili­en­zu­sam­men­führung über ausreichende Einkünfte verfügt, sondern diese Einkünfte müssen auch fest und regelmäßig sein, was eine prognostische Prüfung dieser Einkünfte durch die zuständige nationale Behörde voraussetzt.

Beurteilung der Möglichkeit eines Aufent­halt­s­titels erfordert Prüfung künftiger finanzieller Entwicklungen des Zusam­men­füh­renden

Der Gerichtshof hebt hervor, dass diese Auslegung dadurch gestützt wird, dass der persönliche Anwen­dungs­bereich der Richtlinie auf Zusam­men­führende beschränkt ist, die im Besitz eines Aufent­halt­s­titels für mindestens ein Jahr sind und begründete Aussicht darauf haben, ein dauerhaftes Aufent­haltsrecht zu erlangen. Die Beurteilung, ob eine solche Aussicht vorliegt, erfordert aber zwangsläufig eine Prüfung der künftigen Entwicklung der Situation des Zusam­men­füh­renden im Hinblick auf die Erlangung eines dauerhaften Aufent­halts­rechts. Im Übrigen impliziert die Möglichkeit, einem Famili­en­mitglied den Aufent­halt­stitel zu entziehen oder nicht zu verlängern, wenn die in der Richtlinie festgelegten Bedingungen nicht mehr erfüllt sind, dass die Mitgliedstaaten verlangen dürfen, dass der Zusam­men­führende über den Zeitpunkt seiner Antragstellung hinaus über feste, regelmäßige und ausreichende Einkünfte verfügt. Diese Auslegung wird schließlich auch durch einen der Normzwecke der Richtlinie bestätigt. Denn der Nachweis, dass die Einkünfte fest, regelmäßig und ausreichend sind, ermöglicht es dem Mitgliedstaat, sicherzustellen, dass weder der Zusam­men­führende noch seine Familien­an­ge­hörigen nach der Famili­en­zu­sam­men­führung Gefahr laufen, während ihres Aufenthalts die Sozialhilfe des Mitgliedstaats in Anspruch nehmen zu müssen.

Zeitraum für Vorhandensein ausreichend verfügbarer finanzieller Mittel angemessen

Nach Auffassung der Gerichtshofs ist der Zeitraum von einem Jahr, während dessen der Zusam­men­führende über ausreichende Einkünfte verfügen muss, angemessen und verhältnismäßig, da dieser Zeitraum der Geltungsdauer des Aufent­halt­s­titels entspricht, über den der Zusam­men­führende zumindest verfügen muss, um die Famili­en­zu­sam­men­führung beantragen zu können.

Spanische Regelung steht nicht im Widerspruch zu EU-Richtlinie

Zu der spanischen Regelung, nach der die Prognose über die künftigen Einkünfte auf der Grundlage der Einkünfte des Zusam­men­füh­renden in den letzten sechs Monaten vor dem Tag der Antragstellung erfolgen muss, stellt der Gerichtshof fest, dass die Richtlinie insoweit keine genaue Vorgabe enthält und ein solcher Zeitraum jedenfalls nicht geeignet ist, das mit der Richtlinie verfolgte Ziel zu beeinträchtigen.

Erläuterungen

* Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Famili­en­zu­sam­men­führung (ABl. L 251, S. 12).

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online

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