21.11.2024
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Dokument-Nr. 27403

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Urteil14.05.2019Gerichtshof der Europäischen UnionC-55/18
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil14.05.2019

Arbeitgeber müssen System zur Erfassung der täglichen Arbeitszeit einrichtenBestimmung der täglichen und wöchentlichen Arbeitszeit zur Feststellung geleisteter Überstunden und Einhaltung von Ruhezeiten unerlässlich

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat entschieden, dass die Mitgliedstaaten die Arbeitgeber verpflichten müssen, ein System einzurichten, mit dem die tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann.

Die spanische Gewerkschaft Federación de Servicios de Comisiones Obreras (CCOO) erhob vor der Audiencia Nacional (Nationaler Gerichtshof, Spanien) eine Klage auf Feststellung der Verpflichtung der Deutsche Bank SAE, ein System zur Erfassung der von deren Mitarbeitern geleisteten täglichen Arbeitszeit einzurichten. Sie vertrat die Auffassung, dass mit diesem System die Einhaltung der vorgesehenen Arbeitszeit und der in den inner­staat­lichen Rechts­vor­schriften vorgesehenen Verpflichtung, den Gewerk­schafts­ver­tretern die Angaben über die monatlich geleisteten Überstunden zu übermitteln, überprüft werden könne. Nach Auffassung der CCOO ergebe sich die Verpflichtung zur Einrichtung eines solchen Regis­trie­rungs­systems nicht nur aus den inner­staat­lichen Rechts­vor­schriften, sondern auch aus der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) und der Arbeits­zei­tricht­linie*. Die Deutsche Bank machte geltend, dass sich der Rechtsprechung des Tribunal Supremo (Oberstes Gericht, Spanien) entnehmen lasse, dass das spanische Recht keine solche allge­mein­gültige Verpflichtung vorsehe. Nach dieser Rechtsprechung schreibe das spanische Gesetz nämlich, sofern nichts anderes vereinbart worden sei, nur die Führung einer Aufstellung der von den Arbeitnehmern geleisteten Überstunden sowie die Übermittlung der Zahl dieser Überstunden zum jeweiligen Monatsende an die Arbeitnehmer und ihre Vertreter vor.

Nationales Gericht äußert Zweifel an Vereinbarkeit nationaler Gesetze mit Unionsrecht

Die Audiencia Nacional hegt Zweifel an der Vereinbarkeit der Auslegung des spanischen Gesetzes durch das Tribunal Supremo mit dem Unionsrecht und hat den Gerichtshof der Europäischen Union dazu befragt. Dem Gerichtshof vorgelegten Informationen zufolge werden 53,7 % der in Spanien geleisteten Überstunden nicht erfasst. Darüber hinaus halte es das spanische Ministerium für Beschäftigung und soziale Sicherheit zur Feststellung, ob Überstunden geleistet worden seien, für erforderlich, die Zahl der gewöhnlich geleisteten Arbeitsstunden genau zu kennen. Die Audiencia Nacional weist darauf hin, dass mit der Auslegung des spanischen Rechts durch das Tribunal Supremo zum einen die Arbeitnehmer ein wesentliches Beweismittel, mit dem sie dartun könnten, dass ihre Arbeitszeit die Höchst­a­r­beitszeit überschritten habe, und zum anderen ihre Vertreter die erforderlichen Mittel für die Überprüfung der Achtung der in dem Bereich anwendbaren Regeln verlören. Daher könne das spanische Recht nicht die tatsächliche Einhaltung der in der Arbeits­zei­trichtlinie und der Richtlinie über die Sicherheit und die Gesundheit der Arbeitnehmer bei der Arbeit** vorgesehenen Verpflichtungen gewährleisten.

Fehlende Verpflichtung zur Messung geleisteter täglicher Arbeitszeit steht Richtlinie entgegen

Mit seinem Urteil erklärte der Gerichtshof, dass diese Richtlinien im Licht der Charta einer Regelung entgegenstehen, die nach ihrer Auslegung durch die nationalen Gerichte die Arbeitgeber nicht verpflichtet, ein System einzurichten, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann.

Rechte von Arbeitnehmern dürfen von Arbeitgeber nicht beschränkt werden

Der Gerichtshof weist zunächst auf die Bedeutung des Grundrechts eines jeden Arbeitnehmers auf eine Begrenzung der Höchst­a­r­beitszeit und auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten hin, das in der Charta verbürgt ist und dessen Inhalt durch die Arbeits­zei­trichtlinie weiter präzisiert wird. Die Mitgliedstaaten müssen dafür sorgen, dass den Arbeitnehmern die ihnen verliehenen Rechte zugutekommen, ohne dass die zur Sicherstellung der Umsetzung der Richtlinie gewählten konkreten Modalitäten diese Rechte inhaltlich aushöhlen dürfen. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass der Arbeitnehmer als die schwächere Partei des Arbeitsvertrags anzusehen ist, so dass verhindert werden muss, dass der Arbeitgeber ihm eine Beschränkung seiner Rechte auferlegt.

Messung täglicher Arbeitszeiten ohne entsprechendes System nicht korrekt möglich

Der Gerichtshof stellt fest, dass ohne ein System, mit dem die tägliche Arbeitszeit eines jeden Arbeitnehmers gemessen werden kann, weder die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden und ihre zeitliche Verteilung noch die Zahl der Überstunden objektiv und verlässlich ermittelt werden kann, so dass es für die Arbeitnehmer äußerst schwierig oder gar praktisch unmöglich ist, ihre Rechte durchzusetzen.

Arbeits­zei­t­er­fas­sungs­system stellt wirksames Mittel zur objektiven und verlässlichen Feststellung tatsächlich geleisteter Arbeitszeit dar

Die objektive und verlässliche Bestimmung der täglichen und wöchentlichen Arbeitszeit ist nämlich für die Feststellung, ob die wöchentliche Höchst­a­r­beitszeit einschließlich der Überstunden sowie die täglichen und wöchentlichen Ruhezeiten eingehalten worden sind, unerlässlich. Der Gerichtshof vertritt daher die Auffassung, dass eine Regelung, die keine Verpflichtung vorsieht, von einem Instrument Gebrauch zu machen, das diese Feststellung ermöglicht, die nützliche Wirkung der von der Charta und von der Arbeits­zei­trichtlinie verliehenen Rechte nicht gewährleistet, da weder die Arbeitgeber noch die Arbeitnehmer überprüfen können, ob diese Rechte beachtet werden. Eine solche Regelung könnte daher das Ziel der Richtlinie, das darin besteht, einen besseren Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer sicherzustellen, gefährden, und zwar unabhängig von der nach dem nationalen Recht vorgesehenen wöchentlichen Höchst­a­r­beitszeit. Dagegen bietet ein Arbeits­zei­t­er­fas­sungs­system den Arbeitnehmern ein besonders wirksames Mittel, einfach zu objektiven und verlässlichen Daten über die tatsächlich geleistete Arbeitszeit zu gelangen, und erleichtert dadurch sowohl den Arbeitnehmern den Nachweis einer Verkennung ihrer Rechte als auch den zuständigen Behörden und nationalen Gerichten die Kontrolle der tatsächlichen Beachtung dieser Rechte.

Mitglieds­s­taaten müssen Arbeitgeber zur Einrichtung von Zeiter­fas­sungs­systemen verpflichten

Um die nützliche Wirkung der von der Arbeits­zei­trichtlinie und der Charta verliehenen Rechte zu gewährleisten, müssen die Mitgliedstaaten die Arbeitgeber daher verpflichten, ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzurichten, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann. Es obliegt den Mitgliedstaaten, die konkreten Modalitäten zur Umsetzung eines solchen Systems, insbesondere der von ihm anzunehmenden Form, zu bestimmen und dabei gegebenenfalls den Besonderheiten des jeweiligen Tätig­keits­be­reichs oder Eigenheiten, sogar der Größe, bestimmter Unternehmen Rechnung zu tragen.

Erläuterungen

* Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeits­zeit­ge­staltung (ABl. 2003, L 299, S. 9).

** Richtlinie 89/391/EWG des Rates vom 12. Juni 1989 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesund­heits­schutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit (ABl. 1989, L 183, S. 1).

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online (pm/kg)

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