24.11.2024
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil21.01.2010

EuGH: Deutschland verstößt mit Beschränkungen zur Beschäftigung polnischer Werkver­trags­a­r­beit­nehmer gegen EU-RechtBeschränkung ist diskriminierend und kann nicht gerechtfertigt werden

Die Möglichkeit, mit polnischen Unternehmen Verträge über die Ausführung von Arbeiten auf deutschem Gebiet abzuschließen, auf Unternehmen mit Sitz in Deutschland zu beschränken, verstößt gegen das Gemein­schaftsrecht. Dies entschied der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften.

Um schwerwiegenden Störungen auf seinem Arbeitsmarkt zu begegnen, kann Deutschland nach der Beitrittsakte von 2003 nach Unterrichtung der Kommission im Bereich der Erbringung von Dienst­leis­tungen die grenz­über­schreitende Beschäftigung von Arbeitnehmern, die von in Polen nieder­ge­lassenen Unternehmen entsendet werden, einschränken. Diese Einschränkung kann aufrecht­er­halten werden, solange Deutschland nationale Maßnahmen oder Maßnahmen aufgrund von bilateralen Vereinbarungen über die Freizügigkeit polnischer Arbeitnehmer anwendet. Die Anwendung einer derartigen Einschränkung darf jedoch nicht zu Bedingungen für die zeitweilige Freizügigkeit von Arbeitnehmern im Rahmen der länder­über­grei­fenden Erbringung von Dienst­leis­tungen zwischen Deutschland und Polen führen, die restriktiver sind als die zum Zeitpunkt der Unterzeichnung des Beitritts­vertrags geltenden Bedingungen (Still­hal­te­klausel).

Werkver­trags­a­r­beit­nehmer erhalten nach deutsch-polnischer Vereinbarung grundsätzlich Arbeits­er­laubnis

Nach der deutsch-polnischen Vereinbarung von 1990 wird polnischen Arbeitnehmern, die auf der Grundlage eines Werkvertrags zwischen einem polnischen Arbeitgeber und einem Unternehmen „der anderen Seite“ für eine vorübergehende Tätigkeit entsandt werden (Werkver­trags­a­r­beit­nehmer), grundsätzlich, unabhängig von der Lage und Entwicklung des Arbeitsmarkts, eine Arbeits­er­laubnis erteilt.

Verbot zum Abschluss von Werkverträgen bei überdurch­schnitt­licher hoher Arbeits­lo­senquote

Eine Durch­füh­rungs­an­weisung der Bundesagentur für Arbeit, die die Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer aus den neuen Mitgliedstaaten der Union betrifft, verbietet den Abschluss von Werkverträgen, die die Einstellung ausländischer Arbeitnehmer ermöglichen, in einem Agenturbezirk, in dem die Arbeits­lo­senquote im Durchschnitt der letzten sechs Monate mindestens um 30 % über der Arbeits­lo­senquote der Bundesrepublik Deutschland gelegen hat. Die Zusam­men­stellung der Agenturbezirke, die unter diese Regelung fallen, wird vierteljährlich aktualisiert.

Verstoß gegen Dienst­leis­tungs­freiheit

Die Kommission meint, Deutschland habe dadurch gegen seine Verpflichtungen aus der Dienstleistungsfreiheit verstoßen, dass es Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten, die in Deutschland Arbeiten ausführen wollten, daran hindere, Verträge mit polnischen Unternehmern abzuschließen, sofern die Unternehmen aus diesen anderen Mitgliedstaaten nicht ein Tochter­un­ter­nehmen in Deutschland gründeten. In ihrer Vertrags­ver­let­zungsklage macht die Kommission, unterstützt durch Polen, ferner geltend, Deutschland habe gegen die in der Beitrittsakte von 2003 enthaltene Still­hal­te­klausel verstoßen, indem es die regionalen Beschränkungen des Zugangs zum Arbeitsmarkt ausgedehnt habe.

Zur Beschränkung des Abschlusses von Werkverträgen

Der Gerichtshof erinnert zunächst daran, dass der freie Dienst­leis­tungs­verkehr insbesondere voraussetzt, dass jede Diskriminierung gegenüber dem Dienst­leis­tenden aufgrund seiner Staats­an­ge­hö­rigkeit oder des Umstands, dass er in einem anderen als dem Mitgliedstaat niedergelassen ist, in dem die Dienstleistung zu erbringen ist, beseitigt wird. Die Bedingung, wonach ein Unternehmen in dem Mitgliedstaat, in dem die Dienstleistung erbracht wird, eine feste Niederlassung oder ein Tochter­un­ter­nehmen gründen muss, läuft dem freien Dienst­leis­tungs­verkehr direkt zuwider, da sie die Erbringung von Dienst­leis­tungen in diesem Mitgliedstaat durch in anderen Mitgliedstaaten niedergelassene Unternehmen unmöglich macht.

Formulierung in deutsch-polnischer Vereinbarung ist diskriminierend und verstößt gegen EU-Vertrag

Sodann stellt er fest, dass Deutschland dadurch, dass es die in der deutsch-polnischen Vereinbarung enthaltene Formulierung „Unternehmen der anderen Seite“ dahin auslegt, dass nur deutsche Unternehmen erfasst sind, gegenüber Dienst­leis­tungs­er­bringern, die in anderen Mitgliedstaaten als Deutschland niedergelassen sind und die einen Werkvertrag mit einem polnischen Unternehmen abschließen und bei der Erbringung von Dienst­leis­tungen in Deutschland von der nach dieser Vereinbarung garantierten Quote für polnische Arbeitnehmer profitieren wollen, eine unmittelbare Diskriminierung begründet, die gegen den EG-Vertrag verstößt.

Der Gerichtshof weist darauf hin, dass die deutsch-polnische Vereinbarung seit dem Beitritt Polens zur Union zwei Mitgliedstaaten betrifft, so dass die Bestimmungen dieser Vereinbarung auf die Beziehungen zwischen diesen Mitgliedstaaten nur unter Beachtung des Gemein­schafts­rechts, insbesondere der Regeln des Vertrags im Bereich der Dienst­leis­tungs­freiheit, Anwendung finden können.

Er hebt hervor, dass diskri­mi­nierende Vorschriften aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sein können. Ein derartiger Recht­fer­ti­gungsgrund setzt jedoch voraus, dass eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.

Gründe für Beschränkungen der Grundfreiheit nicht ersichtlich

Indem es sich insbesondere auf die Notwendigkeit beruft, eine wirksame Kontrolle der ordnungsgemäßen Anwendung der deutsch-polnischen Vereinbarung zu gewährleisten, hat Deutschland keine überzeugenden Gesichtspunkte geltend gemacht, die die Beschränkungen einer Grundfreiheit rechtfertigen könnten.

Kein Verstoß gegen Still­hal­te­klausel

Nach Ansicht des Gerichtshofs begründet der Umstand, dass nach dem Zeitpunkt der Unterzeichnung des Beitritts­vertrags weitere Bezirke neu in die Liste der Bezirke aufgenommen wurden, in denen Werkverträge nach der deutsch-polnischen Vereinbarung nicht zugelassen werden, keinen Verstoß gegen die Still­hal­te­klausel.

Restriktivere Bedingungen werden nämlich nicht geschaffen, wenn die Verringerung der Zahl der polnischen Arbeitnehmer, die im Rahmen der Erbringung von Dienst­leis­tungen in Deutschland entsendet werden können, lediglich die Folge davon ist, dass eine Klausel, deren Wortlaut identisch geblieben ist, nach diesem Zeitpunkt auf eine geänderte faktische Lage auf dem Arbeitsmarkt angewandt wurde. Daher hat die vierteljährlich aktualisierte Liste der Bezirke, die unter das Verbot fallen, in diesem Zusammenhang rein dekla­ra­to­rischen Charakter, und es ist weder zu einer Verschlech­terung der Rechtslage noch zu einer nachteiligen Änderung der Verwal­tung­s­praxis gekommen.

Diese Auslegung wird durch den Zweck derartiger Still­hal­te­klauseln bestätigt, der darin besteht, einen Mitgliedstaat daran zu hindern, neue Maßnahmen zu erlassen, die bezwecken oder bewirken, dass restriktivere Bedingungen geschaffen werden als die Bedingungen, die vor dem Zeitpunkt des Wirksamwerdens dieser Klauseln galten.

Quelle: ra-online, EuGH

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