21.11.2024
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Dokument-Nr. 26802

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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil11.12.2018

EZB-Programm zum Ankauf von Staatsanleihen an Sekundärmärkten verstößt nicht gegen UnionsrechtEuGH verneint Verstoß gegen Verbot der monetären Finanzierung

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat entschieden, dass das Programm "PSPP" der Europäischen Zentralbank zum Ankauf von Staatsanleihen an den Sekundärmärkten nicht gegen das Unionsrecht verstößt. Es geht nicht über das Mandat der Europäischen Zentralbank hinaus und verstößt nicht gegen das Verbot der monetären Finanzierung.

Die Europäische Zentralbank (EZB) und die Zentralbanken der Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, bilden das Europäische System der Zentralbanken (im Folgenden: ESZB) und betreiben die Währungspolitik der Union. Vorrangiges Ziel dieser Währungspolitik ist nach den Verträgen der Union die Gewährleistung der Preisstabilität. Seit 2003 hat das ESZB dieses Ziel dahin konkretisiert, dass mittelfristig Inflationsraten von unter, aber nahe 2 % gewährleistet werden sollen.

EZB erstellt Programm zum Ankauf von Staatsanleihen an Sekundärmärkten

In Anbetracht verschiedener Faktoren, die das Risiko eines mittelfristigen Rückgangs der Preise im Kontext einer Wirtschaftskrise, mit der ein Defla­ti­o­ns­risiko einhergeht, wesentlich erhöht haben, legte die EZB am 4. März 2015 ein Programm zum Ankauf von Staatsanleihen an den Sekun­dä­r­märkten* (im Folgenden: PSPP**) auf, um wieder zu einer Inflationsrate von unter, aber nahe 2 % zu gelangen.

Programm soll Konsum und Inves­ti­ti­o­ns­ausgaben im Euro-Währungsgebiet fördern

Nach Auffassung der EZB erleichtert der massive Ankauf von Staatsanleihen nämlich den Zugang zu Finanzierungen, die dem wirtschaft­lichen Wachstum dienen, indem er den Rückgang der Realzinssätze fördert und die Geschäftsbanken dazu anhält, mehr Kredite zu gewähren. So soll mit dem PSPP eine Lockerung der monetären und finanziellen Bedingungen einschließlich derjenigen für private Haushalte und nicht­fi­nan­zielle Kapital­ge­sell­schaften bewirkt werden, um insgesamt den Konsum und die Inves­ti­ti­o­ns­ausgaben im Euro-Währungsgebiet zu fördern.

Volumen des PSPP betrug im Mia 2017 1.534,8 Mrd. Euro

Das PSPP sieht vor, dass jede nationale Zentralbank notenbankfähige Wertpapiere von zentralen, regionalen oder lokalen öffentlich-rechtlichen Emittenten des eigenen Hoheitsgebiets kauft***, wobei die Ankäufe nach dem Schlüssel für die Kapita­l­zeichnung der EZB verteilt werden. Der Anteil der nationalen Zentralbanken am Buchwert der Ankäufe beträgt 90 %, der der EZB 10 %. Am 12. Mai 2017 betrug das Volumen des PSPP 1.534,8 Mrd. Euro.

Für das PSPP war ursprünglich eine Laufzeit bis Ende September 2016 vorgesehen. Diese Laufzeit wurde später mehrfach verlängert.

Privatpersonen erheben beim Bundes­ver­fas­sungs­gericht Verfas­sungs­be­schwerden

Mehrere Gruppen von Privatpersonen erhoben beim Bundes­ver­fas­sungs­gericht Verfas­sungs­be­schwerden gegen verschiedene Beschlüsse der EZB, die Mitwirkung der Deutschen Bundesbank an der Umsetzung dieser Beschlüsse oder ihre behauptete Untätigkeit im Hinblick auf diese sowie die behauptete Untätigkeit der Bundesregierung und des Deutschen Bundestags im Hinblick auf diese Mitwirkung und auf diese Beschlüsse.

Privatpersonen rügen Verstoß gegen Verbot der monetären Finanzierung

Diese Gruppen von Privatpersonen machen im Wesentlichen geltend, dass die fraglichen Beschlüsse der EZB zusammen betrachtet einen ultra vires ergangenen Rechtsakt darstellten, da sie die Verteilung der Kompetenzen zwischen der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten missachteten, weil sie nicht vom Mandat der EZB gedeckt seien, und gegen das Verbot der monetären Finanzierung verstießen. Außerdem verletzten die Beschlüsse das im Grundgesetz niedergelegte Demokra­tie­prinzip und beein­träch­tigten dadurch die deutsche Verfas­sungs­i­dentität.

Bundes­ver­fas­sungs­gericht erbittet Vorab­ent­scheidung des EuGH

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht wies darauf hin, dass es den Verfas­sungs­be­schwerden stattgeben müsse, falls das PSPP über das Mandat der EZB hinausgehe oder gegen das Verbot der monetären Finanzierung verstoße. Dies gelte auch, falls die sich aus dem PSPP ergebende Verlust­ver­teilung das Budgetrecht des Deutschen Bundestages beeinträchtige. Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat daher beschlossen, den Gerichtshof zur Gültigkeit des PSPP am Maßstab des Unionsrechts zu befragen.

Programm achtet Grundsatz der Verhält­nis­mä­ßigkeit

Mit seinem Urteil stellte der Gerichtshof fest, dass die Prüfung der vom Bundes­ver­fas­sungs­gericht vorgelegten Fragen nichts ergeben hat, was die Gültigkeit des PSPP beeinträchtigen könnte. Zum einen stellte der Gerichtshof fest, dass das PSPP nicht über das Mandat der EZB hinausgeht. Dieses Programm fällt in den Bereich der Währungspolitik, in dem die Union für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, eine ausschließliche Zuständigkeit hat, und achtet den Grundsatz der Verhält­nis­mä­ßigkeit.

Das PSPP soll dazu beitragen, dass sich die Inflationsraten mittelfristig wieder einem Niveau von unter, aber nahe 2 % annähern. Es ist nicht ersichtlich, dass die vom ESZB vorgenommene Konkretisierung des Ziels der Gewährleistung der Preisstabilität, nämlich mittelfristig Inflationsraten von unter, aber nahe 2 % zu gewährleisten, mit einem offen­sicht­lichen Beurtei­lungs­fehler behaftet ist und den durch die Verträge der Union festgelegten Rahmen überschreitet.

Auswirkungen auf Realwirtschaft zur Einflussnahme auf die Inflationsrate nicht vermeidbar

Der Gerichtshof wies weiter darauf hin, dass eine währungs­po­li­tische Maßnahme nicht allein deshalb einer wirtschafts­po­li­tischen Maßnahme gleichgestellt werden kann, weil sie mittelbare Auswirkungen haben kann, die auch im Rahmen der Wirtschafts­politik angestrebt werden können (vgl. Gerichtshof der Europäischen Union, Urteil v. 27.11.2012 - C-370/12 - und EuGH, Urteil vom 16.06.2015, Az. C-62/14). Um Einfluss auf die Inflationsraten zu nehmen, muss das ESZB vielmehr zwangsläufig Maßnahmen ergreifen, die gewisse Auswirkungen auf die Realwirtschaft haben, die - zu anderen Zwecken - auch im Rahmen der Wirtschafts­politik angestrebt werden könnten. Würde dem ESZB jegliche Möglichkeit verwehrt, solche Maßnahmen zu ergreifen, wenn ihre Auswirkungen vorhersehbar sind und bewusst in Kauf genommen werden, dann wäre es ihm in der Praxis verboten, die Mittel anzuwenden, die ihm durch die Verträge zur Erreichung der Ziele der Geldpolitik zur Verfügung gestellt sind; dies könnte insbesondere im Kontext einer Wirtschaftskrise, mit der ein Defla­ti­o­ns­risiko einhergeht, ein unüberwindbares Hindernis für die Erfüllung der ihm nach dem Primärrecht obliegenden Aufgabe darstellen.

Außerdem geht aus dem Primärrecht eindeutig hervor, dass die EZB und die nationalen Zentralbanken grundsätzlich auf den Finanzmärkten tätig werden können, indem sie auf Euro lautende börsengängige Wertpapiere endgültig kaufen und verkaufen.

Wirtschaftliche Analyse des ESZB weist keinen offen­sicht­lichen Beurtei­lungs­fehler auf

Nach den Angaben, über die der Gerichtshof verfügt, ist nicht ersichtlich, dass die wirtschaftliche Analyse des ESZB, der zufolge das PSPP unter den monetären und finanziellen Bedingungen des Euro-Währungsgebiets geeignet war, zur Erreichung des Ziels der Gewährleistung der Preisstabilität beizutragen, einen offen­sicht­lichen Beurtei­lungs­fehler aufweist. Das PSPP geht nach seinem Grundgedanken nicht offensichtlich über das zur Erhöhung der Inflationsrate Erforderliche hinaus. Insbesondere erweist sich, dass die Gefahr einer Deflation durch den Einsatz der anderen Instrumente, über die das ESZB verfügte, nicht abgewendet werden konnte. Die Leitzinsen waren auf ein Niveau festgesetzt, das sich der in Betracht kommenden Untergrenze näherte, und das ESZB hatte bereits seit mehreren Monaten ein Programm zum massiven Ankauf von Wertpapieren des Privatsektors durchgeführt.

Zu den Anwen­dungs­mo­da­litäten des PSPP stellt der Gerichtshof fest, dass dieses Programm nicht selektiv ist und nicht den besonderen Finan­zie­rungs­be­dürf­nissen bestimmter Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets Rechnung trägt. Es erlaubt nicht den Kauf von Wertpapieren, die ein hohes Risiko aufweisen, und sieht strenge Ankau­fo­ber­grenzen pro Emission und Emittent vor. Zudem räumt es dem Ankauf von Anleihen privater Wirtschafts­teil­nehmer Vorrang ein.

Es erscheint nicht offensichtlich, dass ein Programm für den Erwerb von Staatsanleihen von geringerem Umfang oder kürzerer Dauer genau so wirkungsvoll und schnell wie das PSPP eine vergleichbare Entwicklung der Inflation hätte gewährleisten können, wie sie vom ESZB angestrebt wird, um das von den Verfassern der Verträge festgelegte vorrangige Ziel der Währungspolitik zu erreichen.

Risiken gebührend berücksichtigt

Außerdem hat das ESZB die verschiedenen beteiligten Interessen so gegeneinander abgewogen, dass tatsächlich vermieden wird, dass sich bei der Durchführung des PSPP Nachteile ergeben, die offensichtlich außer Verhältnis zu den verfolgten Zielen stehen. Insbesondere hat es die Risiken, denen der beträchtliche Umfang der im Rahmen des PSPP getätigten Wertpa­pierankäufe die Zentralbanken der Mitgliedstaaten gegebenenfalls aussetzen konnte, gebührend berücksichtigt und war der Ansicht, dass eine allgemeine Verlust­tei­lungsregel nicht einzuführen sei.

Programm verstößt nicht Verbot der monetären Finanzierung

Zum anderen stellt der Gerichtshof fest, dass das PSPP nicht gegen das Verbot der monetären Finanzierung verstößt, das dem ESZB untersagt, einem Mitgliedstaat Kredit­fa­zi­litäten zu gewähren. Die Durchführung dieses Programms hat nicht die gleiche Wirkung wie der Ankauf von Anleihen an den Primärmärkten und nimmt den Mitgliedstaaten nicht den Anreiz, eine gesunde Haushalts­politik zu verfolgen.

PSPP mit ausreichenden Garantien versehen

Das PSPP ist mit Garantien versehen, die sicherstellen, dass ein privater Marktteilnehmer beim Erwerb von Anleihen eines Mitgliedstaats nicht sicher sein kann, dass das ESZB diese in absehbarer Zeit tatsächlich ankaufen wird. Der Umstand, dass die Modalitäten des PSPP den Erwerb eines erheblichen Volumens von Anleihen öffentlich-rechtlicher Körperschaften und Einrichtungen der Mitgliedstaaten auf makro­öko­no­mischer Ebene vorhersehbar machen, kann einem konkreten privaten Marktteilnehmer keine solche Gewissheit verschaffen, dass er faktisch wie eine Mittelsperson des ESZB für den unmittelbaren Erwerb von Anleihen von einem Mitgliedstaat agieren könnte.

Des Weiteren erlaubt dieses Programm den Mitgliedstaaten nicht, ihre Haushalts­politik festzulegen, ohne zu berücksichtigen, dass die Kontinuität der Durchführung des Programms mittelfristig keineswegs gewährleistet ist und sie daher im Fall eines Defizits nach einer Finanzierung auf dem Markt zu suchen haben werden, ohne von der Lockerung der Finan­zie­rungs­be­din­gungen profitieren zu können, die die Durchführung des PSPP möglicherweise bewirkt.

Auswirkungen des PSPP auf gesunde Haushalts­politik durch ausreichend Maßnahmen beschränkt

Außerdem sind die Auswirkungen des PSPP auf den Anreiz, eine gesunde Haushalts­politik zu verfolgen, durch die Begrenzung des monatlichen Gesamtvolumens der Ankäufe von Wertpapieren des öffentlichen Sektors, die Subsidiarität des PSPP, die Verteilung der Ankäufe zwischen den nationalen Zentralbanken anhand des Schlüssels für die Kapita­l­zeichnung der EZB, die Ankau­fo­ber­grenzen pro Emission und Emittent (die bewirken, dass nur ein geringer Teil der von einem Mitgliedstaat ausgegebenen Anleihen vom ESZB im Rahmen des PSPP erworben werden kann) und die hohen Zulas­sungs­kri­terien (die auf einer Bonitäts­be­ur­teilung beruhen) beschränkt.

Zudem steht das Verbot der monetären Finanzierung weder dem Halten von Anleihen bis zur ihrer Endfälligkeit noch dem Ankauf von Anleihen mit negativer Endfäl­lig­keits­rendite entgegen.

Erläuterungen

Beschluss (EU) 2015/774 der Europäischen Zentralbank vom 4. März 2015 über ein Programm zum Ankauf von Wertpapieren des öffentlichen Sektors an den Sekundärmärkten (ABl. 2015, L 121, S. 20) in der durch den Beschluss 2017/100 der Europäischen Zentralbank vom 11. Januar 2017 (ABl. 2017, L 16, S. 51) geänderten Fassung.

** Public sector asset purchase programme.

*** Zudem können die nationalen Zentralbanken von zugelassenen internationalen Organisationen und multilateralen Entwick­lungs­banken begebene Schuldtitel kaufen.

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online

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