Die Richtlinie über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen gilt grundsätzlich für alle Vertragsklauseln, die nicht einzeln ausgehandelt wurden. Allerdings sieht die Richtlinie zwei Ausnahmen vor, die die Beurteilung der Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel betreffen. Danach betrifft diese Beurteilung weder den Hauptgegenstand des Vertrags noch die Angemessenheit zwischen dem Preis bzw. dem Entgelt und den Dienstleistungen bzw. den Gütern, die die Gegenleistung darstellen, sofern diese Klauseln klar und verständlich abgefasst sind.
Die spanische Regelung, mit der diese Richtlinie in innerstaatliches Recht umgesetzt wurde, hat diese Ausnahmen nicht übernommen. Sie erlaubt den nationalen Gerichten vielmehr die Beurteilung der Missbräuchlichkeit einer den Hauptgegenstand eines Vertrags betreffenden Klausel auch in den Fällen, in denen diese Klausel durch den Gewerbetreibenden klar und verständlich vorformuliert wurde.
Die Caja de Ahorros y Monte de Piedad de Madrid (Caja de Madrid), ein spanisches Kreditinstitut, schloss mit ihren Kunden Immobilienkreditverträge, in denen ein variabler Nominalzinssatz vorgesehen war, der periodisch nach dem vereinbarten Referenzzinssatz anzupassen war. Diese Verträge enthielten auch eine vorformulierte Klausel, wonach der vom Kreditnehmer geschuldete Zinssatz bereits ab der ersten Anpassung bei Schwankungen jedes Mal, wenn ein Bruchteil von ,25 % überschritten wurde, auf den nächsten Bruchteil aufgerundet wurde.
Am 28. Juli 2000 erhob eine spanische Vereinigung von Nutzern von Bankdienstleistungen (Ausbanc) vor einem spanischen Gericht eine Klage, mit der sie u. a. von Caja de Madrid die Streichung der Aufrundungsklausel aus diesen Verträgen sowie für die Zukunft die Unterlassung der Verwendung dieser Klausel verlangte.
Das Tribunal Supremo, das in letzter Instanz zu entscheiden hat, möchte vom Gerichtshof im Wesentlichen wissen, ob die Richtlinie über missbräuchliche Klauseln es verbietet, dass ein Mitgliedstaat in seiner Rechtsordnung zum Schutz der Verbraucher eine Missbrauchskontrolle von Vertragsklauseln vorsieht, die den Hauptgegenstand des Vertrags bzw. die Angemessenheit zwischen dem Preis bzw. dem Entgelt und den die Gegenleistung darstellenden Dienstleistungen bzw. Gütern regeln, auch wenn diese Klauseln klar und verständlich abgefasst sind.
Der Gerichtshof weist zunächst darauf hin, dass das durch die Richtlinie eingeführte Schutzsystem auf dem Gedanken beruht, dass der Verbraucher sich gegenüber dem Gewerbetreibenden in einer schwächeren Verhandlungsposition befindet und einen geringeren Informationsstand besitzt, was dazu führt, dass er den vom Gewerbetreibenden vorformulierten Bedingungen zustimmt, ohne auf deren Inhalt Einfluss nehmen zu können.
Sodann stellt er fest, dass die Richtlinie nur eine teilweise und minimale Harmonisierung der nationalen Rechtsvorschriften in Bezug auf missbräuchliche Klauseln vornimmt, wobei sie es den Mitgliedstaaten freistellt, dem Verbraucher ein höheres Schutzniveau als das in ihr vorgesehene zu gewähren.
Die Mitgliedstaaten dürfen somit auf dem gesamten durch die Richtlinie geregelten Gebiet strengere Regeln als die in der Richtlinie selbst vorgesehenen erlassen oder beibehalten, sofern sie auf einen besseren Schutz der Verbraucher abzielen.
Dadurch, dass die spanische Regelung die Möglichkeit einer umfassenden richterlichen Kontrolle aller in einem Vertrag zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher vorgesehenen Klauseln zulässt, kann sie aber ein höheres Niveau des effektiven Schutzes für den Verbraucher gewährleisten, als es in der Richtlinie festgelegt ist.
Folglich gelangt der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass die Richtlinie einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, die eine richterliche Missbrauchskontrolle von Vertragsklauseln, die den Hauptgegenstand des Vertrags bzw. die Angemessenheit zwischen dem Preis bzw. dem Entgelt und den die Gegenleistung darstellenden Dienstleistungen bzw. Gütern regeln, zulässt, auch wenn diese Klauseln klar und verständlich abgefasst sind.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 03.06.2010
Quelle: ra-online, EuGH