21.11.2024
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Dokument-Nr. 17781

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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil27.02.2014

Unter­schiedliche Mehr­wert­steuer­sätze für Taxen und Mietwagen mit Fahrerstellung unter bestimmten Voraussetzungen zulässigUnter­schiedliche Besteuerung bei Fahrten unter identischen Voraussetzungen jedoch ausgeschlossen

Taxen und Mietwagen mit Fahrer­ge­stellung können unter bestimmten Voraussetzungen unter­schied­lichen Mehr­wert­steuer­sätzen unterliegen. Eine unter­schiedliche Besteuerung ist jedoch ausgeschlossen, wenn die Fahrten unter identischen Voraussetzungen durchgeführt werden, wie es bei Kranken­trans­porten für eine Krankenkasse der Fall sein kann. Dies geht aus einer Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union hervor.

Das Unionsrecht* gestattet den Mitgliedstaaten, auf die Beförderung von Personen und des mitgeführten Gepäcks einen ermäßigten Mehrwert­steu­ersatz anzuwenden.

Deutscher Gesetzgeber sieht unter bestimmten Voraussetzungen ermäßigten Steuersatz vor

In Deutschland hat der Gesetzgeber von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht und einen ermäßigten Steuersatz von 7 % für die Beförderung von Personen mit Taxen vorgesehen**, sofern die Beförderung innerhalb einer Gemeinde erfolgt oder die Beför­de­rungs­strecke nicht mehr als 50 Kilometer beträgt.

Deutsche Unternehmen beanspruchen ebenfalls ermäßigten Steuersatz für die von ihnen angebotenen Kranken­transporte

Zwei deutsche Unternehmen, die Mietwagen mit Fahrer­ge­stellung anbieten, haben den Bundesfinanzhof (Deutschland) angerufen, weil sie der Auffassung sind, dass ihre Beför­de­rungs­leis­tungen im Nahverkehr, genau wie bei Taxen, nicht dem normalen Mehrwert­steu­ersatz (16 % für die Jahre 2003 bis 2006 und 19 % für das Jahr 2007) unterworfen werden dürften. Diese Leistungen betrafen u. a. den Krankentransport im Rahmen eines Vertrags zwischen einer Krankenkasse und dem Taxi- und Mietwa­gen­un­ter­neh­mer­verband, der auf Taxiunternehmen und Mietwa­gen­un­ter­nehmen mit Fahrer­ge­stellung unterschiedslos anwendbar war. Insbesondere galt das in diesem Vertrag festgelegte Beför­de­rungs­entgelt in gleicher Weise für beide Arten von Unternehmen.

Bundesfinanzhof äußert Zweifel an Vereinbarkeit einer unter­schied­lichen steuerlichen Behandlung mit dem Unionsrecht

Der Bundesfinanzhof weist darauf hin, dass in Deutschland sowohl die Beförderung per Taxi als auch die Beförderung per Mietwagen geneh­mi­gungs­pflichtig ist. Diese beiden Beför­de­rungsarten unterliegen jedoch unter­schied­lichen rechtlichen Anforderungen. So dürfen Mietwa­gen­un­ter­nehmen mit Fahrer­ge­stellung nur Beför­de­rungs­aufträge annehmen, die am Betriebssitz oder in der Wohnung des Unternehmers eingegangen sind; dagegen ist Taxiunternehmen die Annahme von Aufträgen stets gestattet, was das Vorhandensein von Fahrzeugen an genau bestimmten Stellen oder die Abrufbarkeit voraussetzt. Ferner bestehen Unterschiede in Bezug auf die Annahme, die Übermittlung und die Durchführung der Beför­de­rungs­aufträge sowie in Bezug auf die Werbung und das Bereithalten des Fahrzeugs. Außerdem dürfen den Taxen vorbehaltene Zeichen und Merkmale nicht für Mietwagen mit Fahrer­ge­stellung verwendet werden. Da der Bundesfinanzhof gleichwohl Zweifel an der Vereinbarkeit einer unter­schied­lichen steuerlichen Behandlung mit dem Unionsrecht und insbesondere dem Grundsatz der steuerlichen Neutralität*** hat, hat er den Gerichtshof befasst und um die Auslegung des Unionsrechts ersucht.

Unionsrecht steht Anwendung unter­schied­licher Mehrwert­steu­ersätze grundsätzlich nicht entgegen

Mit seinem Urteil antwortet der Gerichtshof, dass das Unionsrecht (insbesondere der Grundsatz der steuerlichen Neutralität) der Anwendung unter­schied­licher Mehrwert­steu­ersätze (eines ermäßigten und des normalen Steuersatzes) auf die Beförderung von Personen im Nahverkehr zum einen per Taxi und zum anderen per Mietwagen mit Fahrer­ge­stellung nicht entgegensteht, sofern zwei Voraussetzungen erfüllt sind:

1. Aufgrund der unter­schied­lichen rechtlichen Anforderungen, denen diese beiden Beför­de­rungsarten unterliegen, muss die Beförderung per Taxi einen konkreten und spezifischen Aspekt der fraglichen Dienst­leis­tungs­ka­tegorie (Beförderung von Personen und des mitgeführten Gepäcks) darstellen.

2. Diese Unterschiede müssen einen maßgeblichen Einfluss auf die Entscheidung des durch­schnitt­lichen Nutzers für eine dieser Beför­de­rungsarten haben. Es ist Sache des Bundes­fi­nanzhofs, zu prüfen, ob diese Voraussetzungen in den bei ihm anhängigen Rechtss­trei­tig­keiten erfüllt sind.

Grundsatz steuerlicher Neutralität steht abweichender steuerlicher Behandlung beider Beför­de­rungsarten nicht entgegen

Zur ersten Voraussetzung führt der Gerichtshof aus, dass die von den Taxiunternehmen erbrachten Leistungen als gesonderte Leistungen qualifiziert werden können, wenn diese Unternehmen, im Unterschied zu Mietwa­gen­un­ter­nehmen mit Fahrer­ge­stellung, eine Betriebspflicht übernehmen müssen, die es ihnen verbietet, eine Beförderung in Erwartung insbesondere einer profitableren Fahrt abzulehnen oder Situationen gewinnbringend zu nutzen, in denen sie ein vom offiziellen Tarif abweichendes Beför­de­rungs­entgelt verlangen könnten. Unter solchen Umständen könnte die Tätigkeit der Beförderung von Personen im Nahverkehr per Taxi als Dienstleistung eingestuft werden, die sich von den übrigen Leistungen der betreffenden Kategorie (Beförderung von Personen und des mitgeführten Gepäcks) unterscheidet, und somit einen konkreten und spezifischen Aspekt dieser Kategorie darstellen. Zur zweiten Voraussetzung weist der Gerichtshof darauf hin, dass der durch­schnittliche Nutzer die beiden fraglichen Beför­de­rungsarten unterscheiden kann, soweit sie unter­schied­lichen rechtlichen Anforderungen – wie den vom Bundesfinanzhof beschriebenen – unterliegen. Jede von ihnen ist geeignet, unter­schiedliche Bedürfnisse zu befriedigen, was auf die Entscheidung des Nutzers, die eine oder die andere zu wählen, maßgeblichen Einfluss haben kann. Der Gerichtshof schließt daraus, dass der Grundsatz der steuerlichen Neutralität einer abweichenden steuerlichen Behandlung dieser beiden Beför­de­rungsarten nicht entgegensteht.

Sonder­ver­ein­barung kann zur Unzulässigkeit der unter­schied­lichen steuerlichen Behandlung führen

Dagegen steht das Unionsrecht der Anwendung unter­schied­licher Mehrwert­steu­ersätze auf die Beförderung von Personen im Nahverkehr zum einen per Taxi und zum anderen per Mietwagen mit Fahrer­ge­stellung entgegen, wenn aufgrund einer Sonder­ver­ein­barung, die auf die Taxiunternehmen und die Mietwa­gen­un­ter­nehmen mit Fahrer­ge­stellung unterschiedslos angewandt wird, (i) die Beförderung von Personen per Taxi keinen konkreten und spezifischen Aspekt der Beförderung von Personen und des mitgeführten Gepäcks darstellt und (ii) die im Rahmen dieser Vereinbarung durchgeführte Tätigkeit aus der Sicht des durch­schnitt­lichen Nutzers als der Tätigkeit der Beförderung von Personen im Nahverkehr per Mietwagen mit Fahrer­ge­stellung gleichartig anzusehen ist. Es ist Sache des Bundes­fi­nanzhofs, dies zu prüfen.

Unter­schied­licher Mehrwert­steu­ersatz für identische Leistungen ungerecht­fertigt

Der Gerichtshof hält die Anwendung eines unter­schied­lichen Mehrwert­steu­er­satzes für ausgeschlossen, wenn das Beför­de­rungs­entgelt in einer solchen Vereinbarung festgelegt ist und in gleicher Weise für die Taxiunternehmen und die Mietwa­gen­un­ter­nehmen mit Fahrer­ge­stellung gilt, wenn die Vereinbarung für beide Beför­de­rungsarten lediglich die Pflicht zur tatsächlichen Durchführung des Transports vorsieht und wenn die Taxiunternehmen somit im Rahmen der Vereinbarung nicht den außerhalb dieser Vereinbarung für sie geltenden besonderen rechtlichen Anforderungen unterliegen.

Erläuterungen

* Insbesondere die Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwert­steu­er­system (ABl. L 347, S. 1).

** Für die Jahre 2003 bis 2007, um die es in den Rechtssachen geht.

*** Der Grundsatz der steuerlichen Neutralität lässt es insbesondere nicht zu, gleichartige und deshalb miteinander in Wettbewerb stehende Waren oder Dienst­leis­tungen hinsichtlich der Mehrwertsteuer unterschiedlich zu behandeln.

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online

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