Die Gemeinschaftsverordnung Nr. 1408/71 sieht Koordinierungsregeln im Bereich der sozialen Sicherheit vor, um Personen, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, die Beibehaltung erworbener Ansprüche und Vorteile zu sichern.
In dieser Verordnung wird der Grundsatz aufgestellt, dass nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats erworbene Altersrenten nicht dadurch berührt werden dürfen, dass der Empfänger im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnt. Es gibt allerdings Ausnahmen von diesem Grundsatz. In Bezug auf Deutschland lässt es die Verordnung insbesondere zu, dass außerhalb des Gebiets der Bundesrepublik zurückgelegte Zeiten nur dann für die Zahlung von Leistungen bei Alter berücksichtigt werden, wenn der Empfänger in Deutschland wohnt. Auf der Grundlage dieser Ausnahme hat die Rentenversicherung Bund die Berücksichtigung von zwei Arten von Beitragszeiten verweigert.
Frau Habelt und Frau Möser, zwei deutsche Staatsangehörige mit Wohnsitz in Belgien bzw. im Vereinigten Königreich, klagen vor dem Sozialgericht Berlin auf Berücksichtigung von Zeiten bei der Berechnung ihrer Altersrenten, in denen sie in Gebieten, in denen seinerzeit die Sozialversicherungsgesetze des Deutschen Reichs galten, Beiträge gezahlt haben. Um über die Klagen entscheiden zu können, hat das Sozialgericht dem Gerichtshof die Frage der Vereinbarkeit der in der Verordnung Nr. 1408/71 vorgesehenen Befugnis vorgelegt, für Zeiten, in denen im Geltungsgebiet der Sozialversicherungsgesetze des Deutschen Reichs Beiträge gezahlt wurden, keine Altersrenten zu zahlen.
In seinem heutigen Urteil weist der Gerichtshof zunächst die Argumentation zurück, die auf Beitragszeiten von 1937 bis 1945 beruhenden Leistungen bei Alter seien als Leistungen für Opfer des Krieges und seiner Folgen anzusehen und unterlägen daher nicht den Bestimmungen der Verordnung.
Der Gerichtshof stellt fest, dass die Situation von Frau Habelt und von Frau Möser durchaus in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71 fällt. Bei der ihnen zustehenden Rente handelt es sich um die Gegenleistung für Beiträge, die sie an die Versicherungsträger des Deutschen Reichs und anschließend der Bundesrepublik gezahlt haben. Die Weigerung, bei der Berechnung von Leistungen bei Alter, die an nicht in Deutschland wohnhafte Empfänger gezahlt werden, die von 1937 bis 1945 gezahlten Beiträge zu berücksichtigen, stellt eine Beschränkung ihres Rechts auf Freizügigkeit innerhalb der Union dar. Mangels einer objektiven Rechtfertigung für diese Beschränkung kommt der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass die Bestimmung, die es zulässt, dass außerhalb des Gebiets der Bundesrepublik zurückgelegte Zeiten nur dann für die Zahlung von Leistungen bei Alter berücksichtigt werden, wenn der Empfänger in Deutschland wohnt, mit der Freizügigkeit unvereinbar ist.
Die Rentenversicherung hat es ferner abgelehnt, eine Altersrente auf der Grundlage von Zeiten zu zahlen, in denen Herr Wachter, ein österreichischer Staatsangehöriger mit Wohnsitz in Österreich, der in Deutschland als Vertriebener anerkannt ist, von 1953 bis 1970 in Rumänien Beiträge gezahlt hat. Vor 1994 konnten die auf Beitragszeiten im Ausland beruhenden Renten nach einem deutsch-österreichischen Abkommen in Österreich bezogen werden. Seit die Verordnung Nr. 1408/71 in Österreich gilt, erlaubt sie es allerdings, diese Renten nur noch an Empfänger mit Wohnsitz in Deutschland zu zahlen.
Da Herr Wachter erst im Jahr 1999 das 63. Lebensjahr, das den Anspruch auf eine Altersrente eröffnet, vollendet hat, wurde ihm die Zahlung der Rente nach Österreich verweigert. Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, das in zweiter Instanz über die von Herrn Wachter erhobene Klage zu entscheiden hat, fragt sich, ob die streitigen Bestimmungen der Verordnung Nr. 1408/71 mit dem durch den Vertrag garantierten Recht auf Freizügigkeit vereinbar sind. Der Gerichtshof führt aus, dass das Gemeinschaftsrecht auf eine Situation wie die von Herrn Wachter, der sich auf die Begünstigung mit einer Altersrente nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats (Deutschland) als desjenigen seines Wohnsitzes (Österreich) beruft, Anwendung findet. Herr Wachter hat seine Beiträge zwar seinerzeit an Versicherungsträger eines Drittstaats (Rumänien) gezahlt, diese Beiträge sind jedoch für den Bezug einer deutschen Rente anerkannt worden.
Unter diesen Umständen verstößt der Verlust des Anspruchs auf Leistungen bei Alter infolge des Inkrafttretens der Bestimmungen der Verordnung Nr. 1408/71 in Österreich gegen die Freizügigkeit der Arbeitnehmer.
Der Gerichtshof kommt zu dem Ergebnis, dass die Bestimmungen, die es zulassen, dass von 1953 bis 1970 in Rumänien zurückgelegte Beitragszeiten nur dann für die Zahlung von Leistungen bei Alter berücksichtigt werden, wenn der Empfänger seinen Wohnsitz in Deutschland hat, mit der Freizügigkeit unvereinbar sind.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 18.12.2007
Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 97/07 des EuGH vom 18.12.2007