24.11.2024
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Dokument-Nr. 1679

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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil10.01.2006

Entschä­di­gungs­re­ge­lungen für Fluggäste: EU-Verordnung über Ausgleichs- und Unter­stüt­zungs­leis­tungen für Fluggäste ist gültig

Die in der Verordnung vorgesehenen Maßnahmen zur Verwirklichung des Zieles, den Schutz der Fluggäste im Falle einer Annullierung oder erheblicher Verspätung von Flügen zu verstärken, sind mit dem Übereinkommen von Montreal vereinbar und verstoßen nicht gegen den Grundsatz der Verhält­nis­mä­ßigkeit.

Im Februar 2004 erliesen das Europäische Parlament und der Rat eine Verordnung über Ausgleichs- und Unter­stüt­zungs­leis­tungen der Luftfahrt­un­ter­nehmen fur Fluggäste im Fall der Nicht­be­för­derung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen.

Bei Annullierung eines Fluges können die Fluggäste nach dieser Verordnung zwischen der Erstattung der Flugti­cket­kosten und anderweitiger Beförderung zum Endziel durch das Luftfahrt­un­ter­nehmen wählen. Sie haben auch Anspruch auf unentgeltliche Betreu­ungs­leis­tungen (Bewirtung, Telefon­ge­spräche und gegebenenfalls Hotel­un­ter­bringung) sowie auf Ausgleichs­zah­lungen, deren Höhe sich nach der jeweiligen Entfer­nungs­ka­tegorie richtet. Diese Ausgleichs­zah­lungen werden nicht geschuldet, wenn das Luftfahrt­un­ter­nehmen über die Annullierung mindestens zwei Wochen vor der Abflugzeit informiert oder eine zufrieden stellende anderweitige Beförderung anbietet oder auch, wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung auf außer­ge­wöhnliche Umstände zurückgeht.

Im Fall der Verspätung eines Fluges über eine bestimmte, sich nach der Entfernung richtende Dauer hinaus werden dem Fluggast Betreu­ungs­leis­tungen angeboten. Bei einer Verspätung von mehr als fünf Stunden wird ihm auf jeden Fall die Erstattung angeboten. Die International Air Transport Association (IATA), ein Verband von 270 Flugge­sell­schaften aus 130 Ländern, die 98 % der internationalen Linienfluggäste befördern, und die European Low Fares Airline Association (ELFAA), ein Verband, der die Interessen von zehn europäischen Niedrigtarif-Flugge­sell­schaften aus neun europäischen Ländern vertritt, haben beim High Court of Justice (England & Wales) die Durchführung der Verordnung durch das Vereinigte Königreich beanstandet. Dabei haben sie Fragen nach der Gültigkeit dieser Verordnung, und insbesondere der Bestimmungen über Annullierungen, Verspätungen und Ausgleichs­leis­tungen aufgeworfen. Der High Court of Justice hat diese Fragen dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften vorgelegt.

Zur Vereinbarkeit der Verordnung mit dem Übereinkommen von Montreal stellt der Gerichtshof fest, dass dieses völker­rechtliche Abkommen, das u. a. die Haftung des Luftver­kehrs­un­ter­nehmens im Fall der Verspätung regele, für die Gemeinschaft verbindlich sei. Das Übereinkommen regele aber nur, unter welchen Voraussetzungen Fluggäste im Anschluss an die Verspätung eines Fluges Ansprüche auf Schadensersatz als individuelle Wieder­gut­machung gegen die Beför­de­rungs­un­ter­nehmen geltend machen konnten, die für einen aus dieser Verspätung entstandenen Schaden die Verantwortung trugen. Die in der Gemein­schafts­ver­ordnung vorgesehenen Ünterstutzungs- und Betreu­ungs­leis­tungen fur die Fluggäste im Fall der erheblichen Verspätung eines Fluges stellten hingegen standardisierte sofortige Maßnahmen zur Wieder­gut­machung dar. Sie gehörten nicht zu den Maßnahmen, deren Voraussetzungen das Übereinkommen festlege, und konnten daher nicht als mit dem Übereinkommen von Montreal unvereinbar angesehen werden.

In Bezug auf den Verfah­rens­fehler, mit dem nach Ansicht der IATA und der ELFAA der Erlass der Verordnung behaftet sei, weist der Gerichtshof das Vorbringen zurück, dass der Vermitt­lungs­aus­schuss, der im Rahmen des Mitent­schei­dungs­ver­fahrens dann einberufen wird, wenn der Rat die vom Parlament vorgeschlagenen Abänderungen nicht billigt, seine Befugnisse überschritten habe.

Hinsichtlich der Wahrung der Begrün­dungs­pflicht und des Grundsatzes der Rechts­si­cherheit verweist der Gerichtshof darauf, dass die angefochtenen Bestimmungen der Verordnung deutlich und klar die dem Luftfahrt­un­ter­nehmen obliegenden Verpflichtungen festlegten, das verfolgte Ziel in seinen wesentlichen Zügen zum Ausdruck brachten und völlig eindeutig seien. Sie seien daher nicht aufgrund eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Rechts­si­cherheit oder gegen die Begrün­dungs­pflicht ungültig.

In Bezug auf die Beachtung des Grundsatzes der Verhält­nis­mä­ßigkeit prüft der Gerichtshof, ob die in der Verordnung vorgesehenen Maßnahmen offensichtlich außer Verhältnis zur Verwirklichung des Zieles stehen, den Schutz der Fluggäste im Falle einer Annullierung oder erheblicher Verspätung von Flügen dadurch zu verstärken, dass bestimmte Schaden standardisiert und sofort ersetzt werden. Er stellt hierzu fest, dass die vorgesehenen Maßnahmen an sich im Fall der Annullierung oder erheblichen Verspätung von Flügen geeignet seien, bestimmte von Fluggästen erlittene Schäden unmittelbar wieder­gutz­u­machen, und es so ermöglichten, das angestrebte Ziel zu gewährleisten. Ihr Umfang richte sich nach der Schwere des Schadens, der den Fluggästen entstanden sei. Schließlich erscheine der Ausgleich, den die Fluggäste beanspruchen könnten, wenn sie verspätet von der Annullierung eines Fluges unterrichtet wurden, als dem angestrebten Ziel nicht offensichtlich unangemessen, da ein Befreiungsgrund vorgesehen sei, auf den sich die Beför­de­rungs­un­ter­nehmen gegebenenfalls berufen könnten, und die ihnen obliegende Verpflichtung nur unter einschränkenden Voraussetzungen zum Tragen komme. Darüber hinaus erscheine der Ausgleich auch der Höhe nach nicht ubermäßig und entspreche unter Berück­sich­tigung der seitherigen Inflation im Wesentlichen dem Ausgleich, der in einer früheren Verordnung vorgesehen sei.

Zur Beachtung des Gleich­be­hand­lungs­grund­satzes vertritt der Gerichtshof die Auffassung, dass die Lage der Unternehmen in den verschiedenen Beför­de­rungs­sektoren nicht die gleiche sei. Im Falle einer Annullierung oder erheblichen Verspätung eines Fluges befanden sich Fluggäste in einer objektiv anderen Situation als Reisende mit anderen Beför­de­rungs­mitteln im Fall gleichartiger Vorkommnisse.

Hingegen entstehe den Fluggästen der Luftfahrt­un­ter­nehmen im Fall der Annullierung oder erheblichen Verspätung von Flügen unabhängig davon der gleiche Schaden, mit welcher Gesellschaft sie einen Vertrag geschlossen hatten; dieser Schaden stehe in keinem Zusammenhang mit der Preispolitik der Unternehmen. Daher habe der Gemein­schafts­ge­setzgeber alle Luftfahrt­ge­sell­schaften gleich behandeln müssen.

Der Gerichtshof gelangt somit zu dem Ergebnis, dass seine Prüfung nichts ergeben habe, was der Gültigkeit der in Rede stehenden Verord­nungs­be­stim­mungen entgegenstünde.

Quelle: Pressemitteilung Nr. 01/06 des EuGH vom 10.01.2006

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