15.11.2024
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Dokument-Nr. 25163

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Urteil09.11.2017Gerichtshof der Europäischen UnionC-306/16
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • NJW 2018, 683Zeitschrift: Neue Juristische Wochenschrift (NJW), Jahrgang: 2018, Seite: 683
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil09.11.2017

12 Tage Arbeit ohne Ruhetag sind für Arbeitnehmer zulässigRuhezeit kann an beliebigem Tag innerhalb des Sieben­ta­ge­zeitraums gewährt werden

EU-weit müssen Arbeitgeber ihren Angestellten mindestens in jeder Woche einen freien Tag gewähren. Variabel ist jedoch, auf welchen Tag dieser Ruhetag gelegt wird. Es muss nicht immer der letzte Tag der Woche sein. Dies bedeutet, dass Arbeitnehmer in der Europäischen Union zur Arbeit an bis zu 12 Tagen am Stück verpflichtet werden können, wenn der Arbeitgeber die Ruhetage entsprechend an den Anfang der ersten und das Ende der zweiten Arbeitswoche legt. Dies ergibt sich aus einem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 9. November 2017.

Entschä­di­gungs­an­spruch für Arbeit an mehr als 7 aufein­an­der­fol­genden Tagen?

Dies ergibt sich aus einem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 9. November 2017. Das Verfahren war dem EuGH im Wege eines Vorab­ent­schei­dungs­er­suchens von dem portugiesischen Berufungs­gericht Tribunal da Relação do Porto vorgelegt worden. Dieses hatte über die Klage eines ehemaligen angestellten Arbeitnehmers eines portugiesischen Casinos zu entscheiden, der zeitweise an mehr als sieben aufein­an­der­fol­genden Tagen in dem Casino hatte arbeiten müssen. Dafür verlangte er von der Eigentümerin des Casinos nach Beendigung des Arbeits­ver­hält­nisses eine Entschädigung in Höhe der Vergütung der von ihm vermeintlich geleisteten Überstunden.

EU-Arbeits­zei­trichtlinie: Haben Arbeitnehmer Anspruch auf Ruhetag nach 6 Arbeitstagen?

Die Arbeits­zeit­re­gelung in dem Casino stelle eine Verletzung der europäischen Arbeits­zei­trichtlinie 2003/88 EG dar. Artikel 5 ("Wöchentliche Ruhezeit") der Richtlinie schreibt vor, dass "jedem Arbeitnehmer pro Sieben­ta­ges­zeitraum eine kontinuierliche Mindestruhezeit von 24 Stunden zuzüglich der täglichen Ruhezeit von elf Stunden" gewährt wird.

Auslegung der EU-Richtlinie: Was bedeutet "pro Sieben­ta­ges­zeitraum"?

Auf den ersten Blick liest sich diese Regelung tatsächlich wie ein klares Bekenntnis zur verbindlichen Sechs-Tage-Arbeitswoche als maximale Arbeits­zeit­be­lastung für Arbeitnehmer. Dies meinte auch der Kläger, der seinen geltend gemachten Entschä­di­gungs­an­spruch damit begründete, dass sich aus der Arbeits­zei­trichtlinie ergebe, dass Arbeitnehmern zwingend zumindest ein Ruhetag nach jeweils sechs aufein­an­der­fol­genden Arbeitstagen gewährt werden müsse.

Anders sah dies aber der Arbeitgeber. Dieser vertrat die Auffassung, dass das Unionsrecht die aufein­an­der­fol­genden Arbeitstage nicht begrenze, solange den Beschäftigten nur die verbindliche Mindestruhezeit pro Zeitraum von sieben Tagen eingeräumt werde. Denn Art. 5 der europäischen Arbeits­zei­trichtlinie spreche lediglich von einem Ruhetag pro Sieben­ta­ges­zeitraum - ohne festzulegen, wann dieser Ruhetag zu gewähren sei.

EU-Richtlinie legt Verteilung der Ruhetage nicht fest

Diese Lesart der Richtlinie bestätigte der EuGH. Das Gericht führt in seinem Urteil explizit aus, dass Art. 5 der EU-Richtlinie 2003/88 keineswegs näher festlege, zu welchem Zeitpunkt die Mindestruhezeit von 24 Stunden "pro Sieben­ta­ges­zeitraum" zuzüglich der täglichen Ruhezeit von elf Stunden zu gewähren sei. Der Wortlaut des Art. 5 der Richtlinie verpflichte die Mitgliedstaaten der Europäischen Union lediglich, zu gewährleisten, dass - nicht aber wann - die Mindestruhezeit jedem Arbeitnehmer während eines Sieben­ta­ges­zeitraums zur Verfügung stehe.

Eine solche Auslegung des Art. 5 der Richtlinie komme zudem nicht nur dem Arbeitgeber zugute, sondern könne auch im Interesse des betroffenen Arbeitnehmers liegen, da diesem dadurch ermöglicht werde, zum Ende eines Bezugszeitraums und zum Anfang des darauf folgenden Zeitraums mehrere aufein­an­der­folgende Ruhetage zu erhalten. Auch könne eine verbindliche Festlegung fester Ruhetage für Unternehmen, die an jedem Tag der Woche geöffnet haben - so wie das beklagte Casino - zur Folge haben, dass einigen Arbeitnehmern diese Ruhetage nicht an Wochenenden gewährt werden könne.

"Sieben­ta­ges­zeitraum" als Bezugszeitraum

Der EuGH führt weiter aus, dass es sich bei dem zugrunde gelegten "Sieben­ta­ges­zeitraum" um einen "Bezugszeitraum" handele. Ein Bezugszeitraum sei ein fester Zeitraum, innerhalb dessen eine bestimmte Anzahl aufein­an­der­fol­gender Ruhestunden zu gewähren sei - und zwar unabhängig vom Zeitpunkt, zu dem diese Ruhestunden gewährt werden. Eine gleichmäßige Verteilung der Arbeitszeit sei nicht vorgeschrieben.

Zugleich wies das Gericht auf die weiteren Arbeit­neh­mer­schutz­be­stim­mungen der EU-Arbeits­zei­trichtlinie hin. Danach dürfen Arbeitgeber von ihren Arbeitnehmern nicht verlangen, im Durchschnitt mehr als 48 Stunden innerhalb eines Sieben­ta­ges­zeitraums zu arbeiten. Eine gleichmäßige Verteilung der Arbeitszeit wird dabei nicht verlangt. Dies stütze ebenfalls die Auslegung des Art. 5 der Richtlinie, dass die Mindestruhezeit von 24 Stunden plus der täglichen Ruhezeit von elf Stunden jederzeit innerhalb jedes Sieben­ta­ges­zeitraums gewährt werden könne, und nicht verpflichtend stets am Ende des Zeitraums gewährt werden müsse. Daraus folge, dass die Mindestruhezeit nicht aufgrund der europäischen Arbeits­zei­trichtlinie spätestens am siebten Tag nach sechs aufein­an­der­fol­genden Arbeitstagen gewährt werden müsse.

Der EuGH stellte aber auch klar, dass die Richtlinie arbeit­neh­mer­freund­li­cheren nationalen Arbeits­zeit­re­ge­lungen in den EU-Mitglieds­s­taaten nicht entgegenstehe. Zum anderen gelte in jedem Fall die in der Richtlinie festge­schriebene tägliche Ruhezeit von 11 Stunden und die wöchentliche durch­schnittliche Höchst­a­r­beitszeit von 48 Stunden.

EU-Arbeits­zei­trichtlinie als Mindestschutz: EU-Staaten können arbeit­neh­mer­freund­lichere Arbeits­zeit­re­ge­lungen erlassen

Die EU Mitglieds­s­taaten sind also durchaus berechtigt, für Arbeitnehmer gegenüber der EU-Verordnung günstigere Regelungen zu schaffen. Aus der EU Verordnung ergibt sich jedenfalls lediglich, dass der wöchentliche Ruhetag innerhalb jedes Sieben­ta­ges­zeitraums gewährt wird, nicht aber, dass dies stets nach Ablauf von sechs aufein­an­der­fol­genden Arbeitstagen der Fall ist. Wenn nun also der erste Ruhetag am Ende der Arbeitswoche und der Ruhetag der darauffolgenden Arbeitswoche sogleich an deren Beginn genommen wird, so kann es zu einer zulässigen Arbeitszeit an bis zu 12 aufein­an­der­fol­genden Arbeitstagen kommen. Wenn also der Ruhetag in der einen Woche der Montag und in der nächsten Woche der Sonntag ist, muss der betroffene Arbeitnehmer an 12 aufein­an­der­fol­genden Tagen arbeiten, ohne dass dies einen Verstoß gegen die EU-Arbeits­zei­trichtlinie darstellen würde.

Was bedeutet das Urteil für Arbeitnehmer in Deutschland?

In Deutschland ist diese Problematik zum einen dadurch entschärft, dass zwei Ruhetage pro Woche die absolute Regel sind. Eine Sechs-Tage-Arbeitswoche ist nach wie vor absolut unüblich. Zudem ist der Sonntag in Deutschland gesetzlicher Ruhetag, so dass Arbeitgeber in den meisten Branchen die Ruhetage nicht nach freiem Ermessen verteilen können, sondern ihren Arbeitnehmern eben zumindest jeden Sonntag frei geben müssen. 12 aufein­an­der­folgende Arbeitstage können so nicht zusammenkommen. Allerdings gibt es auch in Deutschland einige Branchen, in denen der gesetzliche Ruhetag nicht gilt. Dies ist etwa in der Gastronomie und Hotellerie der Fall sowie in Pflege­ein­rich­tungen, Krankenhäusern, im Sicher­heits­gewerbe und bei der Feuerwehr. Wenn dort die Arbeitnehmer auch an Sonntagen arbeiten müssen, so haben sie Anspruch auf Gewährung des Ruhetages an einem anderen Wochentag - allerdings erst innerhalb eines Zeitraums von zwei Wochen ab dem betreffenden Beschäf­ti­gungstag, für den der Ausgleich des Ruhetags geschaffen werden soll. Theoretisch könnten in Deutschland ohne die EU-Arbeits­zei­trichtlinie auf diese Weise sogar 19 aufein­an­der­folgende Arbeitstage zustande kommen. In einem solchen Fall wirkt die europäische Richtlinie wiederum begrenzend, da nach ihr höchstens 12 aufein­an­der­folgende Arbeitstage zulässig sind.

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online (vt/we)

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