14.11.2024
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Dokument-Nr. 3894

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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil06.03.2007

Europäischer Gerichtshof verurteilt Deutschland wegen Steuer­gut­schriften auf Dividenden inländischer Aktien­ge­sell­schaften zu Steuer­rü­ck­er­stattung in MilliardenhöheBesitzer ausländischer Aktien wurden benachteiligt - Bund muss Nachteile aus einer bis 2001 geltenden Steuer­richtlinie rückwirkend wiedergutmachen

Bis Ende 2000 sah das deutsche Einkom­men­steu­er­gesetz eine Steuer­gut­schrift für Dividenden deutscher Aktien­ge­sell­schaften vor. Für die Dividenden von ausländischen Gesellschaften gab es diese Gutschrift nicht. Der Europäische Gerichtshof sah hierin eine unzulässige Benachteiligung für deutsche Aktienbesitzer, die ausländische Aktien in ihrem Depot hatten. Ein Mitgliedsstaat dürfe eine Steuer­gut­schrift nicht nur für Dividenden einer inländischen Kapital­ge­sell­schaft gewähren, urteilten die Richter. Da dieser Aspekt der Kapita­l­ver­kehrs­freiheit bereits seit dem Urteil Verkooijen, dessen zeitliche Wirkung der Gerichtshof nicht beschränkte, geklärt sei, habe der Gerichtshof die Wirkungen seines jetzigen Urteils nicht beschränkt.

Mit diesem Urteil ist Deutschland verpflichtet, Steuer­rü­ck­zah­lungen in Milliardenhöhe zu leisten. Deutschland müsse die Nachteile, die Besitzern ausländischer Wertpapiere aus der bis 2001 gültigen Regelung entstanden seien, rückwirkend ausgleichen.

Die Vorgeschichte des Rechtsstreits im Ausgangs­ver­fahren reicht in die 90er-Jahre zurück. Nach dem damals geltenden deutschen Recht hatten in Deutschland unbeschränkt Einkom­men­steu­er­pflichtige Anspruch auf eine Steuer­gut­schrift für die von deutschen Gesellschaften erhaltenen Dividenden, nicht aber für die Dividenden, die von Gesellschaften mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten stammten. Den Aktionären dieser Gesellschaften kam somit nicht der Anrech­nungs­me­cha­nismus zugute, der es den Steuer­pflichtigen erlaubte, 3/7 der an sie ausgeschütteten Dividenden von der Einkom­men­steu­er­schuld gegenüber dem deutschen Fiskus abzuziehen.

In den Jahren 1995 bis 1997 erhielt Herr Meilicke, ein in Deutschland wohnhafter deutscher Staats­an­ge­höriger, Dividenden auf von ihm gehaltene Aktien von Gesellschaften mit Sitz in den Niederlanden und in Dänemark. Nach seinem Ableben beantragten seine Erben im Jahr 2000 beim Finanzamt Bonn-Innenstadt erfolglos eine Steuer­gut­schrift für diese Dividenden. Die Erben erhoben daraufhin Klage beim Finanzgericht Köln, das vom Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften im Wege eines Vorab­ent­schei­dungs­er­suchens wissen möchte, ob die Gemein­schafts­be­stim­mungen über den freien Kapitalverkehr ein Steuersystem wie das deutsche zulassen.

Nicht gerechtfertigte Beschränkung des freien Kapitalverkehrs

In seinem Urteil vom heutigen Tag entscheidet der Gerichtshof, dass die deutsche Steuerregelung den freien Kapitalverkehr beschränkt. Er verweist insoweit auf seine Rechtsprechung zur Klarstellung der Anforderungen, die sich aus dem freien Kapitalverkehr für Dividenden ergeben, die Inländer von ausländischen Gesellschaften empfangen*.

Der Gerichtshof stellt fest, dass die Steuer­gut­schrift nach der deutschen Regelung entsprechend derjenigen, um die es in der Rechtssache Manninen ging, die Doppel­be­steuerung der als Dividenden ausgeschütteten Gewinne von Gesellschaften verhindern soll.

In diesem Zusammenhang weist er darauf hin, dass eine solche Regelung, indem sie die Steuer­gut­schrift auf Dividenden beschränkt, die von Gesellschaften mit Sitz in Deutschland ausgeschüttet werden, zum einen die in Deutschland unbeschränkt einkom­men­steu­er­pflichtigen Personen, die Dividenden von Gesellschaften mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten beziehen, benachteiligt. Diese Personen können auf ihre Steuer nicht die von diesen Gesellschaften in ihrem Sitzstaat geschuldete Körper­schaft­steuer anrechnen.

Zum anderen behindert die Regelung die letztgenannten Gesellschaften darin, in Deutschland Kapital zu sammeln.

Der Gerichtshof weist sodann das Vorbringen zurück, dass die fragliche Regelung durch die Notwendigkeit gerechtfertigt sei, die Kohärenz des nationalen Steuersystems zu wahren. Er führt dazu aus, dass es, ohne die Kohärenz dieses Systems in Frage zu stellen, ausreichen würde, einem steuer­pflichtigen Aktionär einer Gesellschaft mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat eine Steuer­gut­schrift zu gewähren, die nach Maßgabe der von dieser Gesellschaft im letztgenannten Mitgliedstaat geschuldeten Körper­schaft­steuer berechnet wird. Eine solche Lösung würde den freien Kapitalverkehr weniger beschränken.

Keine Beschränkung der zeitlichen Wirkung des Urteils

Die deutsche Regierung hat in ihren beim Gerichtshof eingereichten Erklärungen die Möglichkeit angesprochen, dass der Gerichtshof die zeitliche Wirkung seines Urteils beschränkt. Sie hat den Gerichtshof zum einen auf die schwerwiegenden Folgen aufmerksam gemacht, die eine Feststellung der Unvereinbarkeit der streitigen Regelung mit dem freien Kapitalverkehr nach sich ziehen würde. Zum anderen hat sie geltend gemacht, sie habe bis zur Verkündung des Urteils Verkooijen im Jahr 2000 davon ausgehen dürfen, dass diese Regelung mit dem Gemein­schaftsrecht in Einklang stehe.

Der Gerichtshof erinnert daran, dass er die zeitliche Wirkung einer Auslegung einer Vorschrift des Gemein­schafts­rechts nur ausnahmsweise und in dem Urteil selbst, in dem über die erbetene Auslegung entschieden wird, beschränken kann.

Er erläutert, dass sich die zeitliche Wirkung einer solchen Auslegung notwendig nach einem einheitlichen Zeitpunkt bestimmen muss. Insoweit stellt der Grundsatz, dass eine Beschränkung nur in dem Urteil selbst erfolgen kann, in dem über die erbetene Auslegung entschieden wird, die Gleich­be­handlung der Mitgliedstaaten und der Einzelnen in Ansehung des Gemein­schafts­rechts sicher und erfüllt damit die Anforderungen, die sich aus dem Grundsatz der Rechts­si­cherheit ergeben.

Insoweit weist er darauf hin, dass die Anforderungen, die sich aus dem Grundsatz des freien Kapitalverkehrs für Dividenden ergeben, die Inländer von ausländischen Gesellschaften empfangen, bereits im Urteil Verkooijen klargestellt worden sind und dessen zeitliche Wirkung nicht beschränkt wurde.

Aus diesen Gründen gelangt der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass die zeitliche Wirkung des vorlie­gen­den­Urteils nicht zu beschränken ist.

Fußnote:

*In seinem Urteil vom 6. Juni 2000, Verkooijen (C-35/98, Slg. 2000, I-4071), entschied der Gerichtshof, dass das Gemein­schaftsrecht einer Rechts­vor­schrift eines Mitgliedstaats entgegensteht, die die Gewährung einer Befreiung von der Einkommensteuer auf Dividenden, die an natürliche Personen, die Anteilseigner sind, gezahlt werden, von der Voraussetzung abhängig macht, dass die Dividenden zahlende Gesellschaft ihren Sitz in diesem Mitgliedstaat hat.

In seinem Urteil vom 7. September 2004, Manninen (C-319/02, Slg. 2004, I-7477), kam der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass bei der Berechnung einer Steuer­gut­schrift die Steuer berücksichtigt werden muss, die die Gesellschaft in ihrem Sitzmit­gliedstaat tatsächlich entrichtet hat.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung des Europäischen Gerichtshofs vom 06.03.2007

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