15.11.2024
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil21.02.2013

Spanische Regelung zur Berechnung von Altersrente nicht mit Unionsrecht vereinbarWande­r­er­wer­b­s­tätigen dürfen durch Ausübung des Rechts auf Freizügigkeit nicht Verminderung der Sozia­l­ver­si­che­rungs­leis­tungen erleiden

Das Unionsrecht steht der spanischen Regelung über die Berech­nungs­mo­da­litäten für die Altersrente entgegen, da diese Modalitäten dem Umstand, dass der Betroffene auch in einem anderen Mitgliedstaat als Spanien gearbeitet hat, nicht hinreichend Rechnung tragen. Dies geht aus einer Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union hervor.

Die spanischen Rechts­vor­schriften gewähren Anspruch auf eine beitrags­ab­hängige Altersrente, sofern u. a. mindestens Beitragszeiten von insgesamt 15 Jahren zurückgelegt wurden. Die "Berech­nungs­grundlage" dieser Leistung wird durch Addition der Beitrags­be­mes­sungs­grundlagen des Erwerbstätigen während der 15 Jahre unmittelbar vor der Entrichtung des letzten in Spanien geleisteten Beitrags und Teilung dieses Ergebnisses durch 210 ermittelt*. Dieser Teiler 210 soll der Gesamtzahl der während eines Zeitraums von 15 Jahren jährlich geleisteten zwölf ordentlichen und zwei außer­or­dent­lichen Beitrags­zah­lungen entsprechen.

Sachverhalt

Frau Salgado González entrichtete in Spanien vom 1. Februar 1989 bis zum 31. März 1999 Beiträge zum Sondersystem für Selbständige und vom 1. März 2000 bis zum 31. Dezember 2005 Beiträge in Portugal. Sie beantragte eine Altersrente in Spanien, die ihr vom Nationalen Sozia­l­ver­si­che­rungs­träger (Instituto Nacional de la Seguridad Social, INSS) mit Wirkung ab 1. Januar 2006 unter Zugrundelegung einer Berech­nungs­grundlage von 336,86 Euro monatlich gewährt wurde.

Klägerin verlangt von ihr in Portugal gezahlten Beiträge bei Berechnung der Alters­leis­tungen mit einzubeziehen

Bei der Prüfung, ob sie während des Mindest­zeitraums von 15 Jahren Beiträge gezahlt hatte, berücksichtigte das INSS im Einklang mit dem Unionsrecht sowohl die in Spanien als auch die in Portugal zurückgelegten Zeiten. Für die Ermittlung der Berech­nungs­grundlage addierte das INSS jedoch die spanischen Beitrags­be­mes­sungs­grundlagen vom 1. April 1984 bis zum 31. März 1999 – d. h. in den 15 Jahren vor Entrichtung des letzten von Frau Salgado González in Spanien geleisteten Beitrags – und dividierte sie durch 210. Da Frau Salgado González erst am 1. Februar 1989 begonnen hatte, Beiträge an die spanische Sozia­l­ver­si­cherung zu entrichten, wurden die Beiträge zwischen dem 1. April 1984 und dem 31. Januar 1989 mit angesetzt. Frau Salgado González vertrat die Auffassung, dass in die Berechnung der Alters­leis­tungen auch die von ihr in Portugal gezahlten Beiträge einzubeziehen seien, und beantragte, diese Berech­nungs­grundlage zu überprüfen und auf 864,14 Euro monatlich festzusetzen. Da das INSS ihren Antrag ablehnte, wandte sich Frau Salgado González an die spanische Justiz.

Nationales Gericht erbittet Entscheidung des EuGH zur Vereinbarkeit der spanischen Regelung mit Unionsrecht

Das mit dem Rechtsstreit befasste Tribunal Superior de Justicia de Galicia (Berufungs­gericht Galizien, Spanien) weist darauf hin, dass es keine Zweifel habe, dass die in Portugal entrichteten Beiträge nicht in die Berechnung der von Spanien auszuzahlenden Altersrente einbezogen werden können. Es möchte jedoch vom Gerichtshof wissen, ob die spanische Regelung, die weder eine Anpassung der zugrunde gelegten Dauer des Beitrags­zeitraums noch des verwendeten Teilers ermöglicht, um dem Umstand Rechnung zu tragen, dass der Erwerbstätige sein Recht auf Freizügigkeit ausgeübt hat, mit dem Unionsrecht in Einklang steht**.

Nationales Gericht verweist auf Ungleich­be­handlung zwischen Nicht­wan­de­r­er­wer­b­s­tätigen und Wande­r­er­wer­b­s­tätigen

Die spanische Regelung schaffe nämlich, so dieses Gericht, eine Ungleichbehandlung zwischen Nicht­wan­de­r­er­wer­b­s­tätigen und Wande­r­er­wer­b­s­tätigen. Zum einen falle bei gleichen Beitrags­zah­lungen die Berech­nungs­grundlage eines Wande­r­er­wer­b­s­tätigen aus der Union geringer aus als die eines Nicht­wan­de­r­er­wer­b­s­tätigen, der nur in Spanien Beiträge entrichtet habe. Zum anderen bleibe einem Erwerbstätigen, je mehr er in einem anderen Mitgliedstaat als Spanien Beiträge zahle, umso weniger Zeit während seiner beruflichen Laufbahn, um seine Beiträge in Spanien – die als einzige für die Berechnung der Rente berücksichtigt werden könnten – zu entrichten.

Mitgliedstaaten sind für Ausgestaltung ihrer Systeme der sozialen Sicherheit zuständig

Der Gerichtshof der Europäischen Union weist einleitend darauf hin, dass das Unionsrecht kein gemeinsames System der sozialen Sicherheit geschaffen hat, sondern eigene nationale Systeme bestehen lässt und einzig und allein bezweckt, diese zu koordinieren. So sind die Mitgliedstaaten weiterhin für die Ausgestaltung ihrer Systeme der sozialen Sicherheit zuständig. Gleichwohl müssen die Mitgliedstaaten bei der Ausübung dieser Befugnis das Unionsrecht und insbesondere die jedem Unionsbürger zuerkannte Freiheit beachten, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten. Daher dürfen die Wande­r­er­wer­b­s­tätigen nicht dadurch, dass sie ihr Recht auf Freizügigkeit ausgeübt haben, eine Verminderung des Betrags der Sozia­l­ver­si­che­rungs­leis­tungen erleiden.

Verminderung der durch­schnitt­lichen Bemes­sungs­grundlage aufgrund der Wande­r­er­wer­b­s­tä­tigkeit steht im Widerspruch zum Unionsrecht

Der Gerichtshof führt sodann aus, dass das Unionsrecht in Fällen, in denen nach den Rechts­vor­schriften eines Mitgliedstaats bei der Berechnung der Leistungen eine durch­schnittliche Beitrags­be­mes­sungs­grundlage heranzuziehen ist – wie etwa in Spanien –, vorsieht, dass die durch­schnittliche Beitrags­be­mes­sungs­grundlage ausschließlich nach Maßgabe der Höhe der tatsächlich entrichteten Beiträge zu berechnen ist. Dagegen hat das INSS für die Ermittlung der Berech­nungs­grundlage für die Leistung für Frau Salgado González offensichtlich nicht nur die tatsächlich in Spanien entrichteten Beiträge berücksichtigt, sondern auch fiktive Beitrags­zeiträume vom 1. April 1984 bis zum 30. Januar 1989, um die 15 Jahre vor der Entrichtung des letzten Beitrags der Betroffenen in Spanien zu vervoll­ständigen. Da diese Zeiträume zwangsläufig mit angesetzt wurden, hatte ihre Einbeziehung eine Verminderung der durch­schnitt­lichen Beitrags­be­mes­sungs­grundlage zur Folge. Fest steht, dass eine solche Verminderung nicht erfolgt wäre, wenn Frau Salgado González nur in Spanien Beiträge entrichtet hätte, ohne ihr Recht auf Freizügigkeit auszuüben. Dieses Ergebnis steht im Widerspruch zum Unionsrecht.

Teiler für Ermittlung der Berech­nungs­grundlage für Altersrente müsste angepasst werden

Der Gerichtshof fügt hinzu, dass es sich anders verhalten würde, wenn die spanischen Rechts­vor­schriften Mechanismen vorsähen, mit denen die Ermittlung der Berech­nungs­grundlage für die Altersrente angepasst werden könnte, indem berücksichtigt würde, dass der Erwerbstätige sein Recht auf Freizügigkeit ausgeübt hat. Im vorliegenden Fall könnte der Teiler angepasst werden, um der Zahl der Beitrags­zah­lungen für ordentliche und außer­or­dentliche Entgelte, die der Versicherte tatsächlich geleistet hat, Rechnung zu tragen.

EuGH bejaht Widerspruch zwischen Nationaler Regelung und Unionsrecht

Daher antwortet der Gerichtshof, dass das Unionsrecht einer nationalen Regelung entgegensteht, wonach die Berech­nungs­grundlage für die Altersrente des Selbständigen unabhängig davon, ob er Wande­r­er­wer­b­s­tätiger ist oder nicht, unveränderlich auf Basis der durch einen festen Teiler dividierten Beitrags­be­mes­sungs­grundlagen dieses Erwerbstätigen während eines fixen Referenz­zeitraums vor der Entrichtung seines letzten Beitrags in diesem Mitgliedstaat berechnet wird, wobei weder die Dauer dieses Zeitraums noch dieser Teiler angepasst werden können, um den Umstand zu berücksichtigen, dass der betroffene Erwerbstätige sein Recht auf Freizügigkeit ausgeübt hat.

Erläuterungen
* Artt. 161 und 162 des Allgemeinen Sozia­l­ver­si­che­rungs­ge­setzes (Ley General de la Seguridad Social), geändert und genehmigt durch das königliche Dekret Nr. 1/1994 vom 20. Juni 1994, in seiner auf das Ausgangs­ver­fahren anwendbaren Fassung.

** Insbesondere, ob sie der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familien­an­ge­hörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in ihrer durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 (ABl. 1997, L 28, S. 1) geänderten und aktualisierten Fassung, geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 629/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2006 (ABl. L 114, S. 1) sowie der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl. L 166, S. 1), geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 988/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 (ABl. L 284, S. 43) entspricht.

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online

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