Dokument-Nr. 1388
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil01.12.2005
EuGH: Bereitschaftsdienste sind in vollem Umfang als Arbeitszeit anzurechnen
Die Nachtwache, die ein Erzieher in einer Einrichtung für Behinderte versieht, ist bei der Prüfung, ob die Schutzbestimmungen des Gemeinschaftsrechts fur Arbeitnehmer - insbesondere, was die zulässige wöchentliche Höchstarbeitszeit angeht - eingehalten werden, in vollem Umfang zu berücksichtigen.
Die Richtlinie über die Arbeitszeitgestaltung enthält Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz in diesem Bereich. Sie gibt den Arbeitnehmern Anspruch auf tägliche und wöchentliche Mindestruhezeiten und angemessene Ruhepausen. Ferner setzt sie die wöchentliche Höchstarbeitszeit auf 48 Stunden einschließlich der Überstunden fest. In diesem Zusammenhang unterscheidet die Richtlinie zwischen "Arbeitszeit" und "Ruhezeit". Sie sieht keine Zwischenkategorie vor, und die Einstufung als "Arbeitszeit" hängt nicht von der Intensität der geleisteten Arbeit ab. Demgemäß hat der Gerichtshof der Europaischen Gemeinschaften bereits entschieden, dass im Sinne der Richtlinie die Bereitschaftsdienste der Ärzte, des Pflegepersonals in Einrichtungen der notärztlichen Versorgung, der Rettungsassistenten und der Feuerwehrleute, die am Arbeitsort geleistet werden, unabhängig davon in vollem Umfang als Arbeitszeit anzusehen sind, welche Arbeitsleistungen tatsächlich erbracht werden.
In Frankreich sieht ein Dekret fur Nachtdienste von Arbeitnehmern bestimmter sozialer und medizinisch-sozialer Einrichtungen ein Gewichtungssystem für die Berechnung der Vergütung und der Überstunden vor, das dem Umstand Rechnung tragen soll, dass diese Bereitschaftsdienste Zeiten der Inaktivitat der Betroffenen umfassen. Zu diesem Zweck legt das Dekret zwischen den Anwesenheitszeiten und den tatsächlich angerechneten Arbeitszeiten ein Verhältnis von 3 zu 1 für die ersten neun Stunden und von 2 zu 1 für die folgenden Stunden fest.
Herr Dellas, ein spezialisierter Erzieher in Internaten für behinderte Jugendliche, wurde von seinem Arbeitgeber wegen Meinungsverschiedenheiten entlassen, bei denen es insbesondere um den Begriff der tatsächlichen Arbeit und um die Vergütung fur Nachtarbeitstunden ging, die im Bereitschaftsraum geleistet wurden. Herr Dellas und mehrere Gewerkschaften erhoben beim französischen Conseil d'Ètat Klagen auf Nichtigerklärung des betreffenden Dekrets.
Der Conseil d'Ètat wollte vom Gerichtshof wissen, ob eine derartige Regelung mit der Richtlinie vereinbar ist. Der Gerichtshof stellte zunächst fest, dass die Richtlinie keine Anwendung auf die Vergütung der Arbeitnehmer findet. Dagegen sind die fraglichen Anwesenheitsstunden bei der Prüfung, ob alle Mindestvorschriften, die die Richtlinie 93/104 fur einen wirksamen Schutz der Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer aufstellt, eingehalten wurden, in vollem Umfang als Arbeitsstunden anzurechnen. Das in Rede stehende pauschale Gewichtungssystem berücksichtigt jedoch die Stunden der Anwesenheit der betreffenden Arbeitnehmer nur teilweise. So kann die Gesamtarbeitszeit eines Arbeitnehmers 60 Stunden pro Woche erreichen oder sogar übersteigen. Daher überschreitet eine solche nationale Regelung der Anrechnung der Bereitschaftsdienste die wöchentliche Höchstarbeitszeit, die von der Richtlinie auf 48 Stunden festgesetzt ist.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 02.12.2005
Quelle: Pressemitteilung Nr. 104/05 des EuGH vom 01.12.2005
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