15.11.2024
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Dokument-Nr. 6655

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Urteil09.09.2008Gerichtshof der Europäischen UnionC-120/06 P, C-121/06 P
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil09.09.2008

EU muss keinen Schadenersatz wegen Verstoß gegen WTO-Übereinkünfte durch deren Organe leisten

Die Europäische Gemeinschaft ist nicht zum Ersatz der Schäden verpflichtet, die auf den Verstoß gegen die WTO-Übereinkünfte durch ihre Organe zurückzuführen sind. Das Gericht hat einen Rechtsfehler begangen, indem es das Bestehen einer Regelung der außer­ver­trag­lichen Haftung der Gemeinschaft für die rechtmäßige Ausübung ihrer Recht­set­zung­s­tä­tig­keiten anerkannt hat. Dies hat der Europäische Gerichtshof entschieden.

Das Übereinkommen zur Errichtung der Welthan­dels­or­ga­ni­sation (WTO) dient dem Abbau der Zölle und anderer Handels­schranken zwischen den Vertrags­parteien. Im Jahr 1993 erließ der Rat eine Verordnung, mit der für die Mitgliedstaaten gemeinsame Regeln für die Einfuhr von Bananen eingeführt wurden. Mit dieser Verordnung wurden Präfe­renz­re­ge­lungen für Bananen mit Ursprung in bestimmten Staaten Afrikas, der Karibik und des Pazifischen Raums eingeführt. Das Streit­bei­le­gungs­gremium der WTO (DSB), bei dem mehrere Mitglieder der WTO, darunter die Vereinigten Staaten von Amerika, Beschwerde eingelegt hatten, entschied, dass die Einfuhrregelung der Gemeinschaft für Bananen mit den WTO-Übereinkünften unvereinbar sei.

1998 erließ der Rat eine neue Verordnung, mit der diese Regelung geändert wurde.

Da das DSB der Ansicht war, dass auch diese Neuregelung nicht mit den WTO-Übereinkünften in Einklang stehe, gestattete es den Vereinigten Staaten von Amerika auf deren Antrag, auf Einfuhren bestimmter Waren der Gemeinschaft Strafzölle in Höhe eines jährlichen Handelsvolumens von 191,4 Millionen USD zu erheben.

Sechs in der Europäischen Union ansässige Gesellschaften beantragten beim Gericht erster Instanz, die Kommission und den Rat zum Ersatz des ihnen infolge der Anwendung der amerikanischen Vergel­tungs­maß­nahmen auf ihre Exporte in die Vereinigten Staaten entstandenen Schadens zu verurteilen.

Das Gericht wies diese Klagen als unbegründet ab (vgl. EU haftet für ihre Organe). Da die WTO-Übereinkünfte nicht zu den Vorschriften gehörten, an denen der Gemein­schafts­richter die Rechtmäßigkeit von Handlungen der Gemein­schafts­organe messe, könne die Rechts­wid­rigkeit des dem Rat und der Kommission vorgeworfenen Verhaltens im vorliegenden Fall nicht dargetan werden. In Bezug auf die Regelung, wonach die Haftung der Gemeinschaft auch ohne rechtswidriges Verhalten ihrer Organe eintreten kann, führte das Gericht aus, wenn die Rechts­wid­rigkeit des Verhaltens der beklagten Organe nicht dargetan werden könne, könnten die Unternehmen, die einen unver­hält­nis­mäßigen Teil der aus dem Verhalten der Gemein­schafts­organe resultierenden Lasten trügen, unter bestimmten Voraussetzungen eine Entschädigung erhalten. Da es jedoch die Voraussetzung der Außer­ge­wöhn­lichkeit und Besonderheit des Schadens als nicht erfüllt ansah, wies das Gericht die Schaden­s­er­satz­klagen ab.

Zwei italienische Gesellschaften und ihre amerikanischen Tochter­ge­sell­schaften, FIAMM und FIAMM Technologies, die stationäre Akkumulatoren herstellen, sowie G. Fedon & Figli SpA und Fedon America, Inc., die im Bereich Brillenetuis und Accessoires tätig sind, haben beim Gerichtshof die Aufhebung der sie betreffenden Urteile beantragt.

Der Gerichtshof bestätigt zunächst, dass das Gericht zu Recht entschieden hat, dass der Gemein­schafts­richter im vorliegenden Fall die Rechtmäßigkeit der Handlungen der Gemein­schafts­organe, auch zum Zweck des Schaden­s­er­satzes, nicht anhand der WTO-Regeln und der Entscheidung des DSB prüfen kann.

Der Gerichtshof erinnert sodann an seine Rechtsprechung, wonach die Haftung der Gemeinschaft für einen Recht­set­zungsakt, der wirtschafts­po­li­tische Entscheidungen impliziert, nur durch eine hinreichend qualifizierte Verletzung einer höherrangigen, die Einzelnen schützenden und ihnen Rechte verleihenden Rechtsnorm ausgelöst werden kann.

Der Grundsatz der Haftung der Gemeinschaft für ein rechtswidriges Handeln der Organe ist zwar eine Ausprägung des in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten geltenden allgemeinen Grundsatzes, dass eine rechtswidrige Handlung die Verpflichtung zum Ersatz des verursachten Schadens nach sich zieht, doch besteht eine solche Übereinstimmung der Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten in Bezug auf das Bestehen eines Grundsatzes der Haftung für rechtmäßiges Handeln der öffentlichen Gewalt, insbesondere wenn es normativer Art ist, nicht. Das Gemein­schaftsrecht sieht folglich bei seinem derzeitigen Stand keine Regelung vor, die eine Haftung der Gemeinschaft wegen ihrer Recht­set­zung­s­tä­tigkeit ermöglicht, wenn die eventuelle Nicht­über­ein­stimmung dieses Verhaltens mit den WTO-Übereinkünften vor einem Gemein­schafts­gericht nicht geltend gemacht werden kann.

Ein Recht­set­zungsakt der Gemeinschaft, dessen Anwendung zu Beschränkungen des Rechts auf Eigentum und der freien Berufsausübung führt, könnte die außer­ver­tragliche Haftung der Gemeinschaft auslösen, wenn er den Wesensgehalt dieser Rechte in unver­hält­nis­mäßiger und nicht tragbarer Weise berührt, gegebenenfalls deshalb, weil keine zur Vermeidung oder zum Ausgleich dieser Beein­träch­tigung geeignete Entschädigung vorgesehen wurde.

Jedoch kann kein Wirtschafts­teil­nehmer ein Eigentumsrecht an einem Marktanteil geltend machen, den er zu einem bestimmten Zeitpunkt besessen hat, da ein solcher Marktanteil nur eine augenblickliche wirtschaftliche Position darstellt, die den mit einer Änderung der Umstände verbundenen Risiken ausgesetzt ist. Somit kann der durch das Eigentumsrecht oder den allgemeinen Grundsatz der freien Berufsausübung gewährleistete Schutz keinesfalls auf bloße kaufmännische Interessen oder Aussichten ausgedehnt werden, deren Ungewissheit zum Wesen wirtschaft­licher Tätigkeit gehört. Ein Wirtschafts­teil­nehmer, dessen Tätigkeit in Ausfuhren in einen Drittstaat besteht, muss sich somit insbesondere dessen bewusst sein, dass diese Tätigkeit durch verschiedene Umstände berührt werden kann, zu denen auch die Möglichkeit gehört, dass dieser Drittstaat unter den in den WTO-Übereinkünften vorgesehenen Voraussetzungen Zollzu­ge­ständnisse aussetzt.

Der Gerichtshof weist die Rechtsmittel zurück, weil die Gründe der angefochtenen Urteile des Gerichts eine Verletzung des Gemein­schafts­rechts erkennen lassen, die Urteilsformeln sich aber aus anderen Rechtsgründen als richtig erweisen.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 62/08 des EuGH vom 09.09.2008

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