18.10.2024
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Dokument-Nr. 242

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Bundesverwaltungsgericht Entscheidung23.02.2005

Einführung von islamischem Religi­o­ns­un­terricht an öffentlichen Schulen

Das Bundes­ver­wal­tungs­gericht hat über die Einführung von islamischem Religi­o­ns­un­terricht an öffentlichen Schulen im Land Nordrhein-Westfalen entschieden.

Die beiden Kläger sind Dachverbände in Form eingetragener Vereine, in welchen jeweils zahlreiche islamische Vereine mit bundesweitem oder regionalem Tätig­keits­bereich zusam­men­ge­schlossen sind. Sie verlangen vom beklagten Land die Einführung islamischen Religi­o­ns­un­ter­richts in den öffentlichen Schulen. Das Verwal­tungs­gericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberver­wal­tungs­gericht hat die Berufung im Wesentlichen mit der Begründung zurückgewiesen, bei den Klägern handele es sich nicht um Religi­o­ns­ge­mein­schaften im Sinne von Art. 7 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG), weil sie keine Vereinigungen von natürlichen Personen seien und bei ihnen eine umfassende Pflege religiöser Angelegenheiten nicht stattfinde.

Dem ist der 6. Senat des Bundes­ver­wal­tungs­ge­richts in seinem heutigen Urteil nicht gefolgt. Nach Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG ist der Religi­o­ns­un­terricht in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekennt­nis­freien Schulen ordentliches Lehrfach. Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG bestimmt weiter, dass unbeschadet des staatlichen Aufsichts­rechtes der Religi­o­ns­un­terricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religi­o­ns­ge­mein­schaften erteilt wird. Durch diese Regelung wird den Religi­o­ns­ge­mein­schaften ein Rechtsanspruch gegen den Staat auf Einführung von Religi­o­ns­un­terricht an seinen Schulen eingeräumt. Unter Religi­o­ns­ge­mein­schaft ist dabei ein Verband zu verstehen, der die Angehörigen eines Glaubens­be­kennt­nisses oder mehrerer verwandter Glaubens­be­kenntnisse zur allseitigen Erfüllung der durch das gemeinsame Bekenntnis gestellten Aufgaben zusammenfasst. Weil das Glaubens­be­kenntnis eine höchst­per­sönliche Angelegenheit ist, muss eine Gemeinschaft auf natürliche Personen zurückzuführen sein, um als Religi­o­ns­ge­mein­schaft angesehen werden zu können. Die Voraussetzungen einer Religi­o­ns­ge­mein­schaft können auch bei einem mehrstufigen Verband (Dachver­bands­or­ga­ni­sation) erfüllt sein, in welchem die Gläubigen auf der örtlichen Ebene Vereine gebildet haben, die sich zu regionalen Verbänden zusam­men­ge­schlossen haben, welche wiederum einen landes- oder bundesweiten Verband gegründet haben. In einem solchen Fall bilden die Konfes­si­ons­an­ge­hörigen, die sich zum Zwecke gemeinsamer Religi­o­ns­ausübung in lokalen Vereinen zusam­men­ge­schlossen haben, die für das Bestehen einer Religi­o­ns­ge­mein­schaft unentbehrliche personale Grundlage. Die allseitige Erfüllung der durch das gemeinsame Bekenntnis gestellten Aufgaben erfolgt arbeitsteilig auf den verschiedenen Ebenen des Verbandes. Ein Dachverband ist freilich nicht bereits dann Teil einer Religi­o­ns­ge­mein­schaft, wenn sich die Aufga­ben­wahr­nehmung auf seiner Ebene auf die Vertretung gemeinsamer Interessen nach außen oder auf die Koordinierung von Tätigkeiten der Mitglieds­vereine beschränkt. Vielmehr ist darüber hinaus erforderlich, dass für die Identität einer Religi­o­ns­ge­mein­schaft wesentliche Aufgaben auch auf der Dachver­band­sebene wahrgenommen werden. Ferner muss die Tätigkeit des Dachverbands in der Weise auf die Gläubigen in den örtlichen Vereinen bezogen sein, dass sie sich als Teil eines gemeinsamen, alle diese Gläubige umfassenden Glaubens­vollzugs darstellt. Hieran kann es fehlen, wenn dem Verband im erheblichen Umfang Mitglieds­vereine angehören, die religiöse Aufgaben nicht oder nur partiell erfüllen.

Ob die Kläger nach diesem Maßstab als Religi­o­ns­ge­mein­schaften anzusehen sind, konnte der Senat anhand der vom Oberver­wal­tungs­gericht getroffenen Feststellungen nicht abschließend beurteilen. Zwar kommen die Mitglieder der auf der örtlichen Ebene bestehenden Moscheevereine als personale Zentren einer Religi­o­ns­ge­mein­schaft in Betracht. Es ist jedoch bislang nicht hinreichend geklärt, ob die beiden Gesamtverbände nicht durch andere, auf berufsmäßiger oder sozialer Grundlage bestehende Mitglieds­verbände der Kläger geprägt werden. Gleiches gilt für die Frage, ob die klagenden Dachverbände über die bloße Inter­es­sen­ver­tretung oder Aufga­ben­ko­or­di­nierung hinaus wesentliche durch die gemeinsamen religiösen Überzeugungen gestellte Aufgaben selbständig gestalten. Schon aus diesem Grunde musste das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache an das Oberver­wal­tungs­gericht zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen werden. Sollte dieses nach entsprechender Sachaufklärung den Klägern den Charakter von Religi­o­ns­ge­mein­schaften zuerkennen, so wird es weiter zu prüfen haben, ob die Kläger als Partner eines vom Staat veranstalteten Religi­o­ns­un­ter­richts deswegen ausscheiden, weil gegen ihre Eignung wie vom beklagten Land geltend gemacht unter dem Gesichtspunkt der Verfas­sungstreue Bedenken bestehen. Maßstab sind dabei insbesondere die in Art. 79 Abs. 3 GG in Bezug genommenen Grundsätze der Menschenwürde und des demokratischen Rechtsstaats. Die Einhaltung dieser Grundsätze kann der Staat von Religi­o­ns­ge­mein­schaften erwarten, die mit ihm bei der religiösen Unterweisung von Schulkindern zusam­me­n­a­r­beiten wollen.

Quelle: Pressemitteilung Nr. 9/2005 des BVerwG vom 23.02.2005

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