18.10.2024
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Dokument-Nr. 9706

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Bundesverwaltungsgericht Urteil27.05.2010

Angesparte Grundrente nach dem Opferent­schä­di­gungs­gesetz ist grundsätzlich kein verwertbares VermögenBeschä­dig­ten­grundrente darf nicht zur Deckung sozia­l­hil­fe­recht­lichen Bedarfs verlangt werden

Eine als Vermögen angesparte monatliche Beschä­dig­ten­grundrente kann nicht zur Deckung eines sozia­l­hil­fe­recht­lichen Bedarfs (hier: Einglie­de­rungshilfe für die Heimerziehung) verlangt werden, da dies grundsätzlich eine Härte beudeuten würde. Dies entschied das Bundes­ver­wal­tungs­gericht.

Im zugrunde liegenden Fall streiten die beteiligten Körperschaften über die Erstattung von Kosten für die Unterbringung der 1983 geborenen Hilfe­emp­fängerin in einer Jugend­hil­fe­ein­richtung in der Zeit vom 1. August 1997 bis 31. März 2001. Die klagende Stadt Bielefeld hat als Trägerin der Jugendhilfe die Kosten von über 85.000,- € vorläufig übernommen. Sie begehrt von dem beklagten Landschafts­verband Westfalen-Lippe als Träger der Leistungen nach dem Opferent­schä­di­gungs­gesetz (OEG) die Begleichung des noch offenen Restbetrages in Höhe von rund 20.000,- €. Der Beklagte verweigert die Zahlung. Er beruft sich darauf, dass die Leistungen nicht in voller Höhe erforderlich gewesen seien. Die Hilfe­emp­fängerin hätte eigenes Vermögen aus einer angesparten Beschä­dig­ten­grundrente einsetzen müssen. Diese Grundrente war der Hilfe­emp­fängerin (nach § 1 OEG in Verbindung mit dem Bundes­ver­sor­gungs­gesetz - BVG) zuerkannt worden, weil sie als Kind Opfer von Sexual­straftaten geworden war und sie hierdurch eine zur Minderung ihrer Erwer­bs­fä­higkeit führende Gesund­heits­s­törung erlitten hatte.

Verwal­tungs­gericht: Grundrente ist nicht als Vermögen anzurechnen

Das Verwal­tungs­gericht hat der Klage stattgegeben. Die Grundrente sei nicht als Vermögen anzurechnen, da dies für die Hilfe­emp­fängerin eine Härte bedeute. Dem ist das Oberver­wal­tungs­gericht Münster gefolgt.

Grundrente soll als Entschädigung für Beein­träch­tigung der körperlichen Integrität und immaterielle (ideelle) Zwecke dienen

Das Bundes­ver­wal­tungs­gericht hat die Entscheidungen der Vorinstanzen im Ergebnis bestätigt und die Revision des Beklagten zurückgewiesen. Im Erstat­tungs­streit kann sich der Beklagte nicht auf die Verwertbarkeit der angesparten Beschä­dig­ten­grundrente berufen. Die Verwertung bedeutet nämlich im Allgemeinen für die Hilfeempfänger eine Härte (im Sinne des entsprechend anzuwendenden § 88 Abs. 3 Satz 1 Bundes­so­zi­a­l­hil­fe­gesetz - BSHG*). Die Grundrente ist eine Entschädigung für die Beein­träch­tigung der körperlichen Integrität, die immateriellen (ideellen) Zwecken wie der Genugtuung für erlittenes Unrecht dient. Zwar soll sie zu einem geringeren Teil auch (materielle) Mehrauf­wen­dungen ausgleichen, die das Opfer infolge der Schädigung im Vergleich zu einem gesunden Menschen hat. Dennoch ist die Beschä­dig­ten­grundrente insgesamt nicht als Vermögen anzurechnen. Sie wird nämlich unabhängig von den Einkommens- und Vermö­gens­ver­hält­nissen pauschal und ohne Rücksicht auf einen im einzelnen Fall konkret nachzuweisenden Mehrbedarf gezahlt. Nach dieser Ausgestaltung hat der Gesetzgeber dem Anspruchs­be­rech­tigten die Entschei­dungs­freiheit darüber überlassen, wann und wofür er die Mittel ausgibt. Art und Umfang dessen, was zum Ausgleich der Gesund­heits­schä­digung tatsächlich erforderlich ist, hängen insbesondere von den persönlichen Wünschen und Bedürfnissen des Geschädigten ab. Eine zweck­ent­spre­chende Verwendung der Grundrente ist danach auch dann gegeben, wenn der Geschädigte das Geld nicht monatlich verbraucht, sondern es anspart und selbst bestimmt, wann und für welchen schädi­gungs­be­dingten Mehrbedarf er es einsetzt.

*1 § 88 Abs. 3 Satz 1 BSHG = § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB XII lautet:

Erläuterungen
(3) Die Sozialhilfe darf ferner nicht vom Einsatz oder von der Verwertung eines Vermögens abhängig gemacht werden, soweit dies für den, der das Vermögen einzusetzen hat, und für seine unter­halts­be­rech­tigten Angehörigen eine Härte bedeuten würde. …

Quelle: ra-online, Bundesverwaltungsgericht

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