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Bundesverwaltungsgericht Urteil02.12.2009
BVerwG: Einbürgerung eines früheren «Milli Görüs»-Funktionärs ohne Abwendung von verfassungsfeindlichen Zielen nicht möglichGlaubhaftmachen einer Hinwendung zu neueren, reformorientierten Kreisen innerhalb der IGMG für Einbürgerung zwingend erforderlich
Ein türkischer Staatsangehöriger, der früher Funktionär der „Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs" (IGMG) gewesen und bis heute deren aktives Mitglied ist, hat ohne glaubhafte Abwendung von verfassungsfeindlichen Bestrebungen keinen Anspruch auf Einbürgerung als Deutscher. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden.
Das Bundesverwaltungsgericht hatte in dem Fall vor allem zu klären, unter welchen Voraussetzungen die Tätigkeit für eine früher verfassungsfeindliche Organisation der Einbürgerung entgegensteht, wenn ein Teil der Mitglieder und Funktionäre seit einiger Zeit - wie bei der IGMG nach den Verfassungsschutzberichten der Länder - einen freiheitlich-demokratischen Reformkurs eingeschlagen hat. Nach dem Staatsangehörigkeitsgesetz (§ 11 Satz 1 Nr. 1 StAG*) ist ein Anspruch auf Einbürgerung ausgeschlossen, wenn Anhaltspunkte bestehen, dass der Ausländer Bestrebungen unterstützt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, und er sich nicht glaubhaft davon abwendet.
Sachverhalt
Der Kläger, ein 46jähriger türkischer Staatsangehöriger, lebt seit 1979 in Deutschland. Er ist mit einer türkischen Staatsangehörigen verheiratet und hat fünf Kinder. Seit 1989 ist er im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung. Er ist seit 1992 Mitglied der IGMG und war in den Jahren 1995/96 sowie von 2000 bis 2004 Vorsitzender dieser Vereinigung an seinem Wohnort. Den im März 2000 gestellten Antrag auf Einbürgerung lehnte das beklagte Land Baden-Württemberg wegen seiner Funktionärstätigkeit in der IGMG ab. Das Verwaltungsgericht Karlsruhe hat den Beklagten zur Erteilung einer Einbürgerungszusicherung verpflichtet. Der Verwaltungsgerichtshof Mannheim hat die Klage hingegen abgewiesen.
Einbürgerung aufgrund verfassungsfeindlicher Bestrebungen nicht möglich
Die hiergegen gerichtete Revision des Klägers hatte vor dem Bundesverwaltungsgericht keinen Erfolg. Es hat ausgeführt, der Ausschlussgrund der Unterstützung verfassungsfeindlicher Bestrebungen (nach § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG) führt zu einer Vorverlagerung des Schutzes der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Hiernach steht einer Einbürgerung bereits die personenbezogene Annahme entgegen, dass der Ausländer verfassungsfeindliche Bestrebungen unterstützt oder unterstützt hat. Die erforderlichen tatsächlichen Anhaltspunkte hierfür können sich nicht nur aus entsprechenden Handlungen ergeben, sondern auch aus der aktiven Betätigung für eine Organisation wie die IGMG, die sich als islamische religiöse Gemeinschaft versteht. Voraussetzung ist, dass sich diese Gemeinschaft nicht auf religiöse und soziale Ziele und Aktivitäten beschränkt, sondern - und sei es als Teil ihres religiösen Selbstverständnisses - auch weitergehende politische, verfassungsfeindliche Ziele verfolgt. Das Grundrecht der Religionsfreiheit (Art. 4 GG) bezieht sich auf die Glaubensbetätigung, die der Einbürgerung nicht entgegensteht und dem Kläger auch nicht entgegengehalten worden ist. Sie vermittelt aber keinen Anspruch auf Einbürgerung und hindert den Gesetzgeber nicht, einen Ausschlusstatbestand zum Schutz der Verfassungsordnung vorzusehen.
Unterstützung der IGMG seit der Gründung muss sich der Kläger zurechnen lassen
Der Verdacht der Unterstützung verfassungsfeindlicher Bestrebungen kann im Einzelfall auch davon abhängen, ob die Organisation bei einer Gesamtbetrachtung ihres Wirkens als homogen einzustufen ist oder - wie der Kläger für die IGMG in den letzten Jahren geltend macht - verschiedene Strömungen aufweist, die unter dem Aspekt der Verfassungsfeindlichkeit unterschiedlich zu bewerten sind. Diese Tatsachenfrage ist nicht vom Bundesverwaltungsgericht, sondern von den Verwaltungsgerichten und Oberverwaltungsgerichten/Verwaltungsgerichtshöfen als Tatsachengerichte zu beantworten. Der Verwaltungsgerichtshof Mannheim hat hierzu festgestellt: Der Kläger hat die IGMG seit ihrer Gründung 1992 unterstützt; damals gab es noch keine Reformbewegung. Vielmehr strebte die IGMG als Gesamtorganisation homogen die absolute Vorherrschaft eines islamischen Rechtsverständnisses und der Scharia an. Sie lehnte westliche Werte und Staatssysteme sowie individuelle Freiheitsrechte und das demokratische Prinzip der Volkssouveränität ab. Dies muss sich der Kläger zurechnen lassen.
Abwendung des Klägers von verfassungsfeindlichen Werten und Zielen der Milli-Görüs-Bewegung nicht erkennbar
Der Verwaltungsgerichtshof konnte sich auch nicht davon überzeugen, dass sich der Kläger seither von den alten, verfassungsfeindlichen Werten und Zielen der Milli-Görüs-Bewegung abgewandt hat. Er hat insbesondere nicht feststellen können, dass der Kläger zu neueren, reformorientierten und eine Integration in Deutschland und in die deutsche Verfassungsordnung anstrebenden Kreisen innerhalb der IGMG gehört.
Für Recht auf Einbürgerung muss Kläger Wandlung glaubhaft machen
Unter diesen Umständen war die Ablehnung der Einbürgerung nicht zu beanstanden. Erst wenn der Kläger eine solche Wandlung glaubhaft macht, hat er einen Anspruch auf Einbürgerung. Hierfür ist der Austritt aus der sich inzwischen im Umbruch befindlichen IGMG nicht erforderlich. Hinreichend wäre ein glaubhaftes Bekenntnis zu den neueren, einbürgerungsrechtlich unbedenklichen Zielen des Reformflügels.
Erläuterungen
* § 11 Satz 1 StAG lautet:
Die Einbürgerung ist ausgeschlossen, wenn
1. tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben oder die durch die Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, es sei denn, der Ausländer macht glaubhaft, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat, oder
2. ein Ausweisungsgrund nach § 54 Nr. 5 und 5a des Aufenthaltsgesetzes vorliegt.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 03.12.2009
Quelle: ra-online, BVerwG
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