14.11.2024
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Dokument-Nr. 8863

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Bundesverwaltungsgericht Urteil02.12.2009

BVerwG: Einbürgerung eines früheren «Milli Görüs»-Funktionärs ohne Abwendung von verfas­sungs­feind­lichen Zielen nicht möglichGlaubhaftmachen einer Hinwendung zu neueren, refor­m­o­ri­en­tierten Kreisen innerhalb der IGMG für Einbürgerung zwingend erforderlich

Ein türkischer Staats­an­ge­höriger, der früher Funktionär der „Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs" (IGMG) gewesen und bis heute deren aktives Mitglied ist, hat ohne glaubhafte Abwendung von verfas­sungs­feind­lichen Bestrebungen keinen Anspruch auf Einbürgerung als Deutscher. Dies hat das Bundes­ver­wal­tungs­gericht entschieden.

Das Bundes­ver­wal­tungs­gericht hatte in dem Fall vor allem zu klären, unter welchen Voraussetzungen die Tätigkeit für eine früher verfas­sungs­feindliche Organisation der Einbürgerung entgegensteht, wenn ein Teil der Mitglieder und Funktionäre seit einiger Zeit - wie bei der IGMG nach den Verfas­sungs­schutz­be­richten der Länder - einen freiheitlich-demokratischen Reformkurs eingeschlagen hat. Nach dem Staats­an­ge­hö­rig­keits­gesetz (§ 11 Satz 1 Nr. 1 StAG*) ist ein Anspruch auf Einbürgerung ausgeschlossen, wenn Anhaltspunkte bestehen, dass der Ausländer Bestrebungen unterstützt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, und er sich nicht glaubhaft davon abwendet.

Sachverhalt

Der Kläger, ein 46jähriger türkischer Staats­an­ge­höriger, lebt seit 1979 in Deutschland. Er ist mit einer türkischen Staats­an­ge­hörigen verheiratet und hat fünf Kinder. Seit 1989 ist er im Besitz einer Aufent­halts­be­rech­tigung. Er ist seit 1992 Mitglied der IGMG und war in den Jahren 1995/96 sowie von 2000 bis 2004 Vorsitzender dieser Vereinigung an seinem Wohnort. Den im März 2000 gestellten Antrag auf Einbürgerung lehnte das beklagte Land Baden-Württemberg wegen seiner Funkti­o­när­s­tä­tigkeit in der IGMG ab. Das Verwal­tungs­gericht Karlsruhe hat den Beklagten zur Erteilung einer Einbür­ge­rungs­zu­si­cherung verpflichtet. Der Verwal­tungs­ge­richtshof Mannheim hat die Klage hingegen abgewiesen.

Einbürgerung aufgrund verfas­sungs­feind­licher Bestrebungen nicht möglich

Die hiergegen gerichtete Revision des Klägers hatte vor dem Bundes­ver­wal­tungs­gericht keinen Erfolg. Es hat ausgeführt, der Ausschlussgrund der Unterstützung verfas­sungs­feind­licher Bestrebungen (nach § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG) führt zu einer Vorverlagerung des Schutzes der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Hiernach steht einer Einbürgerung bereits die perso­nen­be­zogene Annahme entgegen, dass der Ausländer verfas­sungs­feindliche Bestrebungen unterstützt oder unterstützt hat. Die erforderlichen tatsächlichen Anhaltspunkte hierfür können sich nicht nur aus entsprechenden Handlungen ergeben, sondern auch aus der aktiven Betätigung für eine Organisation wie die IGMG, die sich als islamische religiöse Gemeinschaft versteht. Voraussetzung ist, dass sich diese Gemeinschaft nicht auf religiöse und soziale Ziele und Aktivitäten beschränkt, sondern - und sei es als Teil ihres religiösen Selbst­ver­ständ­nisses - auch weitergehende politische, verfas­sungs­feindliche Ziele verfolgt. Das Grundrecht der Religi­o­ns­freiheit (Art. 4 GG) bezieht sich auf die Glaubens­be­tä­tigung, die der Einbürgerung nicht entgegensteht und dem Kläger auch nicht entge­gen­ge­halten worden ist. Sie vermittelt aber keinen Anspruch auf Einbürgerung und hindert den Gesetzgeber nicht, einen Ausschluss­tat­bestand zum Schutz der Verfas­sungs­ordnung vorzusehen.

Unterstützung der IGMG seit der Gründung muss sich der Kläger zurechnen lassen

Der Verdacht der Unterstützung verfas­sungs­feind­licher Bestrebungen kann im Einzelfall auch davon abhängen, ob die Organisation bei einer Gesamt­be­trachtung ihres Wirkens als homogen einzustufen ist oder - wie der Kläger für die IGMG in den letzten Jahren geltend macht - verschiedene Strömungen aufweist, die unter dem Aspekt der Verfas­sungs­feind­lichkeit unterschiedlich zu bewerten sind. Diese Tatsachenfrage ist nicht vom Bundes­ver­wal­tungs­gericht, sondern von den Verwal­tungs­ge­richten und Oberver­wal­tungs­ge­richten/Verwal­tungs­ge­richtshöfen als Tatsa­chen­ge­richte zu beantworten. Der Verwal­tungs­ge­richtshof Mannheim hat hierzu festgestellt: Der Kläger hat die IGMG seit ihrer Gründung 1992 unterstützt; damals gab es noch keine Reformbewegung. Vielmehr strebte die IGMG als Gesam­t­or­ga­ni­sation homogen die absolute Vorherrschaft eines islamischen Rechts­ver­ständ­nisses und der Scharia an. Sie lehnte westliche Werte und Staatssysteme sowie individuelle Freiheitsrechte und das demokratische Prinzip der Volks­sou­ve­ränität ab. Dies muss sich der Kläger zurechnen lassen.

Abwendung des Klägers von verfas­sungs­feind­lichen Werten und Zielen der Milli-Görüs-Bewegung nicht erkennbar

Der Verwal­tungs­ge­richtshof konnte sich auch nicht davon überzeugen, dass sich der Kläger seither von den alten, verfas­sungs­feind­lichen Werten und Zielen der Milli-Görüs-Bewegung abgewandt hat. Er hat insbesondere nicht feststellen können, dass der Kläger zu neueren, refor­m­o­ri­en­tierten und eine Integration in Deutschland und in die deutsche Verfas­sungs­ordnung anstrebenden Kreisen innerhalb der IGMG gehört.

Für Recht auf Einbürgerung muss Kläger Wandlung glaubhaft machen

Unter diesen Umständen war die Ablehnung der Einbürgerung nicht zu beanstanden. Erst wenn der Kläger eine solche Wandlung glaubhaft macht, hat er einen Anspruch auf Einbürgerung. Hierfür ist der Austritt aus der sich inzwischen im Umbruch befindlichen IGMG nicht erforderlich. Hinreichend wäre ein glaubhaftes Bekenntnis zu den neueren, einbür­ge­rungs­rechtlich unbedenklichen Zielen des Reformflügels.

Erläuterungen
* § 11 Satz 1 StAG lautet:

Die Einbürgerung ist ausgeschlossen, wenn

1. tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beein­träch­tigung der Amtsführung der Verfas­sungs­organe des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben oder die durch die Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbe­rei­tungs­hand­lungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, es sei denn, der Ausländer macht glaubhaft, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat, oder

2. ein Auswei­sungsgrund nach § 54 Nr. 5 und 5a des Aufent­halts­ge­setzes vorliegt.

Quelle: ra-online, BVerwG

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