18.10.2024
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Dokument-Nr. 10711

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Beschluss09.12.2010BundesverwaltungsgerichtBVerwG 10 C 19.09 und 10 C 21.09
Vorinstanzen zu BVerwG 10 C 19.09:
  • Sächsisches Oberverwaltungsgericht, Urteil13.11.2008, A 1 B 559/07
  • Verwaltungsgericht Dresden, Urteil13.07.2007, A 12 J 30537/04
Vorinstanzen zu BVerwG 10 C 21.09:
  • Sächsisches Oberverwaltungsgericht, Urteil13.11.2008, A 1 B 550/07
  • Verwaltungsgericht Leipzig, Urteil18.05.2007, A 1 K 30313/04
ergänzende Informationen

Bundesverwaltungsgericht Beschluss09.12.2010

Europäischer Gerichtshof soll Voraussetzungen für religiöse Verfolgung klärenBVerfG legt EuGH Frage vor, ab wann schwerwiegende Verletzung der Religi­o­ns­freiheit als grundlegendes Menschenrecht vorliegt

Das Bundes­ver­wal­tungs­gericht hat den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) in zwei Verfahren um Vorab­ent­schei­dungen hinsichtlich einer Flücht­lings­a­n­er­kennung wegen religiöser Verfolgung und der Auslegung der Richtlinie 2004/83/EG des Rates der Europäischen Union (Quali­fi­ka­ti­o­ns­richtlinie) gebeten.

Die Quali­fi­ka­ti­o­ns­richtlinie dient u.a. der Angleichung der rechtlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flücht­lings­ei­gen­schaft innerhalb der Europäischen Union. Der deutsche Gesetzgeber hat die Richtlinie im August 2007 umgesetzt.

Kläger wegen religiösen Betätigungen in Heimatland verfolgt

In den vorliegenden Fällen sind die Kläger der Ausgangs­ver­fahren zwei in den Jahren 2003 und 2004 nach Deutschland eingereiste pakistanische Staats­an­ge­hörige. Sie beantragten hier Asyl und beriefen sich darauf, wegen ihrer religiösen Betätigung als Angehörige der Ahmadiyya-Glaubens­ge­mein­schaft in Pakistan verfolgt zu werden. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lehnte die Anträge der Kläger ab. Das Sächsische Oberver­wal­tungs­gericht verpflichtete das Bundesamt, die Kläger als Flüchtlinge anzuerkennen.

Beschränkungen der Religi­o­ns­freiheit in Pakistan stellen schwerwiegende Verletzung der Religi­o­ns­freiheit dar

Nach den Feststellungen des Oberver­wal­tungs­ge­richts versteht sich die Ahmadiyya-Glaubens­ge­mein­schaft als innerislamische Erneu­e­rungs­be­wegung, zu der in Pakistan etwa ein bis zwei Millionen Gläubige (Ahmadis) zählen. Den Ahmadis ist es - so das Oberver­wal­tungs­gericht - untersagt, öffentliche Versammlungen abzuhalten, auf denen gebetet wird. Hingegen werde es ihnen nicht generell unmöglich gemacht, sich in ihren Gebetshäusern zu versammeln. Allerdings werde die gemeinsame Ausübung des Glaubens immer wieder dadurch behindert, dass Gebetshäuser aus willkürlichen Gründen geschlossen, ihre Errichtung verhindert oder sie von Extremisten überfallen würden. Aus Sicht des Oberver­wal­tungs­ge­richts stellen die Beschränkungen der Religionsfreiheit in Pakistan für einen dem Glauben eng und verpflichtend verbundenen Ahmadi, zu dessen Überzeugung es auch gehört, den Glauben in der Öffentlichkeit zu leben und in diese zu tragen, eine schwerwiegende Verletzung der Religi­o­ns­freiheit dar. Hiergegen richten sich die Revisionen des Bundesamts und des Bundes­be­auf­tragten für Asylan­ge­le­gen­heiten.

Führt Sanktionierung von Religi­o­ns­ausübung in der Öffentlichkeit zur Flücht­lings­a­n­er­kennung?

In beiden Revisi­ons­ver­fahren vor dem Bundes­ver­wal­tungs­gericht kommt es insbesondere darauf an, ob und unter welchen Voraussetzungen die Sanktionierung einer zukünftigen Ausübung der Religion in der Öffentlichkeit zur Flüchtlingsanerkennung führt. Da es sich hierbei um europa­rechtliche Zweifelsfragen handelt, hat der 10. Revisionssenat eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union beschlossen.

Erläuterungen
Vorlagefragen:

Es wird gemäß Art. 267 AEUV eine Vorab­ent­scheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu folgenden Fragen eingeholt:

1) Ist Art. 9 Abs. 1 Buchst. a) der Richtlinie 2004/83/EG dahin auszulegen, dass nicht jeder Eingriff in die Religi­o­ns­freiheit, der gegen Art. 9 EMRK verstößt, eine Verfol­gungs­handlung im Sinne der erstgenannten Vorschrift darstellt, sondern liegt eine schwerwiegende Verletzung der Religi­o­ns­freiheit als grundlegendes Menschenrecht nur dann vor, wenn ihr Kernbereich betroffen ist?

2) Für den Fall, dass Frage 1 zu bejahen ist:

a) Ist der Kernbereich der Religi­o­ns­freiheit auf das Glaubens­be­kenntnis und auf Glaubens­be­tä­ti­gungen im häuslichen und nachbar­schaft­lichen Bereich beschränkt oder kann eine Verfol­gungs­handlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/83/EG auch darin liegen, dass im Herkunftsland die Glaubens­ausübung in der Öffentlichkeit zu einer Gefahr für Leib, Leben oder physische Freiheit führt und der Antragsteller deshalb auf sie verzichtet?

b) Falls der Kernbereich der Religi­o­ns­freiheit auch bestimmte Glaubens­be­tä­ti­gungen in der Öffentlichkeit umfassen kann:

Genügt es in diesem Fall für eine schwerwiegende Verletzung der Religi­o­ns­freiheit, dass der Antragsteller diese Betätigung seines Glaubens für sich selbst als unverzichtbar empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren,

oder ist außerdem erforderlich, dass die Religi­o­ns­ge­mein­schaft, der der Antragsteller angehört, diese religiöse Betätigung als zentralen Bestandteil ihrer Glaubenslehre ansieht,

oder können sich aus sonstigen Umständen, etwa den allgemeinen Verhältnissen im Herkunftsland, weitere Einschränkungen ergeben?

3) Für den Fall, dass Frage 1 zu bejahen ist:

Liegt eine begründete Furcht vor Verfolgung im Sinne von Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG dann vor, wenn feststeht, dass der Antragsteller bestimmte - außerhalb des Kernbereichs liegende - religiöse Betätigungen nach Rückkehr in das Herkunftsland vornehmen wird, obwohl sie zu einer Gefahr für Leib, Leben oder physische Freiheit führen werden, oder ist es dem Antragsteller zuzumuten, auf solche künftigen Betätigungen zu verzichten?

Quelle: Bundesverwaltungsgericht/ra-online

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