21.11.2024
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Sie sehen die Außenfassade einer Niederlassung des Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mit dem Bundesadler und passendem Schriftzug der Behörde.

Dokument-Nr. 15151

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Bundesverwaltungsgericht Urteil31.01.2013

Widerruf der Flücht­lings­a­n­er­kennung bei Straftätern an hohe Anforderungen gebundenDreijährige Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe für mehrere Taten erfüllt Anforderungen an Wider­rufs­vor­aus­set­zungen nicht

Der Widerruf einer Anerkennung als Flüchtling wegen einer rechtskräftigen Verurteilung zu einer mindestens dreijährigen Freiheitsstrafe ist nur möglich, wenn sich die Verurteilung auf eine einzelne besonders schwerwiegende Straftat bezieht. Die Verurteilung zu einer mindestens dreijährigen Gesamt­frei­heits­strafe reicht nicht aus, wenn die zu Grunde liegenden Taten jeweils mit Einzelstrafen von weniger als drei Jahren geahndet worden sind. Dies entschied das Bundes­ver­wal­tungs­gericht.

Der 39-jährige Kläger des zugrunde liegenden Falls lebt seit 1979 in Deutschland. Er ist türkischer Staats­an­ge­höriger und wurde wegen seiner syrisch-orthodoxen Religi­o­ns­zu­ge­hö­rigkeit 1999 als Asylbe­rech­tigter anerkannt. Seit seinem 14. Lebensjahr hat er zahlreiche Straftaten begangen und ist durch die Strafgerichte immer wieder zu Haftstrafen von bis zu zwei Jahren verurteilt worden. Im Jahr 2001 wurde er wegen versuchter räuberischer Erpressung, versuchter gefährlicher Körper­ver­letzung, Beleidigung und Bedrohung rechtskräftig verurteilt.

Bundesamt für Migration und Flüchtlinge widerruft Asyl- und Flücht­lings­a­n­er­kennung

Die zu Grunde liegenden zwei Taten, die er im August und Oktober 2000 begangen hatte, wurden mit Einzelstrafen von 2 Jahren und 10 Monaten sowie 6 Monaten geahndet, aus denen eine Gesamt­frei­heits­strafe von drei Jahren gebildet wurde. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge widerrief daraufhin die Asyl- und Flüchtlingsanerkennung des Klägers, um seine Aufent­halts­be­en­digung zu ermöglichen.

OVG hebt Wider­rufs­be­scheid auf

Das Verwal­tungs­gericht wies seine gegen diesen Widerruf gerichtete Klage ab, das Oberver­wal­tungs­gericht hob den Wider­rufs­be­scheid auf. Nach § 73 Abs. 1 des Asylver­fah­rens­ge­setzes und § 60 Abs. 8 des Aufent­halts­ge­setzes sind Asyl- und Flücht­lings­a­n­er­kennung zu widerrufen, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer mindestens dreijährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden ist.

Für Widerruf vorausgesetzte dreijährige Gesamt­frei­heits­strafe darf sich nicht aus mehreren Einzel­straftaten zusammensetzen

Das Bundes­ver­wal­tungs­gericht hat die Rechts­auf­fassung des Oberver­wal­tungs­ge­richts bestätigt, dass die Verurteilung zu einer Gesamt­frei­heits­strafe hierfür nicht genügt, wenn ihr ausschließlich Einzelstrafen von jeweils unter drei Jahren zu Grunde liegen. Im Einklang mit dem unions­recht­lichen und völker­recht­lichen Flücht­lings­schutz sind im Hinblick auf die gravierenden Konsequenzen eines solchen Widerrufs an das Vorliegen der gesetzlichen Wider­rufs­vor­aus­set­zungen hohe Anforderungen zu stellen. Eine dreijährige Freiheitsstrafe, die als Gesamtstrafe (§§ 54, 55 des Straf­ge­setzbuchs) für mehrere Taten festgesetzt wird, die jeweils mit Freiheits­s­trafen von weniger als drei Jahren geahndet wurden, erfüllt diese Anforderungen auch dann nicht, wenn es - wie im vorliegenden Fall - um einen schon vielfach verurteilten "Inten­sivstraftäter" geht. Ein Widerruf der Flücht­lings­ei­gen­schaft wegen der Gefährlichkeit des Flüchtlings für die Allgemeinheit setzt eine Straftat voraus, die derart schwerwiegend ist, dass sie schon für sich genommen zu einer mindestens dreijährigen Haftstrafe geführt hat. Nur bei Verurteilung wegen einer solchen Straftat ist in einem weiteren Schritt zu prüfen, ob von dem Täter im Zeitpunkt der Berufungs­ent­scheidung auch weiterhin eine Gefahr ausgeht, weil damit zu rechnen ist, dass er erneut in ähnlicher Weise straffällig wird.

OVG muss prüfen ob für Kläger nach wie vor im Heimatland Bedrohung aufgrund der Religi­o­ns­zu­ge­hö­rigkeit besteht

Das Bundes­ver­wal­tungs­gericht hat die Sache gleichwohl an das Oberver­wal­tungs­gericht zurückverwiesen. Denn es muss noch geprüft werden, ob der Widerruf nicht deshalb rechtmäßig ist, weil sich in der Türkei die Lage für Personen mit syrisch-orthodoxer Religi­o­ns­zu­ge­hö­rigkeit inzwischen derart geändert hat, dass dem Kläger bei einer Rückkehr keine Verfolgung mehr droht. Tatsa­chen­fest­stel­lungen zu dieser Frage hatte das Oberver­wal­tungs­gericht nicht getroffen.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht/ra-online

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