21.11.2024
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Bundesverwaltungsgericht Urteil20.03.2007

Bundes­ver­wal­tungs­gericht zum Widerruf von Flücht­lings­a­n­er­ken­nungen von Irakern

Das Bundes­ver­wal­tungs­gericht in Leipzig hat in mehreren Verfahren über den Widerruf der Flücht­lings­a­n­er­kennung von irakischen Staats­an­ge­hörigen entschieden, die noch zu Zeiten des Regimes Saddam Husseins nach Deutschland geflohen und hier als Flüchtlinge anerkannt worden waren. In den drei Fällen ging es vor allem um die in der verwal­tungs­ge­richt­lichen Rechtsprechung umstrittene verfah­rens­rechtliche Frage, ob Wider­rufs­be­scheide des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) eine Ermes­sen­s­ent­scheidung erfordern, wenn sie nach dem 1. Januar 2005 ergangen sind, sich aber auf Anerkennungen vor diesem Zeitpunkt beziehen.

Das Erfordernis einer solchen Ermes­sen­s­ent­scheidung ist in der mit Wirkung ab 1. Januar 2005 eingefügten Vorschrift des § 73 Abs. 2a Asylver­fah­rens­gesetz (AsylVfG)* geregelt. Das Bundes­ver­wal­tungs­gericht hat entschieden, dass die neue Vorschrift zwar im Grundsatz auch in derartigen Altfällen anwendbar ist. Es hat in allen drei Fällen aber eine Ermes­sens­ausübung des Bundesamts deshalb nicht für erforderlich gehalten, weil die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür nicht erfüllt waren.

Die Kläger der drei Ausgangs­ver­fahren sind in den Jahren zwischen 1997 und 2001 nach Deutschland eingereiste irakische Staats­an­ge­hörige, die das Bundesamt als Flüchtlinge anerkannt hatte, weil sie schon wegen der Stellung eines Asylantrags im Ausland mit Verfolgung durch das Regime Saddam Husseins hätten rechnen müssen. Im Jahr 2005 hat das Bundesamt diese Anerkennungen widerrufen, weil die Verfol­gungs­gefahr im Irak nach der Beseitigung dieses Regimes endgültig weggefallen sei und den Klägern auch nicht aus anderen Gründen neue Verfolgung drohe. Diese Entscheidungen sind als sogenannte gebundene Entscheidungen ohne Ausübung behördlichen Ermessens ergangen. Die Verwal­tungs­ge­richte haben die Widerrufe zum Teil wegen Fehlens von Ermes­sen­s­er­wä­gungen nach § 73 Abs. 2a AsylVfG aufgehoben. Der Verwal­tungs­ge­richtshof München und das Oberver­wal­tungs­gericht Münster haben dagegen die Wider­rufs­be­scheide als rechtmäßig bestätigt. Sie haben dies damit begründet, dass den Klägern nach der Entmachtung Saddam Husseins und der Zerschlagung seines Regimes keine Verfol­gungs­maß­nahmen im Irak mehr drohten, und haben eine Ermes­sens­ausübung des Bundesamts nach dem neuen § 73 Abs. 2a AsylVfG nicht für erforderlich gehalten.

Das Bundes­ver­wal­tungs­gericht hat die Auffassung der Obergerichte zu § 73 Abs. 2a AsylVfG im Ergebnis bestätigt. Die Vorschrift ist zwar im Grundsatz auch auf vor dem 1. Januar 2005 unanfechtbar gewordene Anerkennungen anwendbar. Das bedeutet aber nicht etwa, dass nach Ablauf von drei Jahren seit Unanfecht­barkeit der Anerkennung ein Widerruf nur noch im Wege einer für den Anerkannten günstigeren Ermes­sen­s­ent­scheidung getroffen werden kann und darf. Denn nach dem in § 73 Abs. 2a AsylVfG vorgesehenen neuen zweistufigen Verfahren ist ein solches Ermessen erst dann eröffnet, wenn eine vorangegangene erste Prüfung der Wider­rufs­vor­aus­set­zungen stattgefunden und nicht zu einem Widerruf geführt hat (Negati­vent­scheidung). Daran fehlt es in den vorliegenden Fällen. Darüber hinaus war auch die dem Bundesamt in der Vorschrift nunmehr gesetzte Frist für eine derartige erste Prüfung („spätestens nach Ablauf von drei Jahren nach Unanfecht­barkeit der Anerkennung“) noch nicht abgelaufen, da diese neue Frist bei Altfällen erst mit dem Inkrafttreten der Vorschrift am 1. Januar 2005 zu laufen begonnen hat. Die Frage, was bei einer Versäumung der Prüfungsfrist zu gelten hat, stellte sich daher in den vorliegenden Fällen nicht.

Das Bundes­ver­wal­tungs­gericht hat in den beiden vom Verwal­tungs­ge­richtshof München entschiedenen Fällen deshalb die Revisionen der Kläger zurückgewiesen, soweit sie den Widerruf der Flücht­lings­a­n­er­kennung betrafen. Die materi­ell­recht­lichen Voraussetzungen für den Widerruf der Anerkennungen lagen nach den revisi­ons­rechtlich nicht zu beanstandenden Feststellungen des VGH über die tatsächlichen Verhältnisse im Irak vor. Die Wider­rufs­re­gelung in der EU-Quali­fi­ka­ti­o­ns­richtlinie (2004/83/EG) ist wegen ihrer Beschränkung auf nach dem Inkrafttreten der Richtlinie gestellte Schutzanträge (Art. 14 Abs. 1) hier noch nicht anwendbar. In einem der beiden Fälle hat das Bundes­ver­wal­tungs­gericht allerdings die Sache bezüglich des hilfsweise geltend gemachten weiteren Begehrens auf subsidiären auslän­der­recht­lichen Abschie­bungs­schutz an den Verwal­tungs­ge­richtshof zurückverwiesen, weil dieser bislang einen solchen Anspruch des Klägers noch nicht geprüft hat.

Die Entscheidung des Oberver­wal­tungs­ge­richts Münster über den Widerruf der Flücht­lings­a­n­er­kennung hat das Bundes­ver­wal­tungs­gericht dagegen aufgehoben. Die Klägerin dieses Verfahrens hat vorgetragen, sie sei eine allein­er­ziehende Mutter und würde wegen Verlassens ihres Ehemannes bei einer Rückkehr in den Irak keine Aufnahme in ihrer Familie finden. Sie hat sich unter Hinweis auf eine Auskunft der Schweizerischen Flücht­lingshilfe sinngemäß auf eine geschlechts­s­pe­zi­fische Verfolgung alleinstehender Frauen ohne familiären Rückhalt durch private Akteure berufen. Da das Oberver­wal­tungs­gericht diese Frage nicht näher untersucht und auf zu schmaler Tatsa­chen­grundlage verneint hat, ist das Verfahren insoweit zur Nachholung der notwendigen Feststellungen an das Oberver­wal­tungs­gericht zurückverwiesen worden.

Erläuterungen

aus dem Gesetz

* § 73 Abs. 2a AsylVfG lautet in seinen Sätzen 1 bis 3 wie folgt:

„Die Prüfung, ob die Voraussetzungen für einen Widerruf nach Absatz 1 oder eine Rücknahme nach Absatz 2 vorliegen, hat spätestens nach Ablauf von drei Jahren nach Unanfecht­barkeit der Entscheidung zu erfolgen. Das Ergebnis ist der Auslän­der­behörde mitzuteilen. Ist nach der Prüfung ein Widerruf oder eine Rücknahme nicht erfolgt, so steht eine spätere Entscheidung nach Absatz 1 oder Absatz 2 im Ermessen.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 15/07 des BVerwG vom 20.03.2007

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