23.11.2024
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Bundesverwaltungsgericht Urteil29.05.2018

Mehr-Ehe eines Ausländers muss Anspruch auf Einbürgerung nicht entgegenstehenRechtsbegriff der "freiheitlichen demokratischen Grundordnung" verlangt kein Bekenntnis zum Prinzip der bürgerlich-rechtlichen Einehe

Eine rechtswirksam im Ausland eingegangene weitere Ehe schließt zwar eine privilegierte Einbürgerung von Ehegatten Deutscher nach § 9 Staats­angehörigkeits­gesetz (StAG) mangels Einordnung in die deutschen Lebens­ver­hältnisse aus. Sie steht aber einem wirksamen Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung und damit einem Ein­bürgerungs­anspruch nach § 10 StAG nicht entgegen. Dies geht aus einer Entscheidung des Bundes­verwaltungs­gerichts hervor.

Der Kläger des zugrunde liegenden Verfahrens wandte sich gegen die Rücknahme seiner Einbürgerung. Der 1981 in Syrien geborene Kläger lebt seit 1999 in Deutschland, er studierte hier und arbeitet seit 2008 als angestellter Bauingenieur. Im April 2008 heiratete er eine deutsche Staats­an­ge­hörige, mit der er in ehelicher Lebens­ge­mein­schaft lebt; aus der Ehe gingen drei Kinder hervor. Im Jahre 2010 wurde er auf seinen Antrag hin nach § 9 StAG eingebürgert, nachdem er im Einbür­ge­rungs­ver­fahren nur diese Ehe angegeben hatte. Im Jahre 2012 erhielt die Beklagte Kenntnis davon, dass der Kläger im Juni 2008 in Damaskus mit einer syrischen Staats­an­ge­hörigen rechtswirksam eine weitere Ehe geschlossen hatte. Er erkannte die Vaterschaft für eine Anfang 2012 von seiner Zweitfrau geborene Tochter an. Die Tochter lebt seit Herbst 2013 im Haushalt des Klägers in Karlsruhe. Auch die Zweitfrau lebt seit April 2017 mit eigenem Haushalt in Karlsruhe.

Einbürgerung wegen arglistiger Täuschung über Lebens­ver­hältnisse zurückgenommen

Die Beklagte nahm im Dezember 2013 die Einbürgerung des Klägers mit Wirkung für die Vergangenheit zurück. Durch das Verschweigen der Zweitehe und die im Einbür­ge­rungs­antrag abgegebenen Erklärungen habe er arglistig über die Einbür­ge­rungs­vor­aus­set­zungen getäuscht. Die Zweitehe schließe es aus, dass sich der Kläger in die Lebens­ver­hältnisse in Deutschland eingeordnet habe, und stehe auch einem wirksamen Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung entgegen.

VGH: Zweitehe steht Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht entgegen

Das Verwal­tungs­gericht Karlsruhe wies die Klage ab. Der Verwal­tungs­ge­richtshof hob den Rücknah­me­be­scheid auf, weil es jedenfalls an der Kausalität des dem Kläger vorgeworfenen Verhaltens für die Einbürgerung fehle. Der Kläger habe bei Einbürgerung auch unter Berück­sich­tigung der in Syrien wirksam geschlossenen weiteren Ehe nach § 10 StAG einen Einbür­ge­rungs­an­spruch gehabt. Diese Zweitehe stehe dem nach § 10 StAG geforderten Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht entgegen.

BVerwG: Verschwiegene Zweitehe steht Einordnung in deutsche Lebens­ver­hältnisse" entgegen

Das Bundes­ver­wal­tungs­gericht wies den Rechtsstreit an den Verwal­tungs­ge­richtshof zur näheren Prüfung der Frage zurück, ob der Kläger im Zeitpunkt der Rücknah­me­ent­scheidung einen Einbür­ge­rungs­an­spruch gehabt habe. Die Einbürgerung des Klägers sei allerdings rechtswidrig erfolgt, weil die in Syrien geschlossene und vom Kläger im Einbür­ge­rungs­ver­fahren verschwiegene Zweitehe einer "Einordnung in die deutschen Lebens­ver­hältnisse" nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 StAG entgegenstehe. Auch seien im Zeitpunkt der Einbürgerung die Voraussetzungen für einen Einbür­ge­rungs­an­spruch nach § 10 StAG noch nicht erfüllt.

Rechtsbegriff der "freiheitlichen demokratischen Grundordnung" entscheidender als Erfordernis der Einordnung in deutsche Lebens­ver­hältnisse

Bei der Ermes­sen­s­ent­scheidung über die Rücknahme habe die Beklagte aber einen möglichen Einbür­ge­rungs­an­spruch des Klägers nach § 10 StAG im Zeitpunkt der behördlichen Rücknah­me­ent­scheidung zu berücksichtigen. Die Beklagte habe hier einen solchen zu Unrecht mit der Begründung verneint, dass der Kläger sich wegen seiner Zweitehe nicht wirksam zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekannt habe. Der Rechtsbegriff der "freiheitlichen demokratischen Grundordnung" sei bezogen auf die Gestaltung der staatlichen Ordnung und ihres Handelns. Dieser Rechtsbegriff sei laut Gericht damit enger als das Erfordernis der Einordnung in die deutschen Lebens­ver­hältnisse nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 StAG. Er verlange vom Einbür­ge­rungs­be­werber ein Bekenntnis zu einem auf Recht und Gesetz sowie der Achtung und dem Schutz der im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte gründenden Gemeinwesen, aber kein Bekenntnis zum Prinzip der bürgerlich-rechtlichen Einehe.

Dem Gesetzgeber steht es allerdings frei, die Anspruch­s­ein­bür­gerung bei bestehender Mehr-Ehe auszuschließen, etwa indem er nach dem Vorbild des § 9 Abs. 1 Nr. 2 StAG auch für die Anspruch­s­ein­bür­gerung vom Ausländer eine "Einordnung in die deutschen Lebens­ver­hältnisse" verlangt.

Berufungs­gericht muss erneut über Einbür­ge­rungs­an­spruch entscheiden

Ob im Zeitpunkt der Rücknah­me­ent­scheidung ein Einbür­ge­rungs­an­spruch des Klägers bestand, wird das Berufungs­gericht mit Blick auf die Einbür­ge­rungs­vor­aus­setzung einer eigenständigen Sicherung des Lebens­un­terhalts aufzuklären und zu entscheiden haben.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht/ra-online

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